Merkel-Biograph zur Krisenfähigkeit der Kanzlerin

"Der autoritären Versuchung nicht erlegen"

Haben die Deutschen nun den Ernst der Lage erkannt, nachdem Angela Merkel am Mittwoch ihre TV-Ansprache in die Haushalte gebracht hat? Hat sie den richtigen Ton getroffen? Merkel-Biograph Volker Rensing ist überzeugt davon.

Angela Merkel vor dem Reichstagsgebäude (bpa)
Angela Merkel vor dem Reichstagsgebäude / ( bpa )

DOMRADIO.DE: Es war die erste TV-Ansprache der Kanzlerin aus besonderem Anlass. Ein historischer Moment?

Volker Resing (Merkel-Biograph und Chefredakteur der Herder-Korrespondenz): Das weiß man immer erst im Nachhinein. Wir wissen ja nicht, wie viele Reden noch folgen. Das war jetzt die erste außerplanmäßige TV-Ansprache, das ist auf jeden Fall historisch bemerkenswert. Und vor allem weil Angela Merkel weiß Gott nicht gerne große Reden hält.

 

 

DOMRADIO.DE: Sie haben sich ausführlich mit der Kanzlerin für ihre Biografie befasst. Sie ist niemand, der so leicht Panik macht. Wenn sie versuchen, zwischen den Zeilen zu lesen - Was wollte die Kanzlerin uns gestern sagen?

Resing: Sie macht keine Panik und sie mag auch nicht gerne Pathos. Ich glaube, die Botschaft lautet ziemlich deutlich: Selbstverantwortung statt Autorität. Diesem Virus liegt ja auch Totalitäres zugrunde und daraus ergibt sich auch eine autoritäre Versuchung, dass jetzt der starke Mann oder die starke Frau auftritt und sagt: Keine Sorge, ich helfe euch.

Das ist wirklich typisch Angela Merkel, dass sie dem einen Riegel vorschiebt und zur Selbstverantwortung mahnt, in sehr deutlichen Worten. Sie sagt: Es sind nicht der Staat oder die Politik, die jetzt helfen, sondern es ist die Aufgabe der Bürgerinnen und Bürger. Das ist eine starke Botschaft. Sie gibt dieser autoritären Versuchung nicht nach, es gibt keine Emotionalisierung oder Überhöhung. Sie sagt nüchtern: Ihr müsst das machen, wir müssen es gemeinsam machen.

DOMRADIO.DE:  Es gab aber auch Kritik, zum Beispiel von der AfD oder auch den Linken. Das seien zwar viele nette Worte gewesen, aber viel wichtiger wären konkrete politische Schritte. Was sagen Sie dazu?

Resing: Genau darin liegt ja eben diese Versuchung, dass man jetzt sich wünscht, dass da jemand auftritt und sagt: Punkt eins, zwei, drei, wir machen das, ihr folgt uns und dann habt ihr keine Sorgen mehr. Und genau das tut sie nicht. Und das betont sie auch, dass es das Angemessene in einer offenen Demokratie ist, jetzt nicht nur Ruhe zu vermitteln und den starken Mann zu markieren, sondern eben die Fakten darzulegen. Und klar zu sagen, dass es an jedem einzelnen liegt.

DOMRADIO.DE: Was denken Sie, wird diese Rede jetzt etwas bewirken?

Resing: Ich finde es erstaunlich, wie groß der Zusammenhalt in dieser Krisensituation in dieser Gesellschaft ist. Und da wird diese Rede auch ihren Beitrag leisten bei denen, die vielleicht noch skeptisch waren, die vielleicht auch gedacht haben, dass hier aus einer Mücke ein Elefant gemacht wird. Und die nüchterne Art von Merkel war schon immer in Krisenzeiten das, was viele Leute überzeugt hat. Auch in den Reihen ihrer Kritiker ist ihre Krisenfähigkeit doch immer ihr herausragendstes Merkmal gewesen. Und das hat diese Rede auch sehr deutlich gezeigt.


Quelle:
DR