Deutsche Bischöfe bestürzt über Anschläge in Nigeria

Kein Respekt vor der Menschenwürde

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx, hat mit großer Bestürzung auf die terroristischen Übergriffe der Boko-Haram-Kämpfer in Nigeria reagiert. Das Hilfwerk missio ruft die Bundesregierung zum Handeln auf.

Proteste gegen Entführungen (dpa)
Proteste gegen Entführungen / ( dpa )

In einem am Freitag in Bonn veröffentlichten Brief an den Vorsitzenden der Nigerianischen Bischofskonferenz, Erzbischof Ignatius Kaigama, schreibt Kardinal Marx: "Die Anschläge auf die Busbahnhöfe von Abuja und Nyanya, die zahlreichen brutalen Attacken im Bundesstaat Borno und insbesondere die Verschleppung von mehr als 200 Schülerinnen aus Chibok erfüllen mich mit Trauer und Empörung."

In seinem Schreiben drückte Marx zugleich die Solidarität der katholischen Kirche in Deutschland mit den Menschen in Nigeria aus: "Im Namen der Deutschen Bischofskonferenz möchte ich Ihnen unsere tiefe Verbundenheit mit der katholischen Kirche und allen Menschen guten Willens in Nigeria zum Ausdruck bringen. Wir verurteilen die feigen Akte der Gewalt und wissen uns mit allen solidarisch, die sich nicht davon abbringen lassen, auch weiterhin entschieden für ein friedliches Miteinander der Religionen in Nigeria einzutreten."

Weiter schreibt Marx, er hoffe, "dass die internationale Aufmerksamkeit, die die abscheulichen Vorkommnisse der vergangenen Tage und Wochen hervorgerufen haben, dazu beiträgt, dass sich die für die Sicherheit Ihres Landes Verantwortlichen mit neuer Tatkraft der Herausforderung durch den Terrorismus stellen".

Neuer Anschlag

Unterdessen berichteten nigerianische Medien über einen neuen Anschlag von Boko Haram im Norden des Landes. Dabei seien offenbar 30 Menschen getötet worden. Die Attacke soll sich am Donnerstagabend in der Nähe des Dorfes Gamboru Ngala nahe der Grenze zu Kamerun ereignet haben. Dort hatten die Islamisten Anfang der Woche rund 300 Einwohner getötet.

Das Grenzgebiet scheint den Berichten zufolge immer stärker von den Terroristen frequentiert zu werden. So gibt es Spekulationen, wonach die entführten Schülerinnen aus Chibok nach Kamerun gebracht worden sind. Boko-Haram-Chef Abubakar Shekau, der mit seiner Gruppe einen islamischen Gottesstaat errichten will, hatte in einer Videobotschaft angedroht, die Opfer als Bräute zu verkaufen und zu versklaven. Die Mädchen befinden sich seit Mitte April in den Händen der Islamisten.

Die rund 200 Schülerinnen aus der Ortschaft Chibok im Nordwesten Nigerias befinden sich seit Mitte April in den Händen von Boko Haram. Sie wurden aus einer staatlichen Sekundarschule entführt, das Gebäude anschließend verwüstet.

Das katholische Hilfswerk missio Aachen rief die Bundesregierung dazu auf, sich in die Bemühungen um die Freilassung der entführten Schülerinnen einzuschalten. Die Partnerorganisationen in dem westafrikanischen Land hätten "eindringlich" geschildert, dass die verantwortlichen nigerianischen Politiker mit dem Problem überfordert seien, erklärte missio-Präsident Klaus Krämer in Aachen.

Boko-Haram-Chef Abubakar Shekau, der mit seiner Gruppe einen islamischen Gottesstaat errichten will, hatte in einer Videobotschaft angedroht, die Opfer als Bräute zu verkaufen und zu versklaven. Mädchen sollten keine Schulen besuchen, auf denen sie mit westlicher Bildung in Berührung kämen, sondern sich verheiraten.

Dieses Vorgehen dürfe "von der Regierung Nigerias und der internationalen Staatengemeinschaft nicht hingenommen werden", sagte missio-Präsident Krämer. Dabei sei auch deutsches Engagement gefragt. Die Bundesregierung habe in ihrem Afrika-Konzept festgehalten, dass sie gemeinsam mit den afrikanischen Staaten, den Vereinten Nationen, der EU, internationalen Wirtschaftsorganisationen und der NATO die afrikanischen Fähigkeiten zur regionalen Konfliktprävention- und Bewältigung stärken wolle. Jetzt müsse die Bundesregierung dieses Vorhaben in die Praxis umsetzen und sich an einer internationalen Initiative zur Konfliktbewältigung beteiligen, die helfe, im Norden Nigerias für Sicherheit zu sorgen.

Keine Zusagen aus Berlin

Bundespräsident Joachim Gauck schrieb am Freitag in einem Kondolenztelegramm an Nigerias Präsidenten Goodluck Jonathan, ihn hätten der jüngste Angriff mit vielen Toten und die andauernde Geiselnahme von Schülerinnen "zutiefst schockiert". Für die Bundesregierung drückte der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Steffen Seibert, Entsetzen aus. "Das sind barbarische Akte jenseits jeglicher Moralvorstellung", sagte er in Berlin.

Dabei versprach Seibert deutsche Hilfe. "Wo immer Deutschland im Kampf gegen den fundamentalistischen Terror und für die Wahrung der Menschenrechte hilfreich sein kann, wird es das auch tun", sagte er, ohne jedoch konkret zu werden. Die USA haben bereits mehrere Experten nach Nigeria entsandt.

Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Fatou Bensouda, sagte, die Entführung der Schulmädchen falle möglicherweise in die Zuständigkeit ihres Gerichts. Das beunruhigende Phänomen, dass Frauen in Konflikten zum Ziel würden, müsse unterbunden werden. Alles nur erdenklich Mögliche müsse getan werden, um die Verantwortlichen für derartige Gräueltaten vor Gericht zu bringen, entweder in Nigeria oder in Den Haag.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, forderte, die Bundesrepublik solle die Suche nach den entführten Schülerinnen unterstützen. Auch die Strukturen und Hintergründe von Boko Haram müssten aufgeklärt werden. "Die Regierung in Nigeria scheint damit hoffnungslos überfordert", sagte Mazyek dem epd.

Der Vorsitzende des Islamverbands forderte zudem, in der Debatte stärker zwischen Boko Haram und dem Islam zu differenzieren. "Die Boko-Haram-Extremisten berufen sich auf den Islam, aber in Wirklichkeit arbeiten sie wie eine Mafia-Organisation", die mit Terror Geld mache, sagte Mazyek. Die menschenverachtenden Taten stünden mit keiner Religion in irgendeinem Kontext. "Die Anhänger von Boko Haram sind Verbrecher, die den Muslimen großen Schaden zufügen", sagte er.

Nigeria in Zahlen und Fakten

Nigeria ist der bevölkerungsreichste Staat Afrikas. Was dort passiert, hat oft Auswirkungen auf den ganzen Kontinent und darüber hinaus. 

Es besteht zu etwa gleichen Teilen aus Muslimen und Christen. Der Norden ist stark islamisch geprägt; in zahlreichen Bundesstaaten gilt das islamische Recht, die Scharia. Im Süden leben überwiegend Christen.

In Nigeria versorgt Malteser International Geflüchtete unter anderem mit sauberem Trinkwasser / © Emily Kinskey (Malteser International)
In Nigeria versorgt Malteser International Geflüchtete unter anderem mit sauberem Trinkwasser / © Emily Kinskey ( Malteser International )
Quelle:
epd , KNA