Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt wird 80

Die Seele aufreißen

Er steht für die Sinnlichkeit und Religiosität der Kunst: Nikolaus Harnoncourt, herausragender Dirigent und angenehm eigenwilliger Musiker, am 6. Dezember wird er 80. Und er verkörpert wie wenige andere die Rückbesinnung auf einen ursprünglichen Stil der Musik.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

Quellenstudium, alte Originalinstrumente, zum Teil fast vergessene Varianten, eine historische Aufführungspraxis von Renaissance- und Barockmusik. Selbst auf Flohmärkten suchte er mit seiner Frau, der Wiener Geigerin Alice Hoffelner, nach alten Instrumenten.

Dieses Engagement ist wirklich das Lebenswerk der Harnoncourts. 1953 gründeten sie den Concentus Musicus Wien, der intensivere Arbeit mit Originalinstrumenten und dem versunkenen musikalischen Praxis von Renaissance und Barock ermöglichte. Beide wurden belächelt, kritisiert und auch bekämpft - und blieben sich treu. Damit sorgten sie für eine Blüte des werk- und texttreuen Musizierens. Damit liest und versteht der Dirigent die meisten Komponisten, von denen der vertraute Hörer doch schon so vieles zu kennen glaubt, noch einmal neu. Bei Haydn zum Beispiel den Witz.

Nikolaus Harnoncourt, eigentlich Nikolaus de la Fontaine und d'Harnoncourt-Unverzagt, wurde in Berlin geboren, weil sein Vater, ein Bauingenieur, an der Errichtung des Spree-Havel-Kanals mitwirkte. Bald war die Familie wieder in der alten Heimatstadt Graz, die den, trotz des fernen Geburtsorts, berühmten Sohn der Stadt ehrt und verehrt - seit Jahrzehnten auch mit einem eigenen Klassik-Festival, der Styriarte. Das Kind lernte neben dem ungeliebten Klavier vor allem, mit acht Jahren, Cello. Dem Cellostudium an der Wiener Musikakademie folgte 1952 die Aufnahme als Cellist bei den Wiener Symphonikern. Dabei blieb er bis 1969.

Der Ruf des herausragenden Dirigenten kam später
Erst seit Anfang der 1970er Jahre dirigiert Harnoncourt auch und ist Gastdirigent bei den besten Orchestern Europas. Und seit langem hat er auch einen herausragenden Ruf als Operndirigent. So schwärmt der eine für seine Einspielung sämtlicher Bach-Kantaten, der andere für Haydn- oder Mozartinterpretationen oder auch für seine Aufführungen von Verdis "Aida" oder Monteverdis "Il Ritorno d'Ulisse". Dass er bei all dem keinen Taktstock zur Hand nimmt, zeigt, wie sehr er sich zurücknimmt.

Harnoncourt, dessen Bruder Philipp katholischer Liturgiewissenschaftler ist, bezeichnete die Kunst einmal als "die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet". Sie garantiere "unser Mensch-Sein". Er hält sich zurück mit einer explizit-religiösen Zuordnung. Aber Kunst macht nach seiner festen Überzeugung die Menschen betroffen, verweist sie hinaus über die Zeit, mag sie vielleicht auch verändern: "Musik muss die Seele aufreißen".

"Ich glaube, dass es überhaupt keinen Künstler gibt, der nicht gläubig ist. Nicht unbedingt im konfessionellen Sinne. Ich kann mir keinen wirklich bedeutenden Künstler vorstellen, der tatsächlich glaubt, dass er seine überragenden Fähigkeiten sich selbst zu verdanken hat."