Kinderschutzbund prangert Ungerechtigkeit in der Bildung an

Das "Bildungs- und Teilhabepaket versagt vollkommen"

Den Weltkindertag am Donnerstag nutzt der Kinderschutzbund für einen alarmierenden Appell: Millionen Eltern müssten sich das Geld für Ranzen, Stifte und Atlanten ihrer Kinder im wahrsten Sinne des Wortes vom Munde absparen.

Kosten ein kleines Vermögen: Ordentliche Schulranzen (dpa)
Kosten ein kleines Vermögen: Ordentliche Schulranzen / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Zum diesjährigen Weltkindertag setzt sich der Deutsche Kinderschutzbund in erster Linie für mehr Bildungsgerechtigkeit und Lernmittelfreiheit ein. Was genau meinen Sie damit?

Heinz Hilgers (Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes): Wir meinen damit, dass die Chancen in unserem Bildungssystem für arme Kinder sehr schlecht sind. Von den knapp 13 Millionen Kindern leben nach unseren Berechnungen über vier Millionen mittlerweile in Armut. Das sind zum einen die drei Millionen, die formal Anspruch haben auf das Bildungs- und Teilhabepaket, weil die Familie entweder von Hartz IV lebt oder sie Kinderzuschlag oder andere Sozialleistungen beziehen muss, damit das Existenzminimum einigermaßen gesichert ist. Hinzu kommen die, die das gar nicht erst beantragen, weil sie sich schämen und weil sie die entwürdigenden Prozeduren nicht mehr ertragen. Und die meisten der Eltern arbeiten.

Die Eltern von fast drei Millionen Kindern gehen arbeiten, können aber in unserem Land mit ihrer Arbeit nicht mehr das Existenzminimum ihrer Familie verdienen - und sollten dann aufstocken. Dann fallen sie einer Bürokratie anheim, die sie nicht fördert. Das Bildungs- und Teilhabepaket, das dann die Kinder unterstützen soll, versagt vollkommen. Wenn Sie sich die Zahlen vor Augen führen, werden nicht mal 15 Prozent der betroffenen Kinder durch die Bildungs- und Teilhabepaket erreicht werden.

DOMRADIO.DE: Was sollte denn dann konkret die Politik ändern?

Hilgers: Man müsste endlich die Lernmittelfreiheit wiederherstellen und nicht alles Mögliche tun, um die Eltern zu belasten. Wer Kinder hat, weiß wie oft die Kinder Geld für Kopien mitbringen müssen. Und wie das mit den Atlanten aussieht und anderen Dingen, die nicht mehr von der Lernmittelfreiheit gedeckt sind, weil sie nicht ständig im Unterricht dabei sind oder auch anders gebraucht werden können.

Da ist mittlerweile so gekürzt worden, dass die Eltern selbst im untersten Level mindestens 400 Euro im Jahr ausgeben müssen - auch für Kinder von Hartz-IV-Empfängern. Nur 100 Euro kommen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. Die Spitze, das oberste Fünftel der Gesellschaft, gibt sogar 2.500 Euro aus. Alleine an dieser Differenz sieht man, wie ungerecht die Lebenschancen und die Lernchancen sind.

DOMRADIO.DE: Jetzt diskutiert die Bundesregierung, den Betrag auf 120 Euro aufzustocken.

Hilgers: Sie wissen ja, was schon der Tornister kostet. Sie können natürlich bei Ebay einen Ranzen für 100 Euro ersteigern. Dann ist der Zuschuss schon fast weg und Sie haben gerade erst einmal den leeren Tornister. Wenn sie ins Kaufhaus gehen, kostet der 220 Euro, wenn er ergometrisch einwandfrei ist und nicht zum krummen Rücken führen soll. Dazu kommt: In der Stadt Köln zum Beispiel werden gerade mal 3,9 Prozent der betroffenen Kinder durch das Bildungs- und Teilhabepaket erreicht. Das floppt vollständig. Die Eltern müssen sich das Geld vom Munde absparen, damit die Kinder wenigstens halbwegs ordentliche Schulsachen haben.

DOMRADIO.DE: Welche Themen liegen dem Kinderschutzbund am Weltkindertag noch am Herzen?

Hilgers: Wir machen auf die Kinderrechte insgesamt aufmerksam: auf das Recht auf soziale Sicherheit und darauf, dass die Kinderrechte ins Grundgesetz kommen. Im Speziellen fordern wir aber an diesem Tag Bildungsgerechtigkeit für alle Kinder in unserem Land.

Das Interview führte Aurelia Rütters.


Heinz Hilgers / © Markus Scholz (dpa)
Heinz Hilgers / © Markus Scholz ( dpa )
Quelle:
DR