Der jüdische Friedhof Hamburg-Altona besteht seit 400 Jahren

Grüne Oase nahe Rotlichtviertel

Wenige hundert Meter entfernt von Hamburgs Rotlichtviertel liegt eine grüne Oase mit einzigartiger Geschichte. Der Jüdische Friedhof an der Königstraße in Altona ist ein steingewordenes Archiv zur Geschichte des europäischen Judentums.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
 (DR)

Am Dienstag (31.05.2011) wird das rund 1.900 Hektar große Areal 400 Jahre alt. Begonnen hat alles mit der Zuwanderung zwangsgetaufter Juden von der Iberischen Halbinsel in die Hansestadt, wo sie ihren Glauben leben konnten. Am 31. Mai 1611 erwarben drei portugiesische Juden ein Grundstück, wo die entstehende jüdische Gemeinde ihre Toten bestatten konnte. Damit ist die Begräbnisstätte der älteste portugiesisch-jüdische Friedhof Nordeuropas. Gleichfalls ungewöhnlich: Fünf Jahre später ließen sich außer den sefardischen, also spanisch-portugiesischen Juden, auch deutsche Juden in einem angrenzenden Areal bestatten.



Dass rund 6.000 der einst fast 9.000 Gräber die Jahrhunderte überdauert haben, halten Wissenschaftler für eine kleine Sensation. Auf den von reichem Baumbestand beschirmten Grabsteinen sind Namen berühmter jüdischer Persönlichkeiten wie Natan Meyer, Schwager von Moses Mendelssohn, und Heinrich Heines Vater Samson zu finden. Die außergewöhnliche Grabkunst, die Halbreliefs edler Frauen, weinende Putten bis zu ganzen Genealogien vereinigt, fanden Forscher sonst nur in der Karibik oder in den Niederlanden.



Prunkvoll gestaltete Inschriften

Wer den Friedhof betritt, findet zunächst den portugiesischen Teil mit zahlreichen Pyramidalgräbern, die zumeist zweisprachige Inschriften in Hebräisch und Spanisch oder Portugiesisch aufweisen. Prunkvoll gestaltete Inschriften mit floralem Zierrat und biblischen Motiven zeugen vom Wohlstand der Bestatteten. Den weit größeren Teil des Friedhofs mit einst 7.000 Grabstellen macht der deutsch-jüdische Teil aus.



Noch fehlt ein ausgebautes Wegenetz; doch daran arbeitet zum Beispiel die Juristin und Kunsthistorikerin Irina von Jagow, seit 1995 Geschäftsführerin der Hamburger Stiftung Denkmalpflege. Beflügelt durch das Interesse vieler Hamburger, bemühte sich die Stiftung um ein städtisches Grundstück, auf dem inzwischen das Eduard-Duckesz-Haus steht. Der Altonaer Rabbiner Duckesz (1868-1944) hatte als erster Grabinschriften aufgenommen und Lebensgeschichten verzeichnet. Etwa seit 1871 wird der Friedhof nicht mehr belegt. Duckesz floh als betagter Mann vor den Nationalsozialisten nach Amsterdam, von wo er nach Auschwitz verschleppt und 1944 ermordet wurde.



Fast komplett erforscht

Das nach ihm benannte Haus am Eingang des Friedhofs verfügt über einen Seminarraum für Vorträge, Diskussionen und Lesungen sowie eine Bibliothek mit mehr als 1.000 wissenschaftlichen Werken über jüdische Kunst, Religion und Literatur. Seit gut 50 Jahren steht der Friedhof unter Denkmalschutz. Und nach Einschätzung von Fachleuten hat die Begräbnisstätte sogar gute Chancen, als erstes Hamburger Projekt in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen zu werden. Positiv dürfte sich dabei auch niederschlagen, dass der Antrag gemeinsam mit den jüdischen Begräbnisstätten auf Curacao, Jamaika und in Surinam erfolgt, die ebenfalls noch ohne Weltkulturerbe sind.



Der Jüdische Friedhof Altona ist inzwischen komplett erforscht - bis auf ein Areal zwischen deutschem und portugiesischem Teil: Die Überreste des im Dritten Reich zerstörten Grabfeldes für die Hamburger Juden wurden erst kürzlich gefunden. An dieser Stelle richtete sich die Hitlerjugend einen Fußballplatz ein - als Ersatz für die Sportplätze, wo Baracken für Bombenopfer standen, erklärt Irina von Jagow. Durch die Erforschung des Geländes kann jetzt, gut 65 Jahre nach Ende dieses dunklen Kapitels deutscher Geschichte, auch die letzte Forschungslücke über den Jüdischen Friedhof Altona geschlossen werden.