Solinger Stadtdechant tief bestürzt nach fünffachem Kindermord

"Der Schock sitzt tief"

Fünf kleine Kinder sind am Donnerstag in Solingen tot in einer Wohnung aufgefunden worden. Die tatverdächtige Mutter versuchte sich offenbar danach das Leben zu nehmen. Der Solinger Stadtdechant Michael Mohr zeigt sich erschüttert.

Solingen trauert / © Marcel Kusch (dpa)
Solingen trauert / © Marcel Kusch ( dpa )

DOMRADIO.DE: Solingen trauert, seit die Tragödie am Donnerstag bekannt geworden ist. Welche Reaktionen haben Sie bislang mitbekommen?

Pfarrer Michael Mohr (Stadtdechant von Solingen): Ich selbst war, als das durch die Medien ging, in einer Konferenz, also nicht unmittelbar direkt in Solingen, habe dann anschließend vor allen Dingen mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesprochen. Und ja, der Schock sitzt tief und vor allen Dingen bei all denen, die selbst Eltern sind. Ich glaube, das kann auch nicht verwundern. Ich habe Angestellte, deren Kinder sind in dem Alter der Mutter. Ich habe Angestellte, deren Kinder sind noch klein. Das war schon sehr, sehr bedrückend gestern Nachmittag.

DOMRADIO.DE: Die Eltern stehen unter Schock. Das Wohngebiet, in dem sich das Drama ereignet hat, muss ganz besonders aber unter Schock stehen. Wie können sich die Menschen das dort erklären?

Mohr: Ich glaube, es ist nicht erklärbar. Ich glaube, so etwas macht zunächst mal sprachlos. Das Wohngebiet ist Teil einer meiner Pfarreien. Ich bin dort auch ab und an gewesen, zu Seelsorgegesprächen, zur Vorbereitung von Taufe und so weiter. Ich denke, man hat auch auf den Bildern gesehen, dass es natürlich kein Villenviertel ist. Ich glaube, es ist schwierig, sich jetzt ein Urteil zu bilden, ohne zu spekulieren. Ich lese jetzt schon häufig davon, "das ist ja klar, das ist ein sozialer Brennpunkt"  oder "wie kann man denn in dem Alter schon sechs Kinder haben?".

Ich würde da wirklich darum werben, sich mit solchen Urteilen zurückzuhalten, sondern lieber im Gebet oder im stillen Gedenken gar nicht nach Erklärungen zu suchen, sondern zunächst einmal Trauer und Schock zu verarbeiten.

DOMRADIO.DE: Die Polizei ist sich sicher, dringend tatverdächtig ist die 27-jährige Mutter. Niemand hat die seelische Verfassung der Frau erkannt. Was ist Ihre Erfahrung als Seelsorger, kann man vorhersehen, erkennen, ob sich ein Mensch in einer solchen seelischen Notlage befindet?

Mohr: Ich glaube, das ist nur in den allerseltensten Fällen möglich. Wenn man das als Seelsorger oder auch als Jugendamt oder als Helfender, als Nachbar, als Freund, erkennt, dann kommt es hoffentlich nicht zu einer solchen Tat. Ich tue mich auch da schwer, jetzt zu sagen, der oder die hätte handeln müssen, das hätte man erkennen können. Ich glaube, da steckt so viel mehr dahinter.

Welche Mutter bringt Ihre Kinder um? Es ist unfassbar, und es kann eigentlich doch, so meine ich, im Moment nur eine Lehre daraus gezogen werden, dass wir wirklich wieder das versuchen, was eigentlich am Anfang der Corona-Zeit ja scheinbar so gut geklappt hat, nämlich mehr aufeinander zu achten, die Augen aufzumachen und zu erkennen, wo Hilfe gebraucht wird.

Hier geht es jetzt nicht um Einkaufen, sondern hier geht es um seelische Not, vielleicht auch um wirtschaftliche Not. Vor allen Dingen geht es um massive persönliche psychische Probleme. Wenn es uns da gelingt, nicht nur den Profis, sondern auch den Nachbarn, den Freunden, den Leuten drumherum, "achtsamer" zu sein, dann könnte es vielleicht in mehr Fällen gelingen, Vorzeichen zu erkennen.

DOMRADIO.DE: Wir können diese Tat nicht verstehen. Das kann man daran sehen, dass in den sozialen Medien gestern ganz viel über das Thema gesprochen wurde. Bei den Twitter-Trends zum Beispiel war der Hashtag Solingen zeitweise ganz oben. Wie kann man sowas überhaupt irgendwie einordnen? Wie kann Gott so etwas zulassen?

Mohr: Ich glaube, es liegt in der Natur des Menschen, wirklich schnell nach Erklärungen zu suchen, weil es so unerklärlich ist. Ich gebe zu, auch ich kann Ihnen nicht erklären, wieso Gott so etwas zulässt, außer vielleicht damit zu sagen, Gott hat uns wirklich frei geschaffen. Und Freiheit bedeutet eben auch, falsche Entscheidungen und manchmal auch schreckliche Entscheidungen zu treffen. Nur das macht es weder besser, noch macht es das erklärbarer. Hier kann man zu einem Gutteil nur sprachlos stehen. Und ab und zu sage ich zu solchen Fällen: Das sind Fragen, die, wenn ich einmal irgendwann vor Gott trete, an den lieben Gott haben werde.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Pfarrer Michael Mohr / © Natalie Kuhls (privat)
Pfarrer Michael Mohr / © Natalie Kuhls ( privat )
Quelle:
DR
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