In der FDP ist der Glaube längst kein Tabu mehr

Liberale Bekenntnisse

Für Beobachter war es eine Überraschung: Das ganze Kabinett legte den Amtseid mit dem Zusatz "so wahr mir Gott helfe" ab - also auch alle FDP-Minister. Der Koalitionsvertrag würdigt ausdrücklich den Beitrag der Kirchen für das Wertefundament des Staates. Dies sind auch Zeichen für ein gewandeltes Verhältnis der Liberalen zur Religion.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

Die traditionelle Distanz, ja kühle Zurückweisung ins rein Private ist einer Offenheit gewichen. Für Parteichef Guido Westerwelle hat sich eben "mancher gesellschaftliche Konflikt überlebt". Als gläubiger Christ gehe er "aus Überzeugung" zur Kirche, bekannte der Außenminister unlängst.

Beim Evangelischen Kirchentag 2009 in Bremen sowie auf dem Katholikentag 2008 in Osnabrück luden die Liberalen zum Empfang. Das Verhältnis zu den Kirchen gestalte sich inzwischen "intensiv kooperationsorientiert", meint der kirchen- und religionspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Hans-Michael Goldmann. 2005 kam er als erster Vertreter der Liberalen in das Zentralkomitee der deutschen Katholiken.

Das Ausmaß des Wandels wird deutlich, wenn man auf die Freiburger Thesen von 1974 schaut. Seinerzeit verlangten die Liberalen das Ende aller Konkordate sowie des staatlichen Kirchensteuereinzugs. Die Kirchen sollten ihren Körperschaftsstatus verlieren, Kreuze aus Klassenzimmern und Gerichten verschwinden.

Inzwischen geben neue Leitlinien des Bundesvorstandes von Januar
2008 den Ton an. Sie verstehen die weltanschauliche Neutralität des Staates im Sinne einer "positiv- und partnerschaftlichen Zuordnung" von Glaubens- und Religionsgemeinschaften. Dieses "Kooperationsprinzip" fand sich auch in Wahlprogramm.

Kirchlich engagierte Kräfte gab es schon immer
Für Patrick Meinhardt ist dies längst selbstverständlich. Der 43-Jährige, der in Heidelberg unter anderem evangelische Theologie studiert hat, zog zum zweiten Mal für die Liberalen in den Bundestag ein. Mit den Parlamentarischen Geschäftsführern Jörg van Essen und Otto Fricke gründete er im Frühjahr das Netzwerk "Christen in der FDP-Bundestagsfraktion", dem sich im neuen Bundestag bereits 41 der
93 Fraktionsmitglieder angeschlossen haben. Es soll "den Bogen zwischen liberaler Politik und christlicher Werteorientierung" spannen.

Freilich gab es schon immer kirchlich engagierte Kräfte unter den Liberalen, wie Otto Graf Lambsdorff oder Irmgard Schwaetzer. Neu scheint das Gewicht, das dem Religiösen auch im öffentlichen Raum zugestanden wird. Dafür steht auch Gesundheitsminister Philipp Rösler. Der 36-Jährige ließ sich im Erwachsenenalter taufen und gehört ebenfalls dem ZdK an. Nach Meinhardts Einschätzung gehen gerade die Jüngeren "unbefangener mit der Religionsfrage um".

Die Analyse von Forsa-Chef Manfred Güllner, dass die FDP im bürgerlichen Lager "inzwischen eine Alternative zur Union" darstelle, da die konfessionelle Bindung im Wahlverhalten zunehmend relativiert werde, bestätigte sich bei der Bundestagswahl. CDU und CSU verloren überproportional katholische Wählerstimmen. Größter Profiteur ist demnach die FDP. Der Katholikenanteil liegt bei den Liberalen jetzt bei 14 Prozent.

Differenzen bleiben bestehen
Dennoch gibt es weiter Differenzen gegenüber Positionen der katholischen Kirche, etwa bei der Forderung nach Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften oder der Forschung an embryonalen Stammzellen. Oder auch beim Thema des assistierten Suizids, wo die Koalition die "gewerbsmäßige Vermittlung" verbieten will. Dies soll aber nach Angaben von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger allein die Geschäftemacher betreffen.

Die Sphären sollten auch künftig sauber getrennt sein, sagt Meinhardt. Dennoch: "Eine liberale Geisteshaltung ist durchaus mit christlicher, mit religiöser Überzeugung in Einklang zu bringen", resümiert Goldmann, der als Beauftragter für alle Religionen bewusst nicht Mitglied des Netzwerks der Christen in der FDP ist. Er fordert, die "Normalisierung" in der FDP formal zu besiegeln. Dafür sei ein entsprechendes Votum der Partei nötig. Denn als Grundlage gelten offiziell weiterhin die Freiburger Thesen.