Debatte um das kirchliche Arbeitsrecht dauert an

"Nicht noch einen Tritt bekommen"

Das kirchliche Arbeitsrecht wird schon länger kritisiert und soll zeitnah überarbeitet werden. Doch wie weit können die Reformen gehen, damit zum Beispiel homosexuelle Mitarbeitende diskriminierungsfrei in der Kirche arbeiten können?

Schild mit Aufschrift Kirche / © Julia Steinbrecht (KNA)
Schild mit Aufschrift Kirche / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie führen gerade als Kölner Diözesancaritasverband ein Online-Forum zur Reform des kirchlichen Arbeitsrechtes durch. Dazu muss man wissen: Nach der Aktion #OutinChurch haben auch eine ganze Reihe Bischöfe gesagt, dass sich das kirchliche Arbeitsrecht ändern muss. Das war im Frühjahr. An welchem Punkt sind wir jetzt?

Bruno Schrage (Caritas Köln)

Bruno Schrage (Referent für Caritaspastoral im Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln): Es hat sich schon eine Menge geändert. Die deutschen Bischöfe waren natürlich zu Recht durch die Aktion #OutinChurch aufgeschreckt. Ich war ein bisschen verwundert, dass sie so aufgeschreckt waren. Aus der Caritas heraus ist das schon sehr oft gesagt worden.

Ich erinnere mich an den Dialogprozess der deutschen Bischöfe (Kirchliches Gesprächsforum von 2010 - 2015 als Reaktion auf das Bekanntwerden der zahlreichen Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche, Anm. d. Red.). Da gab es Vorträge zu diesem Thema, dass das so nicht haltbar ist und dass es auch unserem innersten Verständnis des Evangeliums nicht mehr entspricht, gleichgeschlechtliche Partnerschaften, wiederverheiratete Geschiedene und dergleichen beruflich so auszugrenzen und zu diskriminieren.

Bruno Schrage, Diözesancaritasverband für das Erzbistum Köln

"Ich habe einen ganz hohen Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, die ihren Glauben in dieser Kirche dennoch so authentisch leben und diese Kirche nicht aufgeben"

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich habe einen ganz hohen Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, die ihren Glauben in dieser Kirche dennoch so authentisch leben und diese Kirche nicht aufgeben, sondern mit so einer Aktion wie #OutinChurch auch noch versuchen, sie in ein neues Zeitalter hinein zu retten.

Die Bischöfe mussten reagieren. Und elf Generalvikar haben ja auch reagiert. Sie haben sogar deutlich gesagt: Wir müssen die Grundordnung für 700.000 Mitarbeitende in allen kirchlichen Diensten, ob im Pfarrbüro, ob im pastoralen Dienst, auch in der Caritas, im Katholischen Bildungswerk oder vielleicht auch bei DOMRADIO.DE ändern.

Also, da geht jetzt gerade was. Eine Untergruppe der arbeitsrechtlichen Kommission hat jetzt zwei Papiere vorgelegt, nämlich die neue Grundordnung und die Erläuterungen dazu. Das Ganze wird gerade in einem Anhörungsverfahren in einem breiten Anhörungsverfahren kommentiert. Am 23. August sollen alle Eingaben über die Diözesen an den Verband der Diözesen Deutschland (VDD) gemacht sein. Das ist auch neu und auch sicherlich ein Ergebnis des synodalen Weges.

Dann sind wir mal sehr gespannt, wie sich diese beiden Entwürfe noch verändern werden. Denn im November möchte dann der Rat des Verbandes der Diözesen Deutschlands darüber endgültig entscheiden. Dann wollen die Bischöfe eine neue Grundordnung erlassen.

DOMRADIO.DE: Sie kennen die Papiere. Sehen Sie da maßgebliche Verbesserungen?

Schrage: Ganz bestimmt ist es eine wirkliche Verbesserung, dass diese strittigen persönlichkeits-diffamierenden Kontexte herausgenommen worden sind - also, dieser "berühmte" Artikel fünf, der so stark in die Privatsphäre eingegriffen hat, weil man das Berufungs-Schema sozusagen auf alle draufgelegt hat, die bei Kirche in irgendeiner Weise tätig sind. Gleichzeitig gibt es ein echtes Bekenntnis zur Vielfalt von Lebensentwürfen, auch von sexueller Identität. Das reibt sich schon ein bisschen mit der kirchlichen Lehre.

Bruno Schrage, Diözesancaritasverband für das Erzbistum Köln

"Die Theologie ist leider nicht mitgekommen, denn sie ist nicht diversitätsfähig"

Es gibt den Willen zur Gleichberechtigung von Frauen, Nachhaltigkeit christlicher Führungskultur. Da steckt eine Menge drin.

Und jetzt sage ich: Aber! Denn wenn man dahinter schaut, ist die Theologie leider nicht mitgekommen, denn sie ist nicht diversitätsfähig, sie bleibt in "Zugehörigkeitschablonen" stecken, in einer Mitgliedschaftslogik. Das heißt, alle katholischen Mitarbeitenden, die erwägen, aus der Kirche auszutreten oder ausgetreten sind, müssen in der Regel wieder gekündigt werden.

Das passt überhaupt nicht mehr. Unsere Kirche hat so kapitale Fehler gemacht. Das wissen wir alle. Das hören wir gerade jeden Tag wieder neu. Da müssen Menschen, die ausgetreten sind, nicht noch einen weiteren Tritt bekommen, sondern eigentlich wollen wir sie zurückgewinnen. Gerade wenn sie bei uns arbeiten, sollen sie eine andere Form von Kirche erleben.

DOMRADIO.DE: Es gibt auch Bedenken bezüglich einer Reform des Arbeitsrechtes. Zum Beispiel sagt der Kirchenrechtler Markus Graulich, ohne Sitten und katholische Werte ist das Arbeitsrecht nicht mehr katholisch. Was sagen Sie dazu?

Schrage: Ich habe mich ein bisschen über diesen Artikel in der aktuellen Ausgabe der Herder-Korrespondenz gewundert. Denn seit wann ist das Arbeitsrecht katholisch? Ich glaube, er hat hier einfach einen Denkfehler. Das staatliche Arbeitsrecht wird eben gerade von den Kirchen instrumentalisiert und für eine Identitätspolitik überdehnt.

DOMRADIO.DE: Wie meinen Sie das?

Schrage: Moral kann man nicht verordnen, das ist eine Überzeugung. Wissen Sie, die Straßenverkehrsordnung gibt auch nicht die Haltung mit, sondern sie sagt: Das sind die Mindestregeln, die du erfüllen musst. Die haben wir aber bereits im Code of Conduct (Das ist eine Sammlung von Verhaltensweisen, die für Mitarbeitende eines Unternehmens gelten, Anm. d. Red.), die haben wir in Leitbildern und so weiter. Das ist alles arbeitsrechtlich heute auch schon einzuholen, das können große Konzerne wie die Kirche eben auch.

Ich frage mich zunehmend, ob das überhaupt der richtige Weg ist. Wir brauchen stattdessen eine Diskurskultur, wir brauchen Leitbildprozesse, wir brauchen Überzeugungsarbeit, Ethik-Beratung. Aber wir brauchen keine Kirchengesetze, um unsere hoch engagierten Mitarbeitenden abzuholen.

DOMRADIO.DE: Kann sich die Kirche so ein Sonderrecht überhaupt noch leisten?

Bruno Schrage, Diözesancaritasverband für das Erzbistum Köln

"Woher kommt dieses angstvolle Umgehen mit den eigenen Mitarbeitenden?"

Schrage: Die Frage ist eigentlich: Braucht sie das? Woher kommt dieses angstvolle Umgehen mit den eigenen Mitarbeitenden? Warum brauche ich ein eigenes Arbeitsrecht? Ich verstehe es überhaupt nicht mehr. Es wird immer noch sehr viel auf den "Dritten Weg" (Dabei werden die Arbeitsbedingungen in der Kirche nicht durch Tarifverträge, sondern durch paritätisch besetzte arbeitsrechtliche Kommissionen festgelegt, Anm. d. Red.) rekurriert und man sagt: Ja, wir sind in einem konsensualen System. Wir sind ja ein diakonisches Unternehmen, sozusagen im Dienst füreinander. Wir verzichten auf Streik.

Aber der Streik ist ein legitimes Mittel, das steht sogar im Katechismus drin. Und die Gewerkschaften würden uns übrigens enorm gut tun. Ich glaube, so manches wäre an Diskriminierung nicht möglich gewesen, wenn die Gewerkschaften im System gewesen wären. Das sind nicht mehr einfach die Klassenkämpfer von früher.

Aber ich glaube, man hat eine große Sorge vor dem, was Gewerkschaften herstellen; nämlich Transparenz und Einhegung von Macht. In der Caritas erleben wir zum Teil schon, dass wir im "Zweiten Weg" sind. Es ist gar nicht so dramatisch. Die Gewerkschaften sind tolle Sozialpartner. Und ich finde, wir sollten mal zeigen, dass wir uns gemeinsam für Arbeitnehmerrechte als Kirchen und Gewerkschaften stark machen. Da müssten die Gewerkschaften übrigens bei uns rein. Ich weiß, das ist ein ganz heißes Thema.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

INFO:

Am Mittwoch, 10. August 2022, geht es ab 16:30 Uhr in dem Online-Forum zur Reform des kirchlichen Arbeitsrechtes um das Thema Dienstgemeinschaft und Loyalität – Veränderungen vor dem Hintergrund kirchlicher Wirklichkeit. Referent ist Prof. Dr. Richard Hartmann vom Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Homiletik Theologische Fakultät Fulda. Die Veranstaltung kann ohne Anmeldung unter diesem Zoom-Link verfolgt werden.

Hintergrund: Katholisches Arbeitsrecht in Deutschland vor Systemwechsel

Die Regeln für die rund 790.000 Beschäftigten der katholischen Kirche und der Caritas in Deutschland sollen sich grundlegend ändern. Am Montag veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz den Entwurf für eine neue "Grundordnung des kirchlichen Dienstes". Demnach soll die private Lebensgestaltung, "insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre" der Beschäftigten, keinen Anlass mehr für Kündigungen bieten, falls diese nicht im Einklang mit der kirchlichen Lehre stehen. 

Neben der Verwaltungsleiterin einer Kirchengemeinde liegt das kirchliche Arbeitsrecht / © Harald Oppitz (KNA)
Neben der Verwaltungsleiterin einer Kirchengemeinde liegt das kirchliche Arbeitsrecht / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR
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