"Silbernetz" gegen Einsamkeit bei Senioren

"Danke, dass es Euch gibt"

Gespräche bereichern den Tag und man kann auch Frust bei anderen abladen. Einige ältere Menschen hingegen haben ihre sozialen Kontake verloren und niemanden zum Reden. In Berlin gibt es dagegen seit einem Jahr das "Silbertelefon".

Seniorin am Telefon / © Bacho (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Eine Nummer gegen Einsamkeit: Wie ist diese Idee entstanden?

Elke Schilling (Gründerin von "Silbernetz"): Da gab es viele Anlässe: Der erste war vor ungefähr 15 Jahren als ich nachts an einem Sorgentelefon saß und mich ein älterer Herr anrief und sagte: "Wissen Sie, junge Frau. Ich bin jetzt 85 Jahre alt. Die Reihen um mich herum sind leer geworden, können Sie mir sagen, warum ich noch leben soll?"

Das war der erste Trigger, dann hatte ich Jahre später als Seniorenvertreterin hier in Berlin-Mitte einen Nachbarn, der quasi unbemerkt gestorben ist. Ich hatte Monate vorher noch Hilfe angeboten, die er abgelehnt hat. Dann war er weg und verschwunden und dann wurde er tot aus seiner Wohnung getragen. Das war der Punkt, wo ich sagte: "Da muss man was gegen tun." Und dann habe ich was getan.

DOMRADIO.DE: Seit knapp einem Jahr haben Sie was getan und tun es auch noch immer ganz erfolgreich.

Schilling: Wir tun seit fünf Jahren etwas. Vor einem Jahr konnten wir dann endlich unsere Silbertelefone freischalten. Seitdem sind wir anrufbar, insbesondere für ältere Menschen aus Berlin, unter der Rufnummer 0 800 4 70 80 90. "Einfach mal reden", haben wir unseren Slogan genannt.

DOMRADIO.DE: Sind es viele Menschen, die einfach mal reden wollen?

Schilling: 30.000 Mal wurde unsere Nummer gewählt und geführt haben wir inzwischen etwas über 7.000 richtige Gespräche. Das machen unsere Mitarbeiterinnen am Telefon und dort schaffen wir eine doppelte Win-win-Situation, indem wir Menschen eine Chance auf Erwerbsarbeit geben, die auf dem üblichen Arbeitsmarkt kaum noch vermittelbar sind. Sie arbeiten sich prima unter unserer Hilfe ein, haben Spaß an diesem Job und werden von Monat zu Monat auch immer besser im Gespräch.

DOMRADIO.DE:  Mit welchen Geschichten treten die Menschen an Sie heran?

Schilling: Das sind manchmal ganz einfache Geschichten. Etwa die morgendliche Wasserstandsmeldung: "Hier bin ich, mir gehts einigermaßen. Ich mache heute das und das." Wenn jemand richtig alleine ist, dann ist es wichtig, einmal wahrgenommen zu werden am Tag, mit solch einer kleinen Meldung.

Oder es sind die richtig schweren Probleme. Wenn jemand davor steht, dass die Wohnung gekündigt wird, eine Zwangsräumung bevorsteht, das hatten wir auch schon. Oder die Dinge dazwischen. Wenn ich einen neuen Kühlschrank kaufe und habe niemanden, mit dem ich mich über den Typ und die Funktion beraten kann, dann ist auch das Silbertelefon da.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn auch Momente und Gespräche, wo Sie sagen: Bis hierhin können wir reden. Aber dann auch nicht mehr und dann muss ich denjenigen an andere Organisationen weiterleiten?

Schilling: Genauso ist das. Unser "Silbernetz" ist quasi dreistufig. Einmal das "Silbertelefon", die Hotline. Dann unsere "Silbernetz-Freunde" für ein persönliches Gespräch am Telefon und das dritte ist diese "Silberinfo", wo wir über die Angebote für ältere Menschen informieren, von denen 40 Prozent der Älteren in der Regel nichts wissen. Also: Besuchsdienste, Mobilitätsdienste, irgendwelche Beratungseinrichtungen oder was auch immer. Es gibt so viel, wovon die älteren Herrschaften oftmals nichts wissen und da versuchen wir zu informieren.

DOMRADIO.DE: Kommt es auch zu Treffen mit den Menschen oder bleibt es wirklich beim reinen Telefonkontakt und beim Vermitteln?

Schilling: Wir sind ein reiner Telefonkontakt, denn Besuchsdienste und Ähnliches gibt es ja. Wir sind an der Stelle wirklich diejenigen, wo noch nichts ist. Das heißt, der erste direkte Kontakt auf einer niedrigschwelligen Ebene und dann einen etwas persönlicheren Kontakt und dann aber die Vermittlung zu den Krisentelefonen, zur Telefonseelsorge, wenn es schwierig wird. Das, was wir eigentlich nicht können und auch nicht können wollen. Das machen auch wieder andere besser und kompetenter als wir.

DOMRADIO.DE: Welche Rückmeldungen von den älteren Menschen in Berlin bekommen Sie?

Schilling: Die Mehrzahl der Rückmeldungen sind tatsächlich so, dass ein Gespräch damit endet, dass jemand sagt: "Schön, dass Sie jetzt Zeit für mich hatten. Das war gut jetzt darüber zu sprechen. Es hat mir was gebracht." Natürlich gibt es auch Menschen, die einfach mal verzweifelt sind an ihrem Leben und auch diese Verzweiflung bei uns abladen und dann in ihrer Verzweiflung ein Stück weit stecken bleiben. Das sind aber solche, die immer mal wieder anrufen und irgendwann gibt es dann vielleicht doch einen kleinen Klick und dann sind sie auch froh. Manche werden es zwar nie, aber die Mehrzahl sagt: "Danke, dass es Euch gibt".

Das Interview führte Carsten Döpp.


Quelle:
DR