Der jüdische Publizist Günther B. Ginzel zu berechtiger Israelkritik und Nutznießern der Antisemitismus-Debatte

"Hysterische Truppen"

Antisemitismus- und Antizionismusvorwürfe haben wieder einmal Hochkonjunktur. Darf z.B. ein Jude eine Jüdin antisemitisch nennen? Irgendwie ja, irgendwie aber auch nein, hat das Gericht nun im Kasus Broder vs. Hecht-Galinski entschieden. Ist Israelkritik automatisch antizionistisch? Der jüdische Publizist Günther B. Ginzel versucht im domradio-Interview den Nebel zu lichten und Ross und Reiter zu benennen.

Autor/in:
dr
Streitpunkt: Mauer in Israel (hier eine Kunstaktion von 2007) (KNA)
Streitpunkt: Mauer in Israel (hier eine Kunstaktion von 2007) / ( KNA )

domradio: Nach dem Zivilisationsbruch von Auschwitz und dem Zweiten Weltkrieg ist Kritik an Israel von deutscher Seite schwierig. Aber sollte Kritik völlig unterlassen werden?
Ginzel: Nein, ich glaube nicht, dass das schwierig ist, es wird oftmals schwierig gemacht! Die Problematik ist, dass beim Thema Israel oftmals so unendlich viele unterschwellige Antipathien mit hineinspielen. Aber auch die kann man nicht einfach verbieten. Selbstverständlich kann man Israel kritisieren und muss man Israel kritisieren. Ich gehöre zu denen, die das tun, wenn ich an den Siedlungsbau denke oder an die Wirtschaftspolitik. Israel ist ein westliche Demokratie und dementsprechend muss sie sich Kritik gefallen lassen. Und die Israelis sind Meister in der Kritik des eigenen Landes.

domradio: Der Antisemitismus-Vorwurf eignet sich in Deutschland hervorragend als Totschlagargument. Wer einmal als Antisemit im öffentlichen Diskurs gebranntmarkt wurde, ist ausgeschlossen. Heißt das nicht, dass wir sehr vorsichtig mit diesem Vorwurf umgehen müssen?
Ginzel: Man muss mit dem Vorwurf vorsichtig umgehen. Andererseits spielen auch viele damit. Wer hätte jemals den Gedanken gehabt, sich über Frau Hecht-Galinski zu unterhalten, hätte sie ihre Kritik nicht so irrational und abstrus formuliert, dass irgendjemand gesagt hat, sie sei eine jüdische Antisemitin. Und schon ist sie ein Thema und wird in Talkshows eingeladen!

Sie machen mit dem Verdacht, sie würden sich gegebenenfalls antisemitisch äußern, natürlich auch Karriere und werden bekannt. Das schwierige Problem insbesondere beim Thema Nahost ist, dass wir oft zu sehr Partei sind: Wir haben hysterische Truppen, die sich als die wahren Anwälte der Palästinenser oder der Israelis empfinden und die in einem totalen Schwarz-Weiß-Bild verharren. Das finde ich furchtbar störend. In diesem Kontext geht das ganz schnell: Selbstverständlich ist dann jeder innerpalästinensische Kritiker automatisch ein Hasser des Islam oder ein palästinensischer Nestbeschmutzer. Und das läuft auf der jüdischen Seite genauso und es gibt deutsche Spezialisten, die das genüsslich ausweiden.

domradio: Wie kann man sich denn politisch korrekt verhalten?
Ginzel: Ganz einfach: Wenn ich feststelle, dass mir eine bestimmte Politik nicht gefällt, dann benenne ich sie und sage: "Das ist ein himmelschreiendes Unrecht und ein Skandal und empfinde, dass die Menschenrechte hier mit Füßen getreten werden". Dann prallt an Ihnen ein möglicher Vorwurf des Antisemitismus vollkommen wirkungslos ab.

Es gibt konservativ geprägte Gruppen, selbstverständlich auch innerjüdisch, aber meist im Freundeskreis der Juden, die das Gefühl haben, sie müssten hier nun ständig verteidigend angreifen. Die sich sozusagen einer Verschwörung ausgesetzt sehen. Und die überall in der Presse linke Wüteriche erblicken, die natürlich anti-israelisch oder, das geht dann ganz schnell, antisemitisch wirken.

Sie haben doch eine vergleichbare Situation: Viele in der katholischen Kirche fühlen sich verfolgt, weil Kritik am Papst automatisch als antikatholisch gilt. Und das ist natürlich ein Argument, dass sofort kommt. Hier hilft nur Gelassenheit! Es gibt Antisemiten, die eindeutig Israel benutzen, um Antisemitismus zu betreiben. Das finden wir in der Neonazi-Szene und auch in der linken Anti-Globalisierungsszene. Aber es stimmt: Zu schnell wird dieser süffisante Vorwurf erhoben, ein Kritiker sei, vor allen Dingen, wenn er selbst Jude ist, irgendwie antisemitisch.