Das Öko-System wird lange mit den Folgen der BP-Ölkatastrophe kämpfen

"Das wird Jahrzehnte dauern"

Im Golf von Mexiko wird noch monatelang Öl ausströmen, davon gehen Experten aus. Die Folgen wird das Öko-System noch jahrzehntelang spüren, sagt zum Tag des Meeres die Umweltorganisation WWF voraus. Gegenüber domradio.de fordert Meeresschutzexperte Stephan Lutter deshalb ein Verbot von Tiefsee-Bohrungen.

 (DR)

domradio.de: Vorsichtig optimistisch zeigt sich BP-Chef Tony Hayward seit dem Wochenende, US-Präsident Obama warnte dagegen vor zu viel Optimismus. Wie ist Ihre Einschätzung der aktuellen Rettungsversuche?
Lutter: Meine Einschätzung ist nicht sehr optimistisch. Denn wir haben gerade über die neueren Maßnahmen neue Zahlen erfahren, die besagen, dass wesentlich höhere Ölmengen in den vergangenen Wochen ausgetreten sind, als es immer hieß. Wir sind an einem Punkt, an dem wir die ganze Zeit zu sein glaubten - und der war schon verheerend genug. Diese Ölpest geht weiter über das hinaus, was andere Tankerunglücke zum Beispiel angerichtet haben.

domradio.de: Wir sehen im Fernsehen ganz viele Bilder von ölverklebten Meeresvögeln. Haben aber wenig Eindrücke, von dem was unter Wasser passiert. Welche Dimension hat denn die Ölkatastrophe für das Meer?
Lutter: Eine regelrechte Ölfahne füllt die ganze Wassersäule. Und dieses Wasser wird in den nächsten Wochen auch an Florida vorbei in den Atlantik und in den Golfstrom treiben, das zeigen bereits Computersimulationen und Modelle. Damit werden weitere Meeresteile und nicht nur der Golf von Mexiko verseucht mit giftigen Stoffen.

domradio.de: Verschiedene Ölkatastrophen hat es im Laufe der Geschichte bereits gegeben. Die größte vor etwa 20 Jahren vor Alaska. Ist davon heute noch etwas zu spüren oder wieviel verkraftet das Meer?
Lutter: Es war damals die größte Katastrophe für die USA - und die Folgen sind heute noch zu spüren. Bestimmte Fischbestände und Meeressäuger haben sich nicht erholt. Die größte Tankerkatastrophe hatten wir übrigens in den Siebziger Jahren vor der Kanalküste in Europa. Was am Golf von Mexiko an Öl austritt ist mit dem ungefähr vergleichbar. Und da hat es Jahrzehnte gedauert, bis sich die Lebensräume halbwegs erholten.

domradio.de: Wenn die Rettungsversuche von BP erfolgreich sein sollten - und bisher ist die Rede davon, dass das bis in den Herbst hinein dauern kann - was ist anschließend zu tun? Die Küsten reinigen und den Schlick abtragen?
Lutter: Die dortigen sumpfigen Flächen sind eigentlich nicht zu reinigen. Denn Schlick abtragen bedeutet, dass man das ganze Öko-System entnimmt. Der Boden ist ja belebt mit Muscheln, Krebsen und Würmern, die im Übrigen das Öl auch in den Boden einbuddeln durch ihre Wühltätigkeit und ihr Filtrieren und Saugen, was sie von Natur aus machen, um sich zu ernähren. Ein solches Öko-System - ähnlich mit unserem Wattenmeer - kann man kaum reparieren durch mechanische Ölreinigung. Besser geht das an den Sandstränden, die erholen sich auch leichter.

domradio.de: Was ist zu tun?
Lutter: Man kann nur dem Öko-System selbst überlassen, sich langsam zu erholen. Das dauert aber Jahrzehnte. Man kann nur noch so viel Öl wie möglich von den Küsten fernhalten und auch auf der Wasseroberfläche aufsammeln. Und möglichst keine Chemikalien einsetzen, die das Öl fein in der Wassersäule verteilen. Das war ein  großer Fehler.

domradio.de: Wie kann man in Zukunft solche Katastrophen verhindern? Durch bessere Technik oder der durch Verzicht auf Bohrungen?
Lutter: Nicht auf Bohrungen generell. Nur sind die Techniken, die für Tiefsee-Bohrungen zur Unfallbeherrschung notwendig sind, sind gar nicht vorhanden. Das zeigen ja die stümperhaften Versuche. Das sind Techniken aus dem Flachwasserbereich. Und auch hier in Europa wird ja immer tiefer gebohrt, westlich der Nordsee, bis zu 1.000 Meter tief! Wir sind dagegen, dass solche Tiefsee-Bohrungen stattfinden, wir brauchen einen Stopp hier, nicht nur in den USA.

Das Gespräch führte Stephanie Gebert.