Kirchen-Initiative fordert mehr Haltung und Respekt im Netz

"Das letzte Urteil über andere steht Gott zu"

Der Ton im Internet wird rauer. "Hatespeech" ist weit verbreitet. Demokratie braucht Empörung, sagt Joachim Hake vom Projekt "#anstanddigital". Allerdings müsse es im Netz einen Widerstand gegen schlechte Empörung und Hass geben.

Symbolbild Hass im Internet / © Nicoleta Ionescu (shutterstock)
Symbolbild Hass im Internet / © Nicoleta Ionescu ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: "11 Gebote für Haltung und Respekt im Netz". Wir können jetzt nicht alle aufzählen, aber Sachlichkeit und Respekt sind zwei davon. Das ist einleuchtend. Ein anderes lautet "Empörungen unterscheiden". Was ist damit gemeint?

Joachim Hake (Leiter der katholischen Akademie in Berlin): Dieses Gebot haben wir mit Bedacht an den Anfang gestellt. Denn Empörung ist ja zunächst mal etwas sehr Gutes. Es gibt von Ralph Emerson den schönen Satz: "Eine anständige Empörung weckt alle Kräfte im Menschen."

Die Demokratie braucht Empörung, braucht Widerspruch, braucht Leidenschaft. Aber das Netz ist nun mal so verfasst, dass die schlechten Empörungen eine Gewalt entwickeln, die unheimlich ist. Der Kulminationspunkt ist dann wirklich das Verächtlichmachen, der Hass, Hatespeech und so weiter. Und darum muss am Anfang einfach die klare Unterscheidung stehen: Schaut zu, unterscheidet eure Empörung und die Guten behaltet. Denn sonst wird es auch fad und langweilig.

Demokratie lebt von Empörung. Und diese 11 Gebote sollen auch die politische Kultur verbessern, nicht nur die zivilisierten Umgangsformen im Netz. Und bei den anderen Empörungen passt halt auf.

DOMRADIO.DE: Haben Sie denn eigentlich eine Erklärung dafür, dass im Netz immer mehr Hass und Pöbeleien unterwegs sind? Kann man das allein mit der Anonymität des Internets erklären, oder wird der Ton in der realen Welt auch rauer? Was ist da Ihr Eindruck?

Hake: Mein Eindruck ist schon, dass der Ton auch in der analogen Welt rauer wird. Das ist unstrittig. Wir erleben eine Polarisierung der politischen Lager, der kirchlichen Lager. Man geht ziemlich unverständig miteinander um. Die Bescheidwisser und die Bornierten, die immer schon wissen, wie das Leben geht, nehmen zu.

Das Internet ist so, dass es halt das Ganze noch mal beschleunigt, alle Distanzen fallen lässt. Es geht alles immer sofort. Und wir brauchen diese Distanzen. Wir brauchen diese Vermittlung. Wir brauchen diese Verzögerung. Diese Verzögerungen gehören auch zur Demokratie. Wir haben immer sehr schnelle Urteile. Über Sachen sind wir immer ganz schnell mit Urteilen, über Personen auch.

Und da empfehlen diese Gebote doch einen anderen Ton, eine andere Gangart und diese Gebote sollen nicht diskutiert werden. Das sollen sie zwar auch, aber Sie sollen vor allen Dingen eingehalten werden und dann sieht man, ob sie funktionieren.

DOMRADIO.DE: So eine Netiquette, also eine Etikette im Netz gibt es ja schon. Warum jetzt diese 11 Gebote für Haltung und Respekt im Netz? Ist das nicht das Gleiche?

Hake: Nein, das ist nicht das Gleiche. Ob ich eine E-Mail nun mit dieser Grußformel beginne oder jener, da gibt es Üblichkeiten. Denken Sie an viele Benimm-Bücher der 50er-Jahre. Da geht es dann um Anstandsdamen und abgespreizte Finger und wie sitzt die Krawatte und so weiter.

In diesen 11 Geboten geht es um einen mittleren Korridor. Es geht wirklich um: Wie funktioniert Anstand? Wie funktioniert Respekt? Wie steht es mit der Haltung? Und es geht um die Unterscheidung. Die Unterscheidung nach unten wäre eben nicht Netiquette, und nach oben wäre, es geht nicht um Rechtsfragen.

Also alle Fragen, die im Internet dringlich sind, die rechtlich gelöst werden müssen, müssen rechtlich gelöst werden. Anstand kann Recht nicht ersetzen. Wir haben ja viele Rechtsfragen aktuell, aber Anstand kann Recht nicht ersetzen. Und da muss man klar unterscheiden.

DOMRADIO.DE: Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Muss dann nicht auch auf politischer Ebene was passieren, damit ganz klar ist, Drohungen und Hass im Netz werden auch geahndet?

Hake: Ja, aber das wissen die Politiker. Und Netzpolitik.org und andere Netzaktivisten werden nicht müde, auch da Dinge anzumahnen.

Aber noch einmal: Das ist nicht die Frage des Anstands. Wir müssen anständig darüber diskutieren und wir müssen demokratische Regeln einhalten. Und Anstand ist was anderes. Sie haben das erste Gebot genannt. Das zweite ist genauso wichtig. Das heißt: nicht Richten. Das ist vielleicht das konfessionellste Gebot, das christlichste Gebot in diesen 11 Geboten, die sonst frei sind davon.

Unsere christliche Grundüberzeugung ist, nicht über den anderen zu richten, nicht den Splitter im Auge des anderen zu sehen und den Balken im eigenen zu übersehen. Und dann dieses nicht Richten zu verstehen als eine Einweisung in Urteilskraft. Es geht nicht darum, keine Urteile zu fällen. Wir müssen Urteile fällen und klar unterscheiden. Aber diese Urteile sind immer "Vorletzt-Urteile". Das kommt aus unserem Glauben.

Ich sage es mal sehr direkt. Das letzte Urteil über andere steht Gott zu. Darum ist Verächtlichmachung, ist "Hatespeech" nicht zu ertragen und da müssen wir eine Art von Widerstand entwickeln. Und unsere Hoffnung ist, dass diese Gebote, diese Liste auch eine Übungsanweisung ist, da stabiler zu werden. Nicht immer nur so ein bisschen herum zu träumen und mir etwas zu wünschen.

Das Interview führte Julia Reck.


Joachim Hake / © Katholische Akademie Berlin
Joachim Hake / © Katholische Akademie Berlin
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