SPD und Union ringen um Kompromiss bei 219a

"Der Countdown ist abgelaufen"

Bewegung im Streit um Paragraf 219a: Viele SPD-Abgeordnete fordern die Freigabe für eine Abstimmung über eine Reform, sollte in dieser Woche kein Kompromiss vorliegen. Die katholische Kirche warnt vor den möglichen Konsequenzen.

Autor/in:
Birgit Wilke
Gesetzestext des Paragrafen 219a Strafgesetzbuch / © Harald Oppitz (KNA)
Gesetzestext des Paragrafen 219a Strafgesetzbuch / © Harald Oppitz ( KNA )

"Der Countdown für 219a ist abgelaufen", so titelte am Montag die "tageszeitung". Immer mehr SPD-Abgeordnete treten dafür ein, einen Antrag für eine Reform freizugeben und die Abgeordneten nach ihrem Gewissen abstimmen zu lassen. Zuletzt war es der frühere SPD-Chef Martin Schulz, der bei "Anne Will" dafür plädierte.

Ebenfalls am Wochenende hatte der SPD-Abgeordnete Florian Post angekündigt, eine solche Gewissensentscheidung bereits in der Fraktionssitzung an diesem Dienstag zu beantragen. Damit ist nach dem unionsinternen Richtungsstreit in der Flüchtlingspolitik im Sommer der nächste Konflikt in der großen Koalition, der in den vergangenen Monaten nur schwelte, offen ausgebrochen.

SPD dringt auf eine schnelle Lösung

Auslöser für die Debatte: Das Amtsgericht Gießen hatte die Ärztin Kristina Hänel Ende 2017 wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Richter beriefen sich dabei auf den Paragrafen 219a. Dieser untersagt "das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen" von Schwangerschaftsabbrüchen aus finanziellem Vorteil heraus oder wenn dies in "grob anstößiger Weise" geschieht.

Grüne, Linke und die SPD legten bald darauf Gesetzentwürfe vor, die eine Abschaffung des Paragrafen vorsehen, die FDP brachte schließlich eine Initiative ein, der auf eine stärkere Unterscheidung zwischen Information und Werbung abzielt.

Um den Koalitionsfrieden zu wahren, hatte die SPD ihren Antrag zunächst zurückgezogen, zugleich aber beschlossen, ihn freizugeben, sollte bis Herbst keine Einigung mit der Union erfolgen. Bis zur Wahl der neuen CDU-Chefin wurde der Burgfrieden mehr oder weniger gewahrt, nun - kurz vor Weihnachten - dringt die SPD auf eine schnelle Lösung in der letzten Bundestagswoche des Jahres.

Fraktionen uneins

Fünf Minister sind mit der Suche nach einem Kompromiss befasst: Neben Justizministerin Katarina Barley sind das Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD), Innenminister Horst Seehofer (CSU), Gesundheitsminister Jens Spahn und Kanzleramtschef Helge Braun (beide CDU).

Wie eine Einigung aussehen kann, ist fraglich: Spahn möchte als Unionsvertreter den Paragrafen möglichst nicht ändern. Er hatte angeregt, dass die Länder Informationslisten mit den Adressen von Abtreibungsärzten bereitstellen sollen, die derzeit in den Händen der Schwangerenberatungsstellen liegen. Eine Änderung des Paragrafen wäre nicht erforderlich.

Demgegenüber drängt die SPD - wie die Grünen und die Linken - auf eine Streichung des Paragrafen, will ihn mindestens reformieren und - wie sie betont - die Ärzteschaft entkriminalisieren.

Gröhe kritisiert "Tonlage"

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Hermann Gröhe (CDU), sagte der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Dienstag): "Die Tonlage der aktuellen Debatte lässt leider oft vermissen, dass wir auch über das Lebensrecht Ungeborener reden." Er bezweifele, "dass es ein Informationsdefizit gibt in der Frage, wo eine Abtreibung vorgenommen werden kann". "Auch heute schon werden Frauen von Beratungsstellen und von ihren Ärzten informiert", sagte der frühere Gesundheitsminister.

Gröhe schlägt einen Kompromiss vor, der ohne eine Aufhebung des Paragrafen auskommt. "Sollte dennoch mehr Information notwendig sein, kann dies beispielsweise über eine online verfügbare Liste geschehen, in der nach Postleitzahlen entsprechende Praxen und Kliniken aufgelistet sind. Eine Aufhebung des Werbeverbots braucht es dafür wirklich nicht", sagte der CDU-Politiker, der der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angehört.

Diese Position teilt auch die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU). Sie warb in der Heidelberger "Rhein-Neckar-Zeitung" (Dienstag) für eine "Stärkung der unabhängigen Beratung, zu der auch die umfassende Information über die Arztpraxen gehören muss". Die SPD beklage fehlende Informationen im Internet zu Ärzten, die Abtreibungen vornehmen, und fehlende Rechtssicherheit für Mediziner, sagte Winkelmeier-Becker: "Die Lösung dazu liegt seit Langem auf dem Tisch: eine aktuelle, deutschlandweite Adressliste im Internet, die alle Arztpraxen und Klinken benennt, die einen Abbruch durchführen."

Kramp-Karrenbauer will Paragraf 219a nicht abschaffen

Die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hatte beim Parteitag in Hamburg klargestellt, dass sie keine Abschaffung des Werbeverbots mitmachen wolle. "Schwangerschaftsabbrüche dürfen nicht so behandelt werden wie ganz normale medizinische Eingriffe. Das passt nicht zu einer Partei mit dem 'C' im Namen", sagte sie.

Offen ist, ob ihre Partei und die CSU einem Kompromiss zustimmen könnte, der  - ähnlich wie der FDP-Antrag eine Unterscheidung zwischen Information und offensiver Werbung vorsieht. Damit könnten etwa Ärzten auf ihrer Homepage über einen Abbruch informieren.

Heikel ist das für viele Unionsanhänger, weil dann Ärzte Abtreibungen, die in Deutschland laut Paragraf 218 verboten, in bestimmten Fällen aber straffrei sind, als ganz normale Dienstleistung aufführen könnten.

Katholische Kirche gegen Kompromiss

Die katholische Kirche hat sich eindeutig gegen eine solche Lösung ausgesprochen. Der Vertreter der katholischen Bischöfe in Berlin, Karl Jüsten, formuliert es so: Mit einer Abschaffung gerate das gesamte Konstrukt für den Schutz des ungeborenen Lebens in eine Schieflage. Bereits bei der jetzt bestehenden Gesetzeslage hätten betroffene Paare ausreichend Möglichkeiten, sich zu informieren.

Unterdessen zeigt sich Justizministerin Barley weiter optimistisch: Sie sei zuversichtlich, dass ein Kompromiss gefunden werden könne. Viel Zeit dafür bleibt dafür allerdings, so scheint es, nicht mehr.


Quelle:
KNA