Der Historiker Weinfurter zur Rolle der Salier

Der Beginn der Entsakralisierung

Im Speyerer Historischen Museum der Pfalz eröffnet Samstag eine große Ausstellung über die Salier. Für den Heidelberger Historiker Stefan Weinfurter ist die Zeit der salischen Kaiser und Könige eine Epoche, in der entscheidende Umbrüche im Verhältnis zwischen Staat und Kirche stattgefunden haben und die bis heute nachwirkt.

 (DR)

KNA: Herr Professor Weinfurter, was fasziniert Sie an den Saliern?

Weinfurter: Das Jahrhundert der Salier ist nicht nur eine Zeit der Umbrüche, sondern auch eine Phase, in der für die folgenden Jahrhunderte die Grundlagen für die Geschichte Deutschlands und weiter Teile Europas gelegt werden. Das Aufregende ist: Es bilden sich moderne Formen des Zusammenlebens heraus: Die arbeitsteilige Gesellschaft entsteht, es geht um die Optimierung von Leistung und Wertsteigerung, um eine immer stärkere Mobilität und um bessere Aufstiegschancen für Menschen aus unteren Schichten.



KNA: Sie bescheinigen den Saliern auch ein bis dahin nicht gekanntes Selbstverständnis.

Weinfurter: Die Salier sahen sich immer als Angehörige ihres Hauses. Dieses neue dynastische Selbstverständnis ist in Ansätzen schon bei den Ottonen vorhanden. Und für die Salier ist das Marienpatrozinium, also das Verehren der Gottesmutter, von ganz entscheidender Bedeutung. Maria ist die transzendente Mutter. Die salischen Herrscher sahen sich dadurch der Christusdynastie zugehörig. Ein sehr wichtiger Ausdruck davon ist die Hausgrablege der salischen Kaiser im Speyerer Dom, denn diese Kirche ist der heiligen Maria geweiht.



KNA: Ist die Salierzeit auch eine Zeit der Zentralisierung?

Weinfurter: Ja. Es gibt ein Ringen zwischen genossenschaftlichen Ideen einerseits und Hierarchisierungsprozessen in Staat und Kirche andererseits. Im Jahrhundert der Salier bilden sich drei Gruppen heraus: Die einen arbeiten, die anderen organisieren Schutz und Verteidigung, und die dritten sind für das Seelenheil der Menschen verantwortlich. Damit jede Gruppe ihre Aufgabe möglichst gut erfüllt, muss es funktionierende Organisationen und klare Regeln geben. Das gilt vor allem für die Kirche. Hier schält sich der Papst als höchste Autorität heraus, der die Macht hat, über Gut und Böse zu entscheiden und von den Menschen absoluten Gehorsam zu fordern. So entsteht das universale Papsttum mit dem Anspruch, in Welt und Kirche die oberste Instanz zu sein. Dies alles geschieht in der Überzeugung, nur auf diese Weise dem Seelenheil der Menschen dienen zu können. Die Hierarchisierung ist also eine Folge eines Optimierungsstrebens.



KNA: Welche Folgen haben diese Veränderungen im Selbstverständnis des apostolischen Stuhls?

Weinfurter: Im Jahr 1075 beansprucht der Papst erstmals in dieser Klarheit, jeden Bischof seines Amtes entheben und auch wieder einsetzen zu können. Das ist für die damalige Zeit etwas Ungeheuerliches, denn die Bischöfe verstehen sich als eine korporative Gemeinschaft. Erstmals behauptet ein Papst auch, er könne Könige und Kaiser absetzen und gewissermaßen aus dem Amt jagen. Königen und Kaisern wird die Unmittelbarkeit zu Gott abgeschnitten, weil sich der Papst als Stellvertreter Christi dazwischen schiebt.



KNA: Gleichzeitig gibt Rom dem Anspruch der heute wieder viel diskutierten Ehelosigkeit von Priestern eine neue Qualität.

Weinfurter: Auch das ist eine Folge des Optimierungsanspruchs. Die Kirche kann ihre Funktion nur erfüllen, wenn ihre Amtsträger selbst moralisch tadellos, also gereinigt, leben. Die Forderung ist nicht neu, sie ist aber bis dahin kaum beachtet worden. Die meisten Priester hatten eine Frau, damit der Laden - die Pfarrei - in Schwung blieb. Die Eiferer sahen dagegen durch Priester, die mit einer Frau zusammenleben, das Seelenheil der Menschen gefährdet, weil sie die von beweibten Priestern gespendeten Sakramente als unwirksam erachteten. Das 1073 verkündete päpstliche Verbot der Priesterehe stößt zunächst auf heftigste Ablehnung. Nicht nur bei den Priestern, auch bei den Bischöfen.



KNA: Wie steht es um die Rolle der Frauen in der Kirche?

Weinfurter: In dieser Zeit der Kirchenreform entstand die Auffassung, eine Frau bringe einem Priester automatisch das Verderben. Ernsthaft wurde über die aberwitzige Vorstellung debattiert, dass nur die obere Hälfte der Frau getauft werden könne. Dies führte gesellschaftlich zu einer Abwertung der Frauen. Zugleich aber wandten sich die Reformer dem Ideal der christlichen Urkirche zu, in der Frauen und Männer gleichberechtigt zusammenlebten. Die Frauen wurden als die gesehen, die als letzte unter dem Kreuz Christi ausgeharrt hatten. Also eine klare Aufwertung. Es konkurrierten somit ganz unterschiedliche Konzepte miteinander.



KNA: Bis heute im deutschen Sprachgebrauch erhalten ist der "Gang nach Canossa" des Saliers Heinrich IV. als Sinnbild einer Unterwerfung. Wer ist der eigentliche Sieger im Konflikt zwischen König und Papst aus dem Jahre 1077?

Weinfurter: Eindeutig der Papst - auch wenn er kurzfristig wie der Verlierer aussieht. Denn Papst Gregor VII. scheitert persönlich. Er muss ins Exil nach Salerno, wo er 1085 ziemlich unbeachtet stirbt.

Der Kaiser kann sich militärisch und politisch behaupten. Längerfristig aber setzen sich die neuen moralisch-ethischen Ideen und Forderungen der Reformkirche durch, für die Gregor VII. stand. Mit dem Investiturstreit ist die allmähliche Entsakralisierung von König und Kaiser verbunden. Als Folge davon muss sich die weltlich-staatliche Gewalt neu definieren und legitimieren. Zum Beispiel setzt sich jetzt die Königswahl durch die Fürsten durch. Dieser Prozess ist unumkehrbar. Wir sehen den Beginn einer Entwicklung, die langfristig, in einem Verlauf über viele Jahrhunderte, zur Trennung von Kirche und Welt führt. Der Kaiser kann sich zwar auch künftig auf die Gnade Gottes berufen, aber seine Gewalt nie mehr durch die Stellvertreterschaft Gottes begründen.



Das Gespräch führte Michael Jacquemain.