Misereor-Chef ist zufrieden mit Verlauf der Wahlen im Südsudan

"Alle sind guter Stimmung"

Bei Kämpfen im Sudan sind zahlreiche Menschen getötet worden. Die Gefechte scheinen aber nicht direkt mit dem Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudan zusammenzuhängen. Hier beobachtet Misereor-Chef Josef Sayer im Interview mit domradio.de einen bisher "überraschend positiven Verlauf".

 (DR)

Der Chef des deutschen katholischen Hilfswerks Misereor begleitet die Volksabstimmung in der südsudanesischen Stadt zurzeit im Auftrag der "All African Conference of Churches" als Wahlbeobachter. "Ich bin sehr beeindruckt, wie zivilisiert und diszipliniert diese Volksabstimmung abläuft und wie zukunftsorientiert die Menschen hier die Sache in die Hand nehmen. Das Referendum findet bisher in freier Atmosphäre statt."



Sayer besuchte am Sonntag zahlreiche Wahllokale und traf dort unter anderem einen Mann auf Krücken, der im sudanesischen Bürgerkrieg einen Fuß verloren hatte. "Dieser Mann äußerte sich voller Zuversicht und Hoffnung, dass die Gewalt in seinem Land nun ein Ende hat", berichtete der Misereor-Chef.



Bereits 1999 hatte er das Land besucht. "Ich erlebe den Südsudan nun als ein völlig verändertes Land, in dem vieles wieder aufgebaut ist, was im Krieg zerstört wurde." Am Sonntagmorgen hatte der Misereor-Chef in der Kathedrale von Juba einen Gottesdienst mitgefeiert, an dem auch der südsudanesische Präsident Salva Kiir Mayardit teilnahm. Der amerikanische Senator John Kerry, Vorsitzender des Komitees für auswärtige Beziehungen im US-Senat, übermittelte in der Kathedrale die Grüße von US-Präsident Barack Obama und sagte dem Südsudan Hilfe zu. Das Referendum findet bis Freitag in Anwesenheit zahlreicher bedeutender Persönlichkeiten der Weltpolitik statt, unter ihnen der frühere US-Präsident Jimmy Carter und der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan.



Appell an Staatengemeinschaft

Misereor appelliert an die internationale Staatengemeinschaft,  sich im Falle eines Votums für die Eigenständigkeit  des Südsudans nachdrücklich für die völkerrechtliche Anerkennung des neuen Staates einzusetzen - auch wenn vielleicht noch viel Zeit und Geduld für den zu erfolgenden Staatsaufbau notwendig ist. "Sollte es nach dem Referendum zu einer Trennung der beiden Landesteile kommen, werden die vielen noch ungeklärten Probleme zwischen den neuen Staaten offensichtlich werden", erklärte Misereor-Chef Sayer.



Die Lage im Sudan ist vor allem wegen eines bisher nicht gelösten Konflikts um die künftigen Grenzen zwischen dem Norden und dem Süden des Landes angespannt. Offen ist, zu welchem Landesteil künftig der ölreiche Distrikt Abyei gehören soll.  In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass 1998 ein Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien wegen eben solcher ungeklärter Fragen in den zwischenstaatlichen Beziehungen ausbrach, nachdem Eritrea 1993 formal durch ein Referendum von Äthiopien unabhängig geworden war. Ebenfalls brisant könnte die künftige Verteilung von Wasser  in der Region werden. Sollte der Südsudan unabhängig werden und damit eigenständige Ansprüche auf diese Ressource anmelden,  droht ein weiteres Konfliktfeld. "Deutschland sollte seinen Vorteil nutzen, dass es als eines der wenigen Länder hohe Anerkennung sowohl im Norden als auch im Süden des Sudans genießt und aktiv Einfluss nehmen auf eine friedliche Beilegung der ungelösten Konflikte des Landes", sagte Sayer. Mit Blick auf das Referendum sind nach Angaben von Cora Laes-Fettback, Misereor-Länderreferentin für den Sudan, bislang Zehntausende Menschen vom Norden in den Süden des Sudans gereist.



Zum einen taten sie dies, um an dem Referendum teilzunehmen. Zum anderen aber auch vor dem Hintergrund, dass Staatspräsident Umar Hasan Ahmad al Bashir den Südsudanesen unverhohlen damit gedroht hatte, sie nach einer Unabhängigkeit des Südens im Nordteil des Landes vom Zugang zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen auszuschließen. Seit dem Friedensabkommen vom Januar 2005  haben sich die Infrastruktur und die Leistungsfähigkeit staatlicher Stellen in Teilen des  Südsudans laut  Laes-Fettback deutlich verbessert. In ländlichen Regionen gebe es aber vielfach weiter keine geregelte Versorgung mit Wasser, die meisten Straßen seien nur unzureichend befahrbar. Auch existierten für die Bevölkerung kaum Möglichkeiten, sich medizinisch betreuen zu lassen und Bildungseinrichtungen zu besuchen.



Tote bei Kämpfen

Bei Kämpfen zwischen rivalisierenden Stämmen in der umstrittenen sudanesischen Region Abjei sind seit Freitag mindestens 33 Menschen, darunter offenbar 20 Polizisten, ums Leben gekommen.



Auslöser der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen dem arabischen Misserija-Stamm und den schwarzafrikanischen Dinka war ein Streit um den Zugang zu Wasserstellen in der Nähe des Bahr el Arab, auch Kiir-Fluss genannt, wie Vertreter beider Seiten am Montag mitteilten. Dabei habe es außerdem Dutzende Verletzte gegeben. Ein Sprecher der UN-Mission im Sudan (UNMIS) sagte, eine UN-Patrouille überprüfe die Lage in dem Gebiet.



Die Sudan-Expertin Martina Peter äußerte sich besorgt über die Lage im Nordsudan. "Ich mache mir mehr Sorgen um die Situation im Norden als im Süden," sagte die Koordinatorin des Ökumenischen Forums Sudan in Europa am Montag. Peter gehört einem Wahlbeobachterteam afrikanischer Kirchen an und ist zurzeit in Khartum, wo Südsudanesen ebenfalls an dem Referendum teilnehmen können. Nur etwa zehn Prozent der rund 613.000 im Norden registrierten Südsudanesen hätten am Sonntag abgestimmt. Aus Angst vor Verfolgung hielten sich die Südsudanesen im Norden bedeckt, sagte Peter.