Der musische Katholik und politische Denker Hans Maier wird 80

Fünf Leben in einem

Eine internationale Tagung in Rom, eine Lesereise, Sitzungen des Kuratoriums der Politischen Akademie Tutzing - in Hans Maiers Kalender stehen in diesen Tagen viele Termine. "Im Ruhestand bin ich schon lange, aber auf die Ruhe warte ich noch", sagt der rastlose Geist, der am Samstag 80 Jahre alt wird.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
 (DR)

An diesem Tag kann Maier Rückschau halten, nicht nur auf ein, sondern im Grunde auf fünf Leben als Wissenschaftler, Politiker, Katholik, Kirchenmusiker und Familienmensch. Vorbei ist für ihn davon lediglich die Politik. Immerhin 16 Jahre diente er als bayerischer Kultusminister, erst unter Alfons Goppel, dann unter Franz Josef Strauß. "Ein hochbegabter Mensch, dem aber die Selbstbeherrschung fehlte", lautet heute sein Urteil über den CSU-Übervater Strauß. Der neue baden-württembergische Regierungschef Winfried Kretschmann nötigt ihm dagegen Respekt ab: "Was für ein vernünftiger Grüner."



Aus aktuellen Debatten hält sich Maier, der einst mit Männern wie Norbert Blüm oder Erwin Teufel zur "Ministrantenriege" der Union zählte, schon seit 20 Jahren vornehm heraus, aber so viel ist klar:

Die Rechtschreibung zum Gegenstand regierungsamtlichen Handels zu machen, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Auch wenn er angesichts revolutionärer Umtriebe die befriedende Kraft der Ordnung stets zu schätzen wusste. "Das Amt des Weisen ist zu ordnen", zitiert er Thomas von Aquin.



Im Treppenhaus seines Anwesens im vornehmen Münchner Süden stapeln sich die Bücher. Längst ist in den Regalen kein Platz mehr, die Berge auf den Stufen scheinen genauso unaufhaltsam zu wachsen wie die Galerie mit Familienfotos an der Wand darüber. Die sechs Töchter haben ihm bisher neun Enkel beschert, und die wiederum schon zwei Urenkel.



Musik ist sein ältester Beruf

Auf dem Bechstein-Flügel von 1912, bei günstiger Gelegenheit gebraucht erworben, lässt Maier in der Diele mühelos die Läufe perlen. Die Musik ist sein ältester Beruf, obwohl er nie ein Examen abgelegt hat. Als Zwölfjähriger gewann ihn der Pfarrer seiner Freiburger Heimatgemeinde für das Orgelspiel in der Kirche, weil der Organist in den Krieg musste. Der verheerende Luftangriff vom 27. November 1944 auf seine Heimatstadt wurde dem Badener zur Zäsur seines Lebens. Das Paradies der Kindheit war auf einen Schlag zerstört, mit der Schwester entkam er dem Inferno nur knapp.



Wie Staat und Kirche nach der Hitlerzeit neuen Stand gewinnen könnten, trieb ihn als jungen Intellektuellen um. Mit großer Anteilnahme verfolgte er, wie die katholische Zentrumspartei nicht mehr auflebte und dafür die konfessionsübergreifende Christdemokratie entstand. Aus der Nähe zu Frankreich erwuchs sein - akademisches - Interesse als Politikwissenschaftler für revolutionäre und später für totalitäre Ideengebäude.



Buch mit Ratzinger

Lebhaft erinnert sich Maier an die Aufbruchstimmung zu Beginn der 1960er Jahre, politisch verbunden mit dem Ende der Adenauer-Ära, kirchlich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. "Das Fossil bewegt sich", fällt ihm dazu der Kommentar eines agnostischen Klassenkameraden ein.



Über "Demokratie in der Kirche" hat Maier mit Joseph Ratzinger vor vielen Jahren ein bemerkenswertes Buch geschrieben. Der einstige Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken schätzt den Papst als Schriftsteller und als Theologen. Auch wenn etwas zwischen beiden im Streit um die kirchliche Mitwirkung an der Schwangerenkonfliktberatung in Deutschland vor zwölf Jahren zerbrach. Der Gesprächsfaden ist abgerissen.



Maier gibt sich weiter unbeugsam in der Sache. Dennoch vermittelt er den Eindruck, als sei da noch etwas zu klären, wenigstens zu erklären - zwischen zwei in Ehren ergrauten Männern. Vielleicht findet sich eine Gelegenheit, wenn der Papst im September nach Deutschland kommt.