Der Vatikan reagiert gelassen auf die Enthüllungen durch Wikileaks

Klatsch und Allgemeinplätze

Es ist keinesfalls alles schmeichelhaft, was die amerikanische Vatikan-Botschaft der Washingtoner Zentrale über ihr Gastland und sein Führungspersonal kabelte. Allerdings sind es weder Sensationen noch Geheimnisse, die die Diplomaten der Großmacht laut Wikileaks aus der Kirchenzentrale ermittelten. Entsprechend gelassen reagiert der Vatikan.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Was bislang aus den mehr als 700 Depeschen über den Heiligen Stuhl bekanntwurde, klingt eher nach Klatsch und Allgemeinplätzen: Da ist von technikscheuen Kirchenministern und Kongregationsbeamten die Rede, die sich in einer unverständlichen Sprache äußern; da informiert die US-Vertretung in ihren internen Berichten, dass am Vatikan vor allem über 70-jährige Italiener das Sagen hätten. Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone sei ein "Yes-man", ein Ja-Sager, der immer dem Papst Recht gebe. Bertone besitze keine diplomatischen Erfahrungen und spreche "nur Italienisch". Dass der gebürtige Piemontese sehr wohl des Französischen und Spanischen mächtig ist, unterschlägt das Dossier.



Weiter kabelt die Botschaft, keiner der führenden Vatikanleute außer Pressechef Federico Lombardi sei mit modernen Medien vertraut; die meisten besäßen noch nicht mal eine E-Mail-Adresse. Und man liest, dass der Papst "mitunter Politiker und Journalisten irritiert und das tut, was er zum Besten für die Kirche hält" - wie etwa die Aussöhnung mit den Lefebvrianern oder den Seligsprechungsprozess für Pius XII. voranbringen.



Kontakte der Kurie gepflegt, Quellen abgeschöpft, selbst recherchiert

Fast alles war bereits in Medien oder Blogs von Vatikan-Korrespondenten zu lesen. Jedoch haben die US-Diplomaten nicht nur italienische Zeitungen abgeschrieben, sondern auch Kontakte an der Kurie gepflegt, Quellen abgeschöpft und selbst recherchiert. Die Informanten tauchen mitunter im Klarnamen auf. Mancher vatikanische Sekretär oder Sachbearbeiter wird sich in diesen Tagen unangenehme Frage gefallen lassen müssen.



Allerdings haben sich die vatikanischen Quellen offenbar stärker als Informanten aus anderen Weltgegenden an die Vertraulichkeitspflicht gehalten. Denn die Antworten waren offenbar meist so allgemein oder kryptisch, dass die Fragesteller entweder nichts verstanden oder falsche Schlüsse daraus zogen.



Das hängt freilich auch mit dem Arbeitsstil des Vatikan und seiner Diplomaten zusammen. Für den internen Dienstverkehr sind beim Heiligen Stuhl schriftliche Noten und Dossiers, die von eigenen Kurieren übermittelt werden, immer noch das Maß der Kommunikation. Insbesondere wenn es um delikate Themen geht, etwa um Personalfragen oder Sondermissionen. Daher hatten auch die wenigen gut platzierte "Spione" zu Zeiten des Kalten Kriegs am Heiligen Stuhl nur bescheidenen Erfolg.



Praktische Lösungen kommen

Natürlich sind die Wikileaks-Veröffentlichungen der US-Depeschen dem Heiligen Stuhl unangenehm. Vatikansprecher Lombardi sprach vor einem "schwerwiegenden Vorgang". Er stellte klar, dass die Dokumente nur die Meinung des Schreibers wiedergäben, nicht aber die Haltung des Heiligen Stuhls oder der angeführten Quellen. Auch der seit einem Jahr amtierende US-Botschafter Miguel Diaz verurteilte die durch das Internet-Portal entstandenen Indiskretionen. Er muss davon ausgehen, dass Vatikan-Mitarbeiter auf Fragen seiner Kollegen künftig noch wortkarger reagieren als bisher.



Freilich weiß der Vatikan, dass er mit den USA auch künftig auf vielen Feldern zusammenarbeiten muss - in Fragen wie Menschenrechte und Entwicklung, Gerechtigkeit und Frieden, etwa im Heiligen Land.  Umgekehrt hat jede USA-Regierung auch die katholischen Wähler im Blick. Daher ist Schadensbegrenzung angesagt, auch wenn der hier entstandene Schaden eher begrenzt zu sein scheint.



Was den ungewohnten Sprachstil des Vatikan betrifft, zieht vielleicht auch die US-Vertretung künftig sachkundigen Rat zu Hilfe, wie viele westliche Botschaften, die einen Geistlichen Botschaftsrat angestellt haben. Dieser versteht sich nicht nur auf Diplomatie, sondern hat auch Ahnung von Kirchenrecht und theologischen Termini - die er seinen säkularen Kollegen gerne "übersetzt".