Der Todestag des DDR-Dissidenten und Schriftstellers Jürgen Fuchs jährt sich zum zehnten Mal

Zwischen allen Stühlen

Für die Staatssicherheit im Ost-Berliner Gefängnis Hohenschönhausen war Jürgen Fuchs einst der prominenteste Gefangene. Als Grund für die Inhaftierung im November 1976 galt den DDR-Behörden sein Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Doch der damals 25-Jährige war den Offiziellen schon längst ein Dorn im Auge - vor allem wegen seiner schonungslosen Texte über die DDR, die seit Jahren in zahllosen Kopien kursierten. Sein früher Krebstod im Alter von nur 42 Jahren jährt sich am 9. Mai zum zehnten Mal.

Autor/in:
Thomas Bickelhaupt
 (DR)

Der Schriftsteller, der am 19. Dezember 1950 im sächsischen Reichenbach geboren wurde, machte mit ersten Veröffentlichungen bereits als Psychologiestudent in Jena auf sich aufmerksam. Doch heute finden seine Werke nur noch wenig Beachtung. Von seinen drei Romanen, vier Gedicht- und drei Essaybänden ist im Buchhandel kaum noch etwas zu finden. «Autoren wie Jürgen Fuchs werden heute geradezu weggehöhnt», bestätigt denn auch der Thüringer Literaturwissenschaftler Edwin Kratschmer.

«Den einen ist er so etwas wie ein Letzter der Gerechten, den anderen ein Nestbeschmutzer und Staatsverleumder», sagt der promovierte Germanist. Er kannte Fuchs seit seiner Tätigkeit als Herausgeber der Anthologien «Offene Fenster», in denen seit 1964 regelmäßig Gedichte von talentierten jungen Leuten in der DDR erschienen. Damit wurde Kratschmer zahlreichen ostdeutschen Autoren über die Jahre zum wichtigen Begleiter und Mentor auf dem Weg in die Literatur.

Steffen Mensching, Lutz Rathenow, Thomas Rosenlöcher oder Jens Sparschuh sind nur einige wenige Beispiele. Zu Jürgen Fuchs verweist Kratschmer auf dessen Perspektive «eines sehr kritischen Beobachters», aus der er den «politisierten DDR-Alltag» nachgezeichnet habe. Die damit verbundene «eindringliche Zeitzeugenschaft» vor allem für die frühen 70er Jahre in der DDR wird deutlich in gleichermaßen knappen wie pointierten Texten, die große literarische Vorbilder wie Bertolt Brecht oder Wolfgang Borchert unschwer erkennen lassen.

Ab 1974 jedoch durfte Fuchs seine Texte nicht mehr öffentlich vortragen. «Man warf mir vor, staatsfeindliche Themen aufgegriffen zu haben», sagte er 1987 in dem West-Berliner Sender «Radio Glasnost». Er habe über den Armee-Alltag geschrieben und über Geheimdienst, Staatssicherheit oder das Problem der Macht von Einzelnen: «Da stand ich auf einer Zensurliste und war nicht gut angesehen.»

Zum anderen hatte er über seine Kontakte zu Biermann sowie zu dem früheren SED-Wissenschaftler und späteren Regimekritiker Robert Havemann das studentische Leben an der Jenaer Friedrich-Schiller-Universität spürbar politisiert. Die Hochschulleitung wehrte sich dagegen mit der Exmatrikulation am 17.
Juni 1975 - wegen «Schädigung des Ansehens der Universität in der Öffentlichkeit». Die von Fuchs bereits als «Sehr gut» verteidigte Diplomarbeit in Sozialpsychologie wurde wegen «anarchistisch-trotzkistischer Tendenzen» verworfen.

In der Stasi-Untersuchungshaft musste er neun Monate lang Demütigungen und Verhöre ertragen, bevor er schließlich im August 1977 nach West-Berlin abgeschoben wurde - «verkauft als ungehorsames Landeskind für einen Westmark-Scheck», wie Kratschmer es formuliert. Dort seien er und seine Familie zweimal «nur mit Not mörderischen Anschlägen» der Staatssicherheit entgangen, fügt der Germanist hinzu. Sein früher Krebstod beförderte 1999 neue Spekulationen über die radioaktive Bestrahlung von Dissidenten durch die Staatssicherheit.

Nach dem Fall der Mauer eröffnete Fuchs 1993 an der Jenaer Universität die Reihe der Poetik-Vorlesungen «Literatur zur Beförderung der Humanität». Anhand seiner persönlichen Erfahrungen als zeitweiliger Mitarbeiter in der Berliner Stasi-Unterlagenbehörde warnte er schon damals eindringlich vor Verdrängung und Beschönigung der DDR-Vergangenheit: «Es sind keine Debatten zu beenden, sondern es ist Realität zur Kenntnis zu nehmen.»