Der demografische Wandel bringt ungewöhnliche Wohnprojekte hervor

Bauernhof statt Altenheim

Die zunehmende Zahl alter und pflegebedürftiger Menschen stellt Politik, Gesellschaft und Gesundheitsbranche vor Herausforderungen. Zunehmend bieten ungewöhnliche Alternativen zur den althergebrachten Seniorenheimen.

Autor/in:
Karsten Packeiser
 (DR)

Von ihrem mit Blumenkästen geschmückten Balkon blickt Balbina Adam auf die kleinen Dorfhäuser und den Hof, auf dem ein paar Hühner herumpicken. "Ich fühle mich sehr wohl hier", sagt die 88-jährige rüstige Rentnerin. "Hier hat man eine Ruhe, das habe ich noch nie erlebt." Bis vor einigen Monaten lebte sie in der Kreisstadt Montabaur - an einer Straße, auf der täglich 20.000 Autos an ihrem Fenster entlangbrausten. Im Mai gab sie ihre Wohnung auf. Doch statt in ein Seniorenheim zu ziehen, mietete sie sich ein Zimmer in der Seniorenwohngemeinschaft in dem 1.000-Seelen-Ort Marienrachdorf.



Die Initiative im Westerwald zählt sicherlich zu den ungewöhnlichsten Altenwohnprojekten. Zwölf alte Damen und Herren wohnen in einem über 200 Jahre alten Bauernhaus und einem Anbau. Der Unternehmer Guido Pusch (39) hatte sich seit Jahren als Ausgleich zur Büroarbeit mit Landwirtschaft beschäftigt. Irgendwann kam ihm die Idee, den Bauernhof für ein Wohnprojekt herzurichten. Pusch, der sein Geld mit Brennstoff-Pellets und der dazugehörenden Technologie verdient, investierte 600.000 Euro in seinen Traum. "Ich habe schon immer Dinge gemacht, die es vorher nicht gegeben hat", sagt er. "Wir sind da bis an Grenzen gegangen."



Die Bewohner, einige von ihnen sind an Demenz erkrankt, können auf Puschs Hof so viel wie möglich von dem tun, was sie an gute alte Zeiten erinnert. Sie können erleben, wenn junge Tiere geboren werden, oder können Butter wie in alter Zeit mit der Hand schlagen. Rund um die Uhr steht eine Betreuungskraft zur Verfügung, ein ambulanter Dienst kümmert sich um die Pflegebedürftigen. Manchen Bewohnern soll das so gutgetan haben, dass sie wieder auszogen und in ihre Wohnungen zurückkehrten.



Deutschland wird immer älter

Die Bevölkerungsstatistiken sprechen seit Jahren eine klare Sprache. In Deutschland wird es immer mehr ältere Menschen geben, ein immer größerer Anteil der Bevölkerung wird auf Hilfe oder Pflege angewiesen sein. Die rheinland-pfälzische Sozialministerin Malu Dreyer (SPD) zweifelt daran, dass der bevorstehende demografische Umbruch durch den Bau immer neuer großer Heime gelöst werden kann.



"Es geht nicht darum, das Altersheim gegen die neuen Wohnformen auszuspielen", sagt Dreyer. "Die meisten alten Menschen gehen in eine stationäre Einrichtung, weil sie keine Wahl haben." Dabei ließen sich viele Umzüge in ein Heim vermutlich um Jahre hinauszögern, wenn es mehr ganz simple Nachbarschaftshilfe geben würde. Diesen Ansatz versuchen die Bewohner von bereits 26 alternativen Wohnprojekten in Rheinland-Pfalz umzusetzen, beispielsweise die Menschen aus dem Koblenzer "Wohnpark Neue Boelcke".



In dem von außen unscheinbaren modernen Mietshaus passen die Nachbarn ein wenig auf sich auf, die Jüngeren helfen den Älteren bei Besorgungen. Senioren revanchieren sich gelegentlich als Leihgroßeltern. Gemeinschaftsraum und Gästeapartment können von allen Mietern genutzt werden. Die Mitglieder des Fördervereins haben ein Mitspracherecht, wer in eine freigewordene Wohnung einziehen darf.



Wegweisende Projekte

Projekte wie das in Koblenz oder in Marienrachdorf hält Frank Weidner vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung (dip) in Köln für wegweisend. Aber auch die Probleme seien offenkundig. Ohne besonderes Engagement von Investoren seien solche Vorhaben bislang kaum umzusetzen, da etwa Wohnungsgesellschaften nicht dieselbe Rendite erzielen könnten wie bei gewöhnlichen Bauvorhaben.



Weidner forscht daher auch noch auf einem anderen Gebiet: In Trier testet das dip ein Frühwarnsystem für alleinstehende Senioren, bei dem deren Wohnungen mit Hightech-Sensoren ausgestattet werden. Angehörige oder Pflegedienste sollen alarmiert werden, wenn in den Wohnungen alltägliche Aktivitäten wie Badezimmer-Besuch oder das Öffnen der Kühlschranktür ausbleiben. Das System befindet sich derzeit in der Testphase mit mehreren ausgewählten Freiwilligen.