Das Interview mit Kardinal Meisner im Wortlaut

"Alle vertrauten ihm"

Als Joachim Meisner 1977 in Rom zum ersten Mal in seinem Leben Kardinal Joseph Höffner (1906-1987) begegnete, ahnte er nicht, dass er eines Tages dessen Nachfolge auf dem Kölner Bischofsstuhl antreten würde. Wie der junge Weihbischof damals den großen Sozialwissenschaftler und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, der am 24. Dezember vor 100 Jahren geboren wurde, erlebte und wo er bis heute auf Höffners Erbe trifft, sagte er am Mittwoch im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Köln.

 (DR)

Herr Kardinal, wann sind Sie Ihrem Vorgänger zum ersten Mal persönlich begegnet?

Meisner: Das war 1977 bei der Bischofssynode in Rom. Ich kam als Abgeordneter der Berliner Bischofskonferenz. Kardinal Höffner saß mitten im Auditorium, die Sitzordnung ging ja von oben nach unten, und ich saß als junger Weihbischof hinten auf dem Sperrsitz. Er leitete den deutschsprachigen Arbeitskreis. Da bekam ich sofort mit, dass er auch als Bischof noch Professor war. Wenn einer etwas sagte, interpretierte er es gleich mit seinen Worten und ordnete es systematisch in sein Schema ein. Ich erinnere mich auch, dass wir zu einem Empfang in der Stadt eingeladen waren. Da nahm er sich väterlich meiner an, ich war ja einer der Jüngsten, und ließ mich in seinem Wagen mitfahren.
Besonders beeindruckte mich, dass mir der Kardinal von Köln gleich das "Du" anbot. Von dieser ersten Begegnung an lief es geradlinig weiter. Kardinal Höffner hat mich nie enttäuscht.

Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Meisner: Ich werde ihm nie vergessen, dass er 1980 extra zu meiner Einführung als Bischof von Berlin kam. Es war damals nicht üblich, dass dazu der Vorsitzende der Bischofskonferenz kam. Er wollte mir das Bewusstsein geben: Du kannst dich auf uns verlassen. Er war bescheiden und sprach nicht viel. Er ließ jedem in seiner Nähe viel Raum.

Wo begegnet Ihnen sein Erbe heute im Erzbistum?

Meisner: Als ich nach Köln kam, sagte man: Du Armer, du musst im Schatten eines so großen Vorgängers leben. Ich sagte: Ich werde im Licht, nicht im Schatten dieses großen Gelehrten und Kardinals leben. Ich habe ihn überall zitiert und mich auf ihn berufen.
Übrigens hängt sein Bild noch in vielen Sakristeien. Das finde ich sehr gut.

Zu Höffners 19. Todestag im Oktober sagten Sie, er habe als Wissenschaftler zwar differenziert gedacht, in der Verkündigung aber eindeutige Schlüsse gezogen. Warum ist das wichtig?

Meisner: Weil ein Bischof als Hirte Orientierung geben muss. Da muss man sich auf sein Wort und seine Haltung verlassen können.
In Grundfragen gibt es kein Sowohl-als-auch. Joseph Höffner war eine feste Persönlichkeit. Er hatte etwas von einem Felsen, der auch im Sturm nicht wackelt.

Er soll immer ein volksnaher Seelsorger geblieben sein ...

Meisner: Er hatte es als Westerwälder in Köln gar nicht so leicht, wie mir gesagt wurde. Er war etwas spröde. Über die Domplatte zu gehen und nach rechts und links zu nicken und mit den Leuten zu plaudern, das lag ihm nicht. Aber dafür hat er sehr volksnah gepredigt. Meist eher emotionslos, aber inhaltlich hat das, was er sagte, die Menschen sehr bewegt.

Politiker jeder Couleur bescheinigen Höffner große Verdienste in der Sozialpolitik. Ist seine Sozialethik noch aktuell?

Meisner: Der Kardinal hat immer wieder gesagt: Nicht die Arbeit muss im Mittelpunkt stehen, sondern der Mensch. Die Ökonomie muss dem Menschen dienen. Heute mag das komplizierter sein. Die Wirtschaft ist global geworden, der technische Fortschritt in den Produktionsmethoden lässt sich nicht stoppen. Der Höffner'sche Grundsatz gilt aber nach wie vor. Ich bin kein Fachmann wie Kardinal Höffner und mit Kritik an Wirtschaftsmaßnahmen zurückhaltend. Doch zum Glück sitzen heute auf vielen Ökonomie-Lehrstühlen Höffner-Schüler. Und man darf nicht vergessen, welchen Einfluss besonders sein Grundlagenwerk "Christliche Gesellschaftslehre" durch die zahlreichen Übersetzungen in vielen Ländern bis heute hat.

Höffner war lange Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und saß in vatikanischen Gremien. Wie hat er die Kirche geprägt?

Meisner: Er hat die Kirche in Deutschland mit Klarheit, Nüchternheit und in Verbundenheit mit dem Heiligen Stuhl geführt. Man hatte nie den Eindruck, dass zwischen den Papst und ihn ein Blatt Papier gepasst hätte. In Rom waren seine Kompetenz, Geradlinigkeit und Bescheidenheit geschätzt. Jeder hat ihm vertraut.

Wie erinnert das Erzbistum Köln an Kardinal Höffner?

Meisner: Wir erinnern jedes Jahr an seinem Todestag, dem 16.
Oktober, an ihn. Zum Jubiläumsjahr ist eine Sonderbriefmarke herausgekommen, und die Stadt Köln benennt einen Platz nach ihm.

Am ersten Weihnachtstag, einen Tag nach Kardinal Höffners Geburtstag, werde ich zusammen mit dem Domkapitel im Anschluss an das Hochamt in der Bischofsgruft des Doms an seinem Grab beten.
Und im Januar werden wir zu seinen Ehren ein dreitägiges Festprogramm begehen. Dazu gehören die Eröffnung einer Gedenkausstellung am 19. Januar und ein großes Symposium mit Wegbegleitern und Freunden des Kardinals am 20. Januar.

Interview: Viola van Melis (KNA)