Religionspolitische Vorstellungen der Grünen zur Bundestagswahl

Das "Schöner Land" der Religion

Am 26. September wird der neue Bundestag gewählt. Eine gute Gelegenheit, vorab mit den religionspolitischen Sprechern verschiedener Parteien die diesbezüglichen Parteiziele zu beleuchten. Diesmal mit Konstantin von Notz von den Grünen.

Konstantin von Notz / © Christophe Gateau (dpa)
Konstantin von Notz / © Christophe Gateau ( dpa )

"Ein schöner Land in dieser Zeit, es regt sich Aufbruch weit und breit" – so trällert es dieser Tage in einem Wahlwerbespot der Grünen. "Müssen uns're Erde wahr'n" – singen ein Priester und eine Ordensfrau weiter, gefolgt von einer Gruppe "Fridays for Future"-Demonstranten, von denen es lautstark heißt: "Fürs Leben wird es hier zu warm".

Die Wahlkampfstrategen von Bündnis 90/Die Grünen haben das romantische Volkslied "Kein schöner Land in dieser Zeit" aus dem 19. Jahrhundert ins Hier und Jetzt geholt. Sie haben es umgedichtet und wollen damit singend ins Kanzlerinnenamt einziehen. Aus Sicht der Kirchen könnte das seinen Reiz haben, denn die Brücke zwischen der Klimapolitik und einer der Kernbotschaften des christlichen Glaubens ist hergestellt. Doch ob sie trägt?

Klimaschutz als Wahrung der Schöpfung – das ist ein Herzensanliegen nicht nur der Grünen, sondern auch von Papst Franziskus. War er es doch, der sich in der Vergangenheit immer wieder lautstark für ein Umdenken in Sachen Klimapolitik stark gemacht hat - nicht zuletzt in seiner Ezyklika "Laudato Si" ("Gelobt seist Du") vom Mai 2015, in der der Pontifex seine "Sorge um das gemeinsame Haus" ausdrückte.

Auf Kuschelkurs mit den Kirchen?

Passend also, wenn Konstantin von Notz, der Religionsexperte der grünen Bundestagsfraktion, nun von einer "herausragend wichtigen Stellung der Kirchen in Deutschland" spricht. "Ich glaube, dass Kirchen und andere Religionsgemeinschaften ein ganz wesentliches Fundament unserer Gesellschaft sind“, so Notz im Interview mit DOMRADIO.DE. "Sie übernehmen Verantwortung, um die Gesellschaft zusammenzuhalten und den Menschen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.“

In ihrem Wahlprogramm haben die Grünen den Kirchen fast eine ganze Seite gewidmet. Die christlichen Kirchen und Gemeinden seien "wichtige Akteur*innen der Zivilgesellschaft", heißt es da. Sie verliehen der Gesellschaft "vielfältige Impulse" und leisteten einen "Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt". Gerade für die Arbeit mit Pflegebedürftigen, Menschen mit Behinderungen und Kindern seien die kirchlichen Träger "von großer Bedeutung".

Anpassung an die gesellschaftliche Realität

Auf Kuschelkurs mit den Kirchen ist die Partei gleichwohl nicht. "Die besondere Beziehung zwischen Staat und den christlichen Kirchen" wolle man erhalten und - wo nötig – "der gesellschaftlichen Realität anpassen", heißt es ebenfalls im Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen.

Und auf dem Weg dahin seien Reformen nötig, so die Bündnis-Grünen. Dazu zähle zum einen die Abschaffung der Staatskirchenleistungen, jener Zahlungen also, die der Staat jedes Jahr an die Kirchen überweist – als Ausgleich für historische Enteignungen von Kirchenbesitz. Auch eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts hält die Umweltpartei für geboten, betont ihr Religionsexperte von Notz.

Staatskirchenleistungen und das kirchliche Arbeitsrecht

Die sogenannten Staatskirchenleistungen hatten die Grünen bereits in der aktuellen Legislaturperiode auf den Prüfstand gestellt. Ihr gemeinsamer Gesetzesentwurf mit FDP und Linkspartei zur Ablösung dieser Zahlungen scheiterte jedoch im Bundestag am Nein der Koalitionsparteien aus Union und SPD. "Wir hatten einen sehr guten und ausgewogenen Vorschlag gemacht", sagt Konstantin von Notz rückblickend, "insofern war das wirklich eine verpasste Chance". "Reformunwillig und verschnarcht", so nennt er die Haltung der Regierungsparteien.

Aber auch das kirchliche Arbeitsrecht soll im Falle einer grünen Regierungsbeteiligung reformiert werden. Bisher genießen die Kirchen als Arbeitgeber besondere Rechte. So können sie herausgehobene Loyalitätspflichten ihrer Beschäftigten einfordern, etwa mit Blick auf Glaubens- und Moralvorstellungen. "Wir müssen diesen dritten Weg anpassen", so der grüne Religionsexperte "gerade in Anbetracht von religiösen und weltanschaulichen Pluralitäten, die wir in unserer Gesellschaft haben".

Ausgenommen von einer Reform sollte jedoch der explizit religiöse Verkündigungsbereich sein, so die Ansicht der Grünen. In das verfassungsrechtlich verbriefte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen wolle man nicht eingreifen, so Konstantin von Notz. "Trotzdem, wenn die Kirchen der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland sind, dann muss man hier zu zeitgemäßen und angemessenen Regelungen kommen." Von Notz spitzt bewusst zu, wenn er sagt: "Die kirchlichen Arbeitsverhältnisse sollten sich nicht dadurch auszeichnen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kirchen grundsätzlich eher ein bisschen schlechter gestellt sind als andere." Klare Worte des Grünen-Politikers.

"Tatkräftige Unterstützung der Kirchen"

Lob finden die Grünen dagegen für das kirchliche Engagement für Geflüchtete. "Die tatkräftige Unterstützung der Kirchen, wenn es um Seenotrettung und die Integration von Geflüchteten geht, ist ein wichtiger gesellschaftlicher Beitrag", heißt es im Wahlprogramm der Grünen.

Und auch die Institution des Kirchenasyls findet der religionspolitische Sprecher der Grünen richtig. Es habe seine Berechtigung, wenn die Kirchen für Schutzsuchende ihre Tore öffneten. "Das gilt es zu wahren und zu verteidigen" so von Notz.

Kritik übt der Grünenpolitiker hingegen am strafrechlichen Vorgehen gegen Kirchenvertreter, die Migrantinnen und Migranten Schutz gewährt hatten. "Ich finde, dass diese Handlungen, die nach dem Prinzip der christlichen Nächstenliebe seit jeher Praxis sind, nicht durch die Veränderung des politischen Klimas in den letzten Jahren pönalisiert werden dürfen", sagt von Notz im Interview. Und auch einen Seitenhieb gegen die Union kann sich der Grünen-Politiker nicht verkneifen: "Man kann sich nur wundern, dass ausgerechnet unter einer CDU/CSU-Regierung hier in diesem Bereich mit dem scharfen Schwert des Strafrechts gedroht wird."

Fordern und Fördern

Mit Blick auf die Fälle sexualisierter Gewalt in den beiden großen Kirchen zeigt sich Konstantin von Notz im DOMRADIO.DE-Gespräch ernüchtert. "Ich kann ihnen als religiöser Mensch, der ich bin, sagen, dass ich über den Umgang beider Kirchen mit diesem Bereich nicht glücklich bin." Ob sich die Politik stärker einmischen müsste? "Nein", meint der Religionsexperte der Grünen, "es ist nicht am Staat, hier Aufklärung zu leisten!"

Der Prozess der Aufarbeitung und auch die Einleitung struktureller Veränderungen, um solche Taten künftig zu vermeiden, sei ureigene Sache der Kirchen. "Wir können das fördern und fordern, aber machen müssen es die Kirchen selbst", sagt von Notz.

Sogar in das Wahlprogramm der Grünen hat das Thema Einzug gehalten. "Die vielen Gläubigen, die sich für eine notwendige Modernisierung der christlichen Kirchen einsetzen und auf eine lückenlose Aufklärung der Fälle sexualisierter Gewalt dringen, unterstützen wir", heißt es im Programm der Partei.

Zwar ist der Höhenflug der Grünen laut jüngsten Umfragen beendet – sie liegen aktuell nur noch bei 17% der Stimmen. Und doch, wie auch immer die Bundestagswahl ausgehen mag, eine Regierungsbeteiligung der Partei scheint derzeit in fast jedem denkbaren Farbspiel wahrscheinlich. Möglich also, dass sich nach der Wahl im Sinne der Grünen einiges verändern wird, auf dem Weg hin zu dem von ihnen besungenen "Schöner Land" - auch in Sachen Religionspolitik.

Moritz Dege

Zur Info: Dies ist der dritte Teil unserer Serie zu den Wahlprogrammen für die Bundestagswahl. Im ersten Teil ging es um die SPD, im zweiten Teil um die FDP.


Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen / © Kay Nietfeld (dpa)
Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen / © Kay Nietfeld ( dpa )
Quelle:
DR