Eindrückliche Foto-Schau über die Schlafplätze von Kindern

Der eine liegt zwischen Kuscheltieren, der andere im Dreck

Dutzende Kinder aus aller Welt samt ihrer Schlaforte zeigt die Foto-Ausstellung "Where Children Sleep" im Edwin-Scharff-Museum in Neu-Ulm. Die Bilder sind brillant, der Besuch ist bedrückend.

Autor/in:
Christopher Beschnitt
"Where children sleep": Indira, 7 Jahre, Kathmandu, Nepal / © James Mollison (Flatland Gallery)
"Where children sleep": Indira, 7 Jahre, Kathmandu, Nepal / © James Mollison ( Flatland Gallery )

Bei jedem Schritt ächzt unter den Füßen das alte Fischgrätparkett. Ob es das auch bei Ram täte? Der neunjährige Nepalese scheint so schmal, seine Finger wirken wie dürre Ranken.

Ram ist eines von ein paar Dutzend Kindern, die derzeit im Neu-Ulmer Edwin-Scharff-Museum zu sehen sind. Bis 6. Februar 2022 läuft dort die Ausstellung "Where Children Sleep". Gezeigt werden großformatige Fotografien des englischen Künstlers James Mollison, dessen Werke renommierte Titel wie "The New Yorker" oder "Le Monde" veröffentlicht haben. Neben Jungen und Mädchen aus der ganzen Welt hat er auch deren Schlafplätze abgelichtet - und damit alle Ungerechtigkeit der Erde.

Plüschweich hier, ziegelhart dort

Rams Schlafplatz sieht auf den ersten Blick aus wie eine Speisekammer. Irgendwelche Knollen gesellen sich dort zu Reis und einem Kohlkopf. Auf der rohen dreckigen Erde eine Bastmatte, die Wände aus halb verputzten Steinen, an einer Seite verhängt von einer löchrigen Plane. Diesen Ort hat Ram nicht für sich allein. Er lebt mit seinen Eltern und vier Brüdern "in einer winzigen Hütte, die nicht viel höher ist als er selbst", wie es im Bildtext heißt. Die Hütte auf dem Gelände einer Ziegelfabrik, in der Ram schuftet, verfügt nur über zwei Räume - eine Küche und eben den Schlafbereich.

Gegenüber von Ram hängt Harrison. Der achtjährige Amerikaner hat keine Dreckflecken im Gesicht wie der Nepalese. Seine Haare sind frisch gescheitelt, der Hemdkragen lugt akkurat gebügelt aus einem teuer wirkenden Karo-Muster-Pulli hervor. Harrison hat in der Villa seiner Eltern keinen Schlafplatz, er hat ein Schlafzimmer - samt eigenem Bad. Anders als im Museum dürfte es auf dem Boden dort beim Durchgehen nicht knarzen, sondern höchstens leise knacken und quietschen. Denn der weiche Teppich ist übersät mit Spielzeugautos, darunter viele Ferraris. Auch das Bett ist eingelassen in die Form eines Rennwagens. Ringsherum hocken teils riesige Kuscheltiere.

Plüschweich ist das Kinderleben hier, ziegelhart ist es dort.

Mollison zeigt: Die Welt ist zum Schreien ungerecht. Nicht, dass das eine neue Erkenntnis wäre. Aber sie so deutlich vor Augen geführt zu bekommen, kann ebendiese doch feucht werden lassen. So stark ist der Ausdruck dieser brillanten Bilder, von denen je zwei zu einem Motiv genügen, um den Betrachter aufzuwühlen. Klar: Weil es furchtbar ist, wie manche Kinder auf dieser eigentlich so reichen Erde vegetieren.

Aber auch, weil man zweifelt, ob das nun beneidenswert ist: jeden Tag zwei Stunden zur Privatschule kutschiert zu werden wie Harrison.

Anfrage von vor mehr als 15 Jahren

Die Foto-Serie, heißt es vom Museum, erhebe keinen Anspruch auf Deutungshoheit. Sie lasse "komplexe gesellschaftliche Aspekte aufscheinen, die anregen, auf globaler Ebene über Gleichheit und Ungleichheit innerhalb und zwischen Gesellschaften nachzudenken".

Mollisons Schlafplatz-Kollektion geht auf eine Anfrage von vor mehr als 15 Jahren zurück. Damals sollte er ein Bildkonzept zum Thema Kinderrechte entwickeln. "Er erinnerte sich an sein eigenes Kinderzimmer und an das stolze Gefühl, ein eigenes Reich zu haben.

Schnell wurde ihm auch bewusst, wie privilegiert er im Vergleich zu vielen anderen Kindern war. Seitdem verfolgt Mollison das Projekt", so das Museum. Dabei leite ihn der Wunsch, eine Beziehung zu den dargestellten Kindern herzustellen und gerade bei Kindern selbst Interesse für deren Lebensumstände rund um den Globus zu wecken.

Passenderweise berücksichtigt die Schau beide Bereiche des Edwin-Scharff-Hauses: das Kunst- und auch das Kindermuseum. In letzterem läuft parallel die Ausstellung "Architektierisch. Bauten von Mensch und Tier". Dort erfahren die Kleinen zum Beispiel, wie Schwalben ihre Nester aus Lehm bauen und können das auch selbst versuchen.

Vielleicht wird Harrison später mal einen solchen Vogel behandeln.

Der Junge aus den USA möchte nämlich Tierarzt werden. Von Ram, dem Nepalesen, ist kein Wunsch für die Zukunft überliefert. Bei den meisten Jungen und Mädchen aus ähnlichen prekären Verhältnissen ist es genauso. Es scheint, als hätten die, die nichts haben, nicht einmal Hoffnung.


"Where children sleep": Jaime, 9 Jahre, New York, USA / © James Mollison (Flatland Gallery)
"Where children sleep": Jaime, 9 Jahre, New York, USA / © James Mollison ( Flatland Gallery )

"Where children sleep": Kaya, 4 Jahre, Tokio, Japan / © James Mollison (Flatland Gallery)
"Where children sleep": Kaya, 4 Jahre, Tokio, Japan / © James Mollison ( Flatland Gallery )

"Where children sleep": Irkena, 14 Jahre, Kaisut Wüste, Kenia / © James Mollison (Flatland Gallery)
"Where children sleep": Irkena, 14 Jahre, Kaisut Wüste, Kenia / © James Mollison ( Flatland Gallery )

"Where children sleep": Dong, 9 Jahre, Provinz Yunnan, China / © James Mollison (Flatland Gallery)
"Where children sleep": Dong, 9 Jahre, Provinz Yunnan, China / © James Mollison ( Flatland Gallery )

"Where children sleep": Delanie, 9 Jahre, New Jersey, USA / © James Mollison (Flatland Gallery)
"Where children sleep": Delanie, 9 Jahre, New Jersey, USA / © James Mollison ( Flatland Gallery )

"Where children sleep": Ahkôhxet, 8 Jahre, Amazonasbecken, Brasilien / © James Mollison (Flatland Gallery)
"Where children sleep": Ahkôhxet, 8 Jahre, Amazonasbecken, Brasilien / © James Mollison ( Flatland Gallery )
Quelle:
KNA