Der katholischer Pfarrer Hernandez zum Jahrestag des Gaza-Krieges

"Wir gewöhnen uns nie an diese Bilder"

Vor einem Jahr eskalierte der Konflikt zwischen Israel und der Hamas
- der Gaza-Krieg begann. Er kostete rund 1.300 Palästinenser und 13 Israelis das Leben. Von den Folgen des Krieges seien "praktisch alle Bereiche des alltäglichen Lebens betroffen", sagt Pfarrer Jorge Hernandez. Der 34-Jährige leitet seit Ostern die kleine katholische Gemeinde von Gaza.

 (DR)

KNA: Pfarrer Hernandez, hat die katholische Gemeinde von Gaza irgendwie an den Jahrestag des Kriegsausbruchs erinnert?
Hernandez: Einzelne Pfarreimitglieder waren bei der zentralen Kundgebung der Hamas und haben mir davon berichtet. Aber in unserer Gemeinde fiel der Jahrestag ja auf das Patronatsfest - unsere Kirche ist der Heiligen Familie geweiht. Wir haben ganz normal Gottesdienst gefeiert und dabei besonders für den Frieden gebetet. Unsere Leute haben alle dieselbe Hoffnung: Dass das neue Jahr besser werden möge als dieses.

KNA: Wie reagiert man denn darauf, dass am Vortag erneut drei Menschen in Gaza von israelischem Militär getötet wurden?
Hernandez: Ich habe davon aus den Medien erfahren. Israel hat wohl gesagt, die Männer seien der Grenze zu nah gekommen. Aber ich warte noch auf detailliertere Berichte. Durch die Medien bekommen wir solche Geschehnisse mit. Aber wir gewöhnen uns nie an diese Bilder.
Es drückt jedes Mal erneut auf die Stimmung.

KNA: Inwieweit leiden die Mitglieder Ihrer Pfarrei noch unter den Folgen des Krieges?
Hernandez: Viele haben Verwandte oder Freunde verloren. Die allermeisten haben außerdem Schäden an ihren Häusern, die wegen des Mangels an Baumaterial nicht behoben werden können. Israel lässt ja kaum etwas zu uns herein. Was da ist, kommt über die Tunnels aus Ägypten - diese Sachen sind sehr teuer und haben schlechte Qualität. Viele Leute stopfen die Löcher in ihren Häusern einfach mit Plastik. Zudem sind sehr viele Menschen durch die Blockade gegen den Gazastreifen arbeitslos. Das sind nur einige Beispiele. Es sind ja praktisch alle Bereiche des alltäglichen Lebens betroffen: Wasser, medizinische Versorgung, Nahrungsmittel, alles. Und natürlich haben die Menschen seelische Schäden erlitten. Die seelischen Wunden heilen nur sehr, sehr langsam.

KNA: Gibt es psychologische Betreuung, zum Beispiel für traumatisierte Kinder?
Hernandez: Viel zu wenig. Für solche Dinge ist einfach kein Geld da.
Wir spüren die Folgen täglich in unserer Schule durch die vielen verhaltensauffälligen Kinder. Ein Junge zum Beispiel zieht immer eine Kapuze über, auch wenn es gar nicht kalt ist. Wahrscheinlich ist die Kapuze für ihn so etwas wie ein kleiner Schutzraum, in dem er sich verstecken kann. Die Jungen spielen außerdem alle mit Waffen-Imitaten. Es ist hier der größte Kinderwunsch, ein möglichst großes Plastikgewehr zu besitzen - so wie sich in Argentinien jeder Junge einen Fußball wünscht. Das sind alles Folgen davon, dass die Kinder in einer kaputten, von Gewalt gezeichneten Welt aufwachsen. Sie wollen sich stark fühlen.

KNA: Wie versucht die Kirche damit umzugehen?
Hernandez: Wir haben die Jugendarbeit stark ausgebaut: Samstags kommen rund 150 Kinder zu uns ins Oratorium, die sind natürlich nicht nur katholisch, sondern auch orthodox. Und mittwochs kommen die Älteren, etwa 100. Wir singen und beten zusammen, lernen den Katechismus und essen etwas. Oder wir spielen einfach Ball - es gibt für die Kinder viel zu wenig Freizeitangebote, Orte, wo sie einfach toben können. Oder wir spielen miteinander Theater: Die Kinder müssen ja irgendwie ihre Gefühle ausdrücken können und dafür eine verständnisvolle, liebevolle Umgebung haben. Die Menschen hier verdrängen das Erlebte oft, um den Alltag bewältigen zu können und nicht völlig unterzugehen.

KNA: Was wollen sie den Kindern dabei mitgeben?

Hernandez: Wir versuchen, ihnen grundlegende Werte wie Freundschaft oder Hilfsbereitschaft zu vermitteln. Dafür ist auch die Solidarität der Kirche von außen sehr wichtig: Sie zeigt uns, dass wir nicht allein gelassen werden. Vor allem müssen wir die Spirale von Gewalt, Hass und Rache durchbrechen. Die Kinder haben Furchtbares erlebt. Und die Stimmung zu Hause ist oft auch nicht gut. Da ist es sehr schwer, nicht selbst mit Aggressionen zu reagieren. Die Familien leben zudem in einem Gefühl völliger Ohnmacht. Sie haben keinerlei Möglichkeit, die Entwicklung irgendwie zu beeinflussen. Es gibt so eine verbreitete Haltung der bewussten Resignation.

KNA: Wie kann man dem begegnen?
Hernandez: Unsere wichtigste Stütze ist in all diesen Schwierigkeiten der Glaube an Gott, der uns auch in den dunkelsten Stunden begleitet und stärkt. Darum ist es unser erstes Ziel, den Kindern und ihren Eltern die Nähe Jesu zu vermitteln. Wenn unsere eigentliche Heimat nicht hier sondern bei Gott ist, bekommt auch ein scheinbar zerstörtes Leben noch Sinn. Und in diesem Bewusstsein können wir auch auf bessere Zeiten hoffen.

Das Gespräch führte Gaby Fröhlich.