Das Flüchtlingsboot zieht durch das Erzbistum Köln

"Weil sie leben wollen"

Zuerst war es der Altar zu Fronleichnam, dann Teil der Krippe in der Kölner Kirche Maria Lyskirchen. Jetzt beginnt das Flüchtlingsboot aus Malta seine Reise durch das Erzbistum. Damit winkt auch der Abschied aus Köln. Ein domradio.de-Interview.

Flüchtlingsboot als Krippe in Köln / © Oliver Berg (dpa)
Flüchtlingsboot als Krippe in Köln / © Oliver Berg ( dpa )

domradio.de: Etwa zweieinhalb Monate war das Boot bei Ihnen in Maria Lyskirchen, jetzt heißt es Abschied nehmen. Wie fühlt sich das an?

Benjamin Marx (Verantwortlicher der Milieukrippe St. Maria Lyskirchen): Das Boot war schon allein ein sehr starkes Bild. Das Boot ist durch dieses kleine Portal in diese Kirche gekommen. Dann stand es bis zum Advent einsam im südlichen Seitenschiff. Das Boot stand eigentlich so, dass man das Gefühl hatte, es kommt von draußen reingeschwebt und geht direkt auf den Altar zu. Es hat einen sehr stark mitgenommen, St. Maria Lyskirchen ist ja eine Schifferkirche.

domradio.de: …weil dort die spätgotische Schiffermadonna verehrt wird. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts stand die Figur in einer Nische an der Außenfassade der Ostapsis der Kirche, wo sie von den Rheinschiffern gesehen und verehrt werden konnte.

Marx: Aus dem Grund hat ein Schiff in dieser Kirche schon einen sehr hohen symbolischen Wert.

domradio.de: Sie haben auf dem Flüchtlingsboot Ihre Milieukrippe aufgebaut. Wofür war das ein Symbol?

Marx: Für die Menschwerdung Gottes. Die Milieukrippe will einfach immer wieder zeigen, dass Weihnachten jedes Jahr neu geschieht. Auch symbolisiert sie, dass Jesus ist nicht fern irgendwo in einem idyllischen Stall geboren wurde. Jesus kommt immer wieder zu den Menschen ins Milieu.

Und in dem Fall ist er eben zu den Menschen auf dem Boot gekommen. Das Boot sollte nicht die Krippe sein, sondern das Boot sollte als Botschaft die Krippe tragen.

domradio.de: Wie haben Sie das umgesetzt?

Marx: Wir hatten Respekt vor dem Boot: Wenn das Boot Geschichten erzählen könnte, würde es Geschichten erzählen, die wir nicht hören wollten oder vielleicht nicht ertragen könnten. Wir haben Glasplatten auf das Boot gelegt. Wir wollten damit den Lebensraum, in dem die Menschen auf dem Meer waren, sichtbar machen. Auch in der Zeit, als die Krippenfiguren auf dem Boot standen.

domradio.de: Wie haben die Besucher der Kirche und der Gottesdienste reagiert?

Marx: Wir waren am Anfang sehr skeptisch. Die Milieukrippe in Lyskirchen zieht nämlich einige an, die aus rein nostalgischen Gründen kommen. Sie wollen das alte Köln dort finden. Wir wussten nicht, wie die Menschen auf diese Krippe reagieren würden. Zum einen kamen solche, die direkt wieder gegangen sind. Aber die meisten haben das Boot als Botschaftsträger akzeptiert. Es kam zu sehr interessanten Gesprächen. Viele Besucher kamen zur Krippe, die bisher nicht da waren. Wir hatten ein gutes Medienecho. Die Botschaft kam an und die Arbeit war es wert.

domradio.de: War das anders als in den Vorjahren?

Marx: Die andere Krippe kenne ich seit fast 25 Jahren. Diese Krippe war für mich persönlich in diesem Jahr immer wieder eine Herausforderung: Wie stelle ich die Figuren? Welche Szenen kann man hier einbauen? Es war immer eine Gradwanderung. Ich glaube, es ist gelungen, dass die Gradwanderung sich immer auf einem Niveau bewegt, dass keiner verletzt wurde.

domradio.de: Sie haben von interessanten Gesprächen berichtet. Was haben die Leute denn gefragt?

Marx: Was jeder sagt: Da sollen 70 Menschen drin gewesen sein? Das ist etwas, was sich keiner vorstellen konnte. Die Menschen sagen dann, 70 Menschen auf diesem Boot, wie sieht es dann mit den menschlichen Bedürfnissen aus? Was bedeutet Intimsphäre? Die Menschen sind sich ausgeliefert. Erstaunlich fand ich, dass viele gesagt haben: Auf ein solches Boot geht man nicht, um in Deutschland Sozialhilfe zu erschleichen.

domradio.de: Waren auch Geflüchtete da und haben sich das angesehen?

Marx: Es waren Geflüchtete da, wir haben auch erlebt, dass welche reinkamen und sind sofort wieder rausgegangen, weil das Boot zu starke Erinnerungen ausgelöst hat.

domradio.de: Wie war es mit Kindern, die das Boot gesehen haben?

Marx: Das Boot ist relativ hoch und die Kinder waren sehr tief an dem Boot und haben das Boot aus einer ganz anderen Perspektive gesehen. Wir haben nachher auch eine kleine Tribüne gemacht, damit die Kinder auch ins Boot hineinschauen können. Es war schwer, den Kindern das zu vermitteln, was mit diesem Boot passiert war. Die ersten Schulklassen, die da waren, kamen an und waren sehr traurig, konnten das alles kaum erfassen. Sie haben gemessen, wie groß denn der Platz gewesen sein könnte, den jemand hatte, wenn 70 Menschen auf dem Boot waren. Es kam dann die Generation der späteren, die teilweise auch etwas aggressiv auf das Boot reagiert haben, weil sie damit nichts anfangen konnten oder nichts anfangen wollten.

domradio.de: Jetzt setzt das Flüchtlingsboot seine Reise nach Euskirchen fort. Ein originales Flüchtlingsboot, das durchs Bistum reist: Was hat das für eine Botschaft?

Marx: Es hat die enorme Botschaft, dass sich wirklich die Menschen damit auseinandersetzen: In diesem Boot sind Menschen unterwegs, weil sie leben wollen. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Gefahr, dass ich woanders nicht leben kann, so hoch ist, dass ich mich in eine neue Gefahr begebe, um einem Hauch von Hoffnung zu folgen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Benjamin Marx / © Markus Nowak (KNA)
Benjamin Marx / © Markus Nowak ( KNA )

Das Flüchtlingsboot geht auf Reise / © Boecker (Erzbistum Köln)

Das Flüchtlingsboot geht auf Reise / © Boecker (Erzbistum Köln)

Die Flagge der Phoenix / © Boecker (Erzbistum Köln)
Quelle:
DR