Wie jüdische Gemeinden auf Antisemitismus reagieren

Derzeit keine Auswanderungswelle von Juden

Um sich greifender Antisemitismus in Deutschland gibt Mitgliedern von jüdischen Gemeinden nach Einschätzung des Zentralrats der Juden stark zu denken. In Frankreich haben antisemitische Angriffe zu einer "Auswanderungswelle" geführt.

Menschen jüdischen Glaubens denken über Auswanderung nach / © dpa (dpa)
Menschen jüdischen Glaubens denken über Auswanderung nach / © dpa ( dpa )

Derzeit sei keine "Auswanderungswelle" zu beobachten wie sie aus Frankreich in Richtung Israel bekanntgeworden sei, sagte der Vizepräsident des Zentralrats, Abraham Lehrer, am Mittwoch in Berlin. "Davon ist die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, glaube ich, noch weit entfernt. Aber die Gedanken sind frei, man beschäftigt sich damit." Dies gelte auch für Familien mit Blick auf das Großziehen von Kindern.

Überlegungen zu Auswanderungsorten

Zuletzt gab es in Deutschland Höchststände bei den erfassten antisemitisch motivierten Straftaten in Deutschland, deren Zahl im Jahr 2020 um 15,7 Prozent auf 2.351 stieg. Wenn Juden hierzulande darüber nachdächten, wohin sie im Zweifel auswandern würden, würden potenzielle Ziele wie Israel, die USA, Australien und Großbritannien genannt, sagte Lehrer.

Dass Juden Stadtviertel im Sinne von "No-Go-Areas" bei der Wahl des Wohnortes mieden, sei "nicht wirklich" zu beobachten, so Lehrer. Gleichwohl komme es vor, dass Menschen umziehen, etwa wenn das eigene Kind in der Schule Vorbehalte bis hin zu Übergriffen erfahren habe. Einfach auf eine jüdische Schule zu wechseln, sei jedoch ein Problem, weil es nicht so viele Einrichtungen dieser Art gebe.

Umgang mit antisemitischen Vorfällen in Schulen

Schulen tun sich nach den Worten Lehrers oft schwer, angemessen mit antisemitischen Vorfällen umzugehen - zum Beispiel, wenn "Du Jude" auf dem Pausenhof gerufen wird. Man sei dann besorgt um den Ruf der Schule, oder Lehrer wüssten schlicht nicht, wie sie mit Vorfällen umgehen sollten. Diese hätten oft keine Folgen für die Schüler, von denen eine Tat ausgegangen sei. Daher forderte der Vizepräsident, Lehrkräfte entsprechend fort- und weiterzubilden.

Sorgen bereiteten aber nicht nur Vorfälle an Schulen, betonte Lehrer, der auch Präsident der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden ist. So seien darüber hinaus Umtriebe in den Sozialen Netzwerken etwas, das Juden sogar Angst bereite. Dort habe sich etwas etabliert, das an der Gesellschaft und zum Teil auch an der Justiz "vorbeilaufe": Für die Kontrolle dessen, was an Antisemitismus in Social Media verbreitet werde, fehle es oft an Personal und technischen Möglichkeiten.

Lehrer äußerte sich auf einem Online-"Freiheitssymposium" der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Kooperation mit der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen beim Bund in Berlin.


Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland / © Julia Steinbrecht (KNA)
Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
KNA