Der Südsudan strebt in die Unabhängigkeit - im Norden wächst die Furcht

Tage der Entscheidung

Ist es der Funke, der von Tunesien und Ägypten überspringt? Mit aller Macht versucht die Regierung des Sudans derzeit, jeden Hauch von Widerstand zu ersticken. Das größte Land Afrikas durchlebt kritische Tage. Während der Süden der Unabhängigkeit entgegenstrebt, kämpft das Regime im Norden um seine Macht.

Autor/in:
Marc Engelhardt
 (DR)

Den Protestaufruf hatte Mohammed Abdelrahman im Internet gefunden. Als am Sonntag gut 2.000 Studenten in Omdurman, Sudans zweitgrößter Stadt, gegen die Regierung auf die Straße gingen, war er dabei. Videos zeigen, wie die Demonstranten Sprechchöre gegen den autoritären Präsidenten Omar Hassan al-Baschir anstimmen.



Dann greifen die Sicherheitskräfte mit Tränengas und Knüppeln ein. Abdelrahman gehört zu ihren Opfern. Wenige Stunden später stirbt er in einem Hospital. Die genauen Umstände seines Todes sind unklar. Amnesty International forderte am Dienstag eine unabhängige Untersuchung.



Das Regime greift durch: Universitäten im ganzen Land wurden vorläufig geschlossen. Nicht nur in Omdurman und der Hauptstadt Khartum, auch in al-Obeid im Westen und Kassala im Osten Sudans haben Sicherheitskräfte in den vergangenen Tagen Demonstranten mit Gewalt auseinandergetrieben.



"Die Gunst der Stunde nutzen"

Doch die Initiatoren der Proteste rufen auf ihrer Facebook-Seite dazu auf, die Gunst der Stunde zu nutzen. Mehr als 120.000 Menschen folgen der Seite inzwischen. Die sogenannte Jasminrevolution in Tunesien und die Proteste in Ägypten sind dabei nur der jüngste Anlass.



Vor allem Jugendliche, die sich in den sechs Jahren seit dem Friedensabkommen mit dem Südsudan an neue Freiheiten auch im arabisch-islamischen Norden gewöhnt haben, befürchten, dass mit der Unabhängigkeit des Südsudans im Juli die Uhr zurückgedreht werden könnte. Dann nämlich verlassen die Politiker aus dem Süden die bisherige Übergangsregierung, die Christen oder Anhänger einer alten afrikanischen Religion sind und für eine Trennung von Staat und Religion eintreten.



"Die Scharia wird das alleinige Recht"

Präsident al-Baschir, der wegen Kriegsverbrechen und Völkermord in Darfur mit internationalem Haftbefehl gesucht wird, hat bereits angekündigt, dass dann im Norden die islamische Scharia noch rigider umgesetzt werden soll als bisher. "Die Scharia wird das alleinige Recht, Arabisch die einzige Sprache sein", sagte er im Dezember.



Das ist nicht zuletzt eine neuerliche Kriegserklärung an die Menschen in Darfur, die für mehr Autonomie kämpfen. Seit der Westen in Richtung Südsudan blickt, hat das Regime in Khartum die Angriffe dort wieder erhöht. Von Dutzenden Toten ist die Rede.



Doch der Unmut mit dem Regime ist vor allem im Alltag verwurzelt. Junge Leute - auch aus besseren Verhältnissen - fürchten um ihre kleinen Freiheiten, die Rap-Konzerte etwa, die in Khartum eine stetig wachsende Zahl von Besuchern anziehen. Musik, zumal moderne, gilt radikalen Imamen im Sudan schon lange als Teufelswerk.



"Auf dem Weg zurück in die Steinzeit"

"Viele glauben, dass der Sudan auf dem Weg zurück in die Steinzeit ist, wir könnten ein afrikanisches Afghanistan werden", sagte der Sänger der Rapband Rezolution, Achmed Machmud, kürzlich in einem Radiointerview. "Aber ich werde immer sagen, was ich denke - zur Not gehe ich zurück in den Untergrund."



Dieses Schicksal könnte auch Oppositionspolitiker treffen. Die berüchtigte Geheimpolizei geht derzeit massiv gegen Politiker vor, die die Loslösung des Südens als Argument für eine Öffnung des Nordens nutzen könnten. Mariam al-Sadiq al-Mahdi, Tochter des Chefs der oppositionellen Umma-Partei, wurde an Silvester von Agenten so schwer verletzt, dass alleine ihr linker Arm 14 Brüche aufwies. Sie wird in Jordanien behandelt.



Andere Oppositionelle, unter ihnen der prominente Islamistenführer Hassan al-Turabi, wurden inhaftiert. Das Regime geht kein Risiko ein: Volksproteste haben in der jüngeren Geschichte des Sudans zwei Mal Regierungen zu Fall gebracht - in den 60er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts.