Der niederländische Missbrauchsbericht markiert nur einen Anfang

Eine Wunde geht auf

Der Sturm ist noch nicht vorbei. Nach der Veröffentlichung eines Berichts über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche der Niederlande haben sich die Bischöfe entschuldigt, auch in den Gottesdiensten. Bei Opfern kam diese Geste offenbar nicht gut an.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

Utrechts Erzbischof Wim Eijk, Vorsitzender der Bischofskonferenz, sprach von "Scham und Schmerz", kündigte Entschädigungen in Höhe von individuell 5.000 bis 100.000 Euro an. Am Sonntag wurde in den Gottesdiensten ein Hirtenbrief verlesen, in dem die Bischöfe ihren Umgang mit dem Skandal darlegten. Das war als konstruktive Maßnahme gedacht. Bei Opfern, so das Echo in den Medien am Montag, kam sie nicht gut an.



In dem Schreiben erläutern die Oberhirten, wie sie bislang angesichts der Missbrauchsfälle agierten: dass sie die Aufarbeitung der dunklen Vergangenheit mitgetragen hätten, auch mit aktiven Recherchen. Sie verweisen auf die Kompensationszahlungen, sagen eine strengere Auswahl von Priesteramtskandidaten und eine bessere Ausbildung in den Seminaren zu, wie es auch der Vatikan verlangt.



Auf Seiten der Betroffenen hingegen regiert Enttäuschung. Wim Deetman, früherer Minister und Leiter der Missbrauchskommission, hatte vorgeschlagen, dass die Bischöfe einen aus ihren Reihen ernennen, der als Kontaktmann für das Gespräch mit den Opfern fungiert. Die Kirchenführer hingegen möchten die Verantwortung nicht einem einzelnen auflasten. Sie wollen ein Gremium, bestehend aus einem Bischof, einem Vertreter der Orden und zwei Experten. Unter Missbrauchsopfern gibt es teils den Wunsch nach einem bischöflichen Bußakt. Vor allem aber sind viele verbittert, dass kaum jemand juristisch zur Verantwortung gezogen werden wird.



Bis zu 20.000 missbrauchte Kinder

Der Deetman-Bericht untersuchte sexuellen Missbrauch in katholischen Einrichtungen aus der Zeit von 1945 bis 1981. Anders als in Deutschland prüfte die Kommission nicht nur die Vorwürfe derer, die sich von sich aus meldeten, sondern befragte aktiv eine repräsentative Gruppe von 34.000 Personen - ehemalige Schüler aus Internaten und offenen Schulen, Missbrauchte und nicht Missbrauchte, Katholiken und Nichtkatholiken. Daraus ergab sich, dass jeder fünfte Zögling eines kirchlichen Internats Übergriffe erlebte - eine Quote, die doppelt so hoch ist wie außerhalb dieser Einrichtungen.



Zwischen 10.000 und 20.000 Kinder und Jugendliche dürften demnach in dem untersuchten Zeitraum landesweit missbraucht worden sein, wobei Missbrauch nach der Definition bei einem unerwünschten Anfassen beginnt. Die Kommission verzeichnete Anschuldigungen gegen rund 800 Kirchenmitarbeiter; 105 sind noch am Leben.



Noch viel Aufarbeitung vor sich

Aber die Fälle sind durch die Bank verjährt. Daher gilt als unwahrscheinlich, dass Täter rechtlich belangt werden. Freilich ist auch die Reputation einzelner Bischöfe in Mitleidenschaft gezogen. Kardinal Adrianus Simonis, der beteuerte, von Missbrauchsfällen nichts gewusst zu haben, hatte in Utrecht einen bereits als pädophil aufgefallenen Priester eingestellt. Bischof Ronald Bär, emeritierter Bistumsleiter von Rotterdam, weihte fünf Kandidaten zu Klerikern, die sich später an jungen Menschen vergingen. Bär selbst, heute 83, soll seinerzeit Hausverbot im Priesterseminar gehabt haben, weil er angeblich sexuelle Kontakte zu den angehenden Geistlichen suchte.



In die Bestürzung über die Kirche mischen sich auch Anfragen an die niederländische Gesellschaft insgesamt. Die Nachkriegsgeneration war zu Härte und Schweigsamkeit erzogen worden. Kritik an Autoritätspersonen zu üben, gehörte wie in Deutschland nicht zum Erziehungskonzept. Vor dem Hintergrund seines Berichts stellte Deetman auch die Frage, was in der gegenwärtigen Gesellschaft falsch läuft, dass Phänomene wie Kinderpornografie oder innerfamiliäre Gewalt überhaupt entstehen.



Nicht nur die katholische Kirche in den Niederlanden hat noch viel Aufarbeitung vor sich. Derzeit arbeitet eine Kommission unter Leitung der früheren Generalstaatsanwältin Rieke Samson die Missbrauchsvergangenheit an staatlichen Einrichtungen auf. Der Bericht soll im nächsten Jahr vorgelegt werden, vielleicht auch erst 2013. Bis jetzt zeichnet sich ab, dass die Fälle weniger zahlreich sein werden - was mit engeren Kriterien gegenüber dem Deetman-Bericht zu tun hat -, aber erschreckend viele schwere Delikte wie Vergewaltigungen umfasst. Es scheint, als ziehe eine neue Sturmfront herauf.