Das Gebetsanliegen des Papstes für den Dezember

Das Lehramt der Zerbrechlichkeit

In seiner Gebetsmeinung für den Dezember lädt Papst Franziskus dazu ein, für Menschen mit Behinderungen zu beten. Mit seiner besonderen Zuwendung zu ihnen, habe Jesus gezeigt, dass jeder Mensch von Gott bedingungslos geliebt sei.

Autor/in:
Martin Maier SJ
Audienz mit Papst Franziskus am internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember 2022 im Vatikan. / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Audienz mit Papst Franziskus am internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember 2022 im Vatikan. / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Am 3. Dezember wird seit 1993 jedes Jahr der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung begangen. Der von den Vereinten Nationen ausgerufene Gedenk- und Aktionstag soll das Bewusstsein für die Probleme von Menschen mit Behinderung wachhalten und den Einsatz für ihre Würde, Rechte und ihr Wohlergehen fördern. Im deutschen Grundgesetz ist seit 1994 festgelegt, dass "niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf".

Mit einer Behinderung zu leben bedeutet, von vielen Lebensvollzügen ausgeschlossen und häufig auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Wer blind ist, muss sich tastend und mitunter von einem Blindenhund geführt durchs Leben bewegen. Wer in einem Rollstuhl sitzt und auf Reisen geht, muss sich im voraus nach Auffahrtsrampen und Aufzügen erkundigen. Wer mit einer geistigen Behinderung lebt und seine Angelegenheiten nicht selbst regeln kann, braucht einen rechtlichen Betreuer.

Papst Franziskus begrüßt eine Person im Rollstuhl / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus begrüßt eine Person im Rollstuhl / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Eine Behinderung wird daher häufig zunächst negativ betrachtet: Sie soll eigentlich nicht sein. Das scheint auch Jesus so gesehen zu haben. So befreite er in seinen Heilungswundern Menschen von der Blindheit, der Lähmung und von psychischer Erkrankungen. Mit seiner besonderen Zuwendung zu Menschen mit Krankheiten und Behinderungen zeigte er zugleich, dass jeder Mensch - unabhängig von seiner körperlichen oder geistigen Vollkommenheit - von Gott bedingungslos geliebt ist.

Menschen mit Behinderungen können zu Lehrmeistern werden: Sie lehren, dass die menschliche Würde unabhängig von der körperlichen oder geistigen Verfassung ist. Es gilt sogar umgekehrt, dass die Menschenwürde in der Gebrechlichkeit in einer besonderen Weise aufleuchten kann. Diese Erfahrung machen viele, die sich der Pflege von Menschen mit Behinderungen widmen. In Anlehnung an den heiligen Paulus lässt sich sagen, dass sie den Schatz der menschlichen Würde in zerbrechlichen Gefäßen tragen. Die Menschlichkeit einer Gesellschaft bemisst sich daran, wie sie mit ihren schwachen Mitgliedern umgeht.

Ungeahnte Fähigkeiten

Menschen, die durch Behinderungen eingeschränkt sind, entfalten mitunter ungeahnte Fähigkeiten und Begabungen. Das zeigt sich besonders in der Musik. Helmut Walcha, einer der größten Organisten des 20. Jahrhunderts, war seit seinem 19. Lebensjahr erblindet. Der geniale Jazzgitarrist Django Reinhardt erlitt als 18-Jähriger schwere Verbrennung. Seine linke Hand war schwer verletzt, und es war ungewiss, ob er jemals wieder würde Gitarre spielen können. Doch im Lauf der Genesung entwickelte Reinhardt eine neue virtuose Spieltechnik, bei der er lediglich Zeige- und Mittelfinger einsetzte. Mit seinem legendären Quintett "Hot Club de France" erlangte er Weltruhm.

Papst Franziskus spricht im Blick auf Menschen mit Behinderungen vom "Lehramt der Zerbrechlichkeit", das, wenn man es beachtet, die Gesellschaften menschlicher und geschwisterlicher machen würde. Benachteiligte Menschen zu integrieren und ihnen zu helfen, sei eine Pflicht der zivilen und kirchlichen Gemeinschaft. Daran schließt er die Hoffnung an: "Wie sehr würde uns die Erkenntnis, dass wir einander brauchen, dabei helfen, weniger feindselige Beziehungen zu jenen zu haben, die uns umgeben! Und wie sehr würde die Erkenntnis, dass sich auch Völker nicht alleine retten können, dazu drängen, nach Lösungen für die sinnlosen Konflikte zu suchen, die wir gerade erleben!"

Inklusion

Inklusion heißt wörtlich übersetzt Zugehörigkeit, also das Gegenteil von Ausgrenzung. Wenn jeder Mensch – mit oder ohne Behinderung – überall dabei sein kann, in der Schule, am Arbeitsplatz, im Wohnviertel, in der Freizeit, dann ist das gelungene Inklusion.

 Inklusion  / © Fredrik von Erichsen (dpa)
Inklusion / © Fredrik von Erichsen ( dpa )
Quelle:
KNA