Der frühere Pfarrer und CDU-Bundesvize Heinz Eggert nimmt Abschied von der Politik

"Wir haben nicht genug Kluge in den Parlamenten"

Der einstige stellvertretende CDU-Bundesvize und frühere sächsische Innenminister Heinz Eggert nimmt Abschied von der Politik. Nach 15 Jahren als Abgeordneter tritt er zur Landtagswahl am 30. August nicht mehr an. Im Gespräch versichert der 63-Jährige, er werde "nie zu den altklugen Altpolitikern gehören, die in Talkshows ihren Nachfolgern sagen, was die besser machen sollen".

 (DR)

ddp: Herr Eggert, seit der Wende sind Sie politisch aktiv, nun treten Sie nicht mehr zur Landtagswahl an - warum nicht?
Eggert: Es ist besser, selber zu gehen, als tot aus dem Landtag getragen zu werden. Nach fast 20 Jahren bin ich froh, die Verantwortung wieder abgeben zu können. Ich war vorher Pfarrer. Seit zwei Jahren arbeite ich im Hospiz und kümmere mich um Menschen, die im Sterben liegen. Ich habe gelernt, das Leben vom Tod her zu denken. Keiner weiß, wie viel Zeit er noch hat. Im Übrigen bin ich jetzt knapp 20 Jahre meinem Vorsatz, kein politisches Amt zu übernehmen, untreu gewesen. Ein solches Schild stand in der Wendezeit auf meinem Schreibtisch. Damals hatten alle Parteien außer der SED gefragt, ob ich für sie in die Volkskammer gehe. Aber ich hatte eine viel zu schlechte Meinung von Politik und Politikern.

ddp: Und hat sich das im Verlauf der Jahre geändert?
Eggert: Politik ist unzulänglich, um die drängendsten Probleme der Menschen innerhalb kürzester Zeit zu lösen. Aber sie ist zugleich auch das einzige Mittel dazu. Politik ist ein ungeheuer schwerer Karren, den man nur mit Riesenanstrengung millimeterweise in die gewünschte Richtung bringen kann, weil es so viele Gegen- und Fliehkräfte gibt. Wer in die Politik geht, der muss lebenserfahren und darf nicht harmoniebedürftig sein - und muss eine Menge aushalten können. Es hat einmal Diffamierungen gegen mich gegeben, ansonsten bin ich eigentlich sehr gern in der Politik gewesen. Wer allerdings als Politiker glaubt, er müsse immer erfolgsorientiert sein, der irrt. Der Großteil der politischen Tagesarbeit besteht eigentlich in einer vorprogrammierten Erfolgslosigkeit. Selbst wenn man etwas für richtig erkannt hat, bekommt man dafür nicht immer die erforderlichen Mehrheiten.

ddp: Warum sind Sie im Oktober 1990 in die CDU eingetreten?
Eggert: Ich wäre beinahe in der SPD gewesen. Die Einladung zur Gründung der Ost-SDP im Oktober 1989 in Schwante konnte ich nur deshalb nicht annehmen, weil ich als Pfarrer eine Beerdigung und keine Zeit hatte. Aus der SPD wäre ich allerdings schon im Februar 1990 wieder ausgetreten - wegen des Lamentierens von Lafontaine in Bezug auf die deutsche Einheit. In die CDU bin ich auch deshalb gegangen, weil Arnold Vaatz mich darum bat. Ich wollte wie er, dass sich in der CDU die Erneuerer durchsetzen. Das wird heute häufig vergessen: Bevor Kurt Biedenkopf kam, drohte mit Klaus Reichenbach ein Funktionär aus DDR-Zeiten Ministerpräsident zu werden. Das wäre für mich inakzeptabel gewesen.

ddp: Was ist jetzt anders in der Politik, als es nach der Wende war?
Eggert: Anfangs konnte man offener diskutieren als heute, es gab noch nicht das Denken in Parteistrukturen, sondern es wurde nach der besten Lösung gesucht. Damals gab es im Osten eine Menge Quereinsteiger. Ich wäre übrigens nie in den Landtag gegangen, wenn mich die Bevölkerung nicht direkt gewählt hätte. Es ist für mich bis heute ehrenrührig, über eine Parteiliste in ein Parlament zu kommen. Dafür wird von der Parteiführung auch Gehorsam und Disziplin verlangt. Da ist das Erpressungspotenzial größer. 2004 habe ich sogar überlegt, ob ich mein Mandat überhaupt annehme. Ich hatte bei der Abstimmung nach dem «Hartz IV»-Sommer nicht mehr wie vorher 65 Prozent, sondern nur noch 48 Prozent bekommen. Das war mir zu wenig.

ddp: Der scheidende FDP-Bundestagsabgeordnete Konrad Schily, auch ein Quereinsteiger, hat unlängst kritisiert, dass in der Politik die Zeit «für wirkliches Nachdenken und tiefer gehende Auseinandersetzung» fehlt.
Eggert: So habe ich das nicht erlebt. Wir haben nicht genug Kluge in den Parlamenten - wobei Klugheit allein auch nichts bringt, wenn die soziale Kompetenz ausbleibt. Ich erlebe immer mehr Menschen in der Politik, die zwar rhetorisch begabt sind, die aber zum Beispiel gar nicht wissen, wie einer Familie zumute ist, die mit drei oder vier Kindern von «Hartz IV» leben muss.

ddp: Dem Landtag steht ein für Sachsen einmaliger Generationswechsel bevor. Sehen Sie das mit Sorge?
Eggert: Manches, nicht alles. Wenn ein junger Mensch ohne große Anstrengung zu einem Amt kommt, in dem er 5000 Euro verdient, muss er aufpassen, dass er nicht abhebt. Wir müssen aufpassen, dass der Anteil von Schauspiel an der Politik nicht über 30 Prozent kommt. Gern versuchen Hinterbänkler vorwiegend im Sommerloch, mit ganz abstrusen Ideen Schlagzeilen zu machen, die in den Redaktionen vorgekaut wurden und man den Politikern in den Mund legt. Nach 20 Jahren kenne ich die Mechanismen zwischen Politik und Medien. Für mich sind Journalisten wichtige Gesprächspartner gewesen. Strategisch habe ich mich allerdings weder von Medien noch von Politikern benutzen lassen. Das hat auch manchen in der eigenen Partei Angst gemacht. Übrigens kann man als einfacher Landtagsabgeordneter weitaus einflussreicher sein als ein Minister.

ddp: Weil man als Minister machtlos ist?
Eggert: Weil ich als einfacher Abgeordneter anders agieren kann. Ich hatte es dabei leichter als die meisten anderen, weil ich die Minister persönlich kannte. Aber auch diese Möglichkeit muss man erst einmal nutzen. Ich habe jeden angesprochen, den ich für die Lösung meines Problems brauchte, und wenn es der Kanzler war. Mit dem Anstoßen von Themen, ohne auf irgendeinem Ticket zu fahren oder vorher angerufen zu werden oder zu haben, bin ich immerhin CDU-Bundesvize geworden - und nicht als Quotenossi. Angela Merkel war ja schon da. Zwei von vier Stellvertretern kamen damals plötzlich aus dem Osten. Und Volker Rühe flog raus.

ddp: Biedenkopf vertrat kürzlich die These, dass die Sachsen viel personenbezogener wählen als die anderen Deutschen. Von welchem der bisherigen sächsischen Ministerpräsidenten würden Sie Ihre Interessen am liebsten vertreten lassen?
Eggert: Stanislaw Tillich wird sich noch bewähren, davon bin ich überzeugt. Biedenkopf und Georg Milbradt waren auf ihre Art sehr durchsetzungsstark, wobei Biedenkopf der Diplomatischere war. Biedenkopf ist ein Glück für Sachsen gewesen, und Sachsen war ein Glück für Biedenkopf. Ich bin übrigens überzeugt, dass selbst Biedenkopf 2004 keine absolute Mehrheit mehr bekommen hätte. Zur Wirkung von Personen sag ich immer: Ein knurriger Priester kann jemandem die Tür zum Gottesglauben versperren. Auch in der Politik zählt die Mischung aus den Botschaften und den persönlichen Eigenschaften, wie Durchsetzungsstärke und Freundlichkeit.

ddp: Wie geht die Landtagswahl aus?
Eggert: Die CDU wird stärkste Kraft, die Linke bleiben an zweiter Stelle, werden aber an Zustimmung verlieren. Dritter wid die SPD oder die FDP - was für die Bundes-SPD momentan negativ Ulla Schmidt ist, ist für die Landes-SPD Karl Nolle. Und dann hoffe ich, dass die Rechtsextremen mit 4,7 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

ddp: Kommt für Sie nun ein Job als Politik-Berater in Frage?
Eggert: Wer sich aus der Politik verabschiedet, sollte so etwas nicht machen. Ich werde den Strang zur Politik durchschneiden und nie zu den altklugen Altpolitikern gehören, die in Talkshows ihren Nachfolgern sagen, was die besser machen sollen. Dann wäre es ausgesprochen schwachsinnig gewesen, meine Machtposition in der Politik jetzt aufzugeben. Ich habe viele Angebote, will meinen Ruhestand aber nicht so organisieren, dass ich mehr zu tun habe als vor dem Ruhestand. Was mir Spaß macht, sind Diskussionen und Auseinandersetzungen. Und ich moderiere gern. Fernsehmachen war für mich immer wie ein ganz normales Gespräch unter Bekannten. Eine Autobiografie wird es schon deshalb nicht geben, weil ich nicht auf den Wühltischen einer Buchhandlung für vier Euro landen will. Da landet bislang noch jedes Politiker-Buch.