Käßmann sieht Angriff auf Solidarität durch Corona-Leugner

"Da sind alle Bürgerinnen und Bürger gefragt"

Nach dem Mord an einem Studenten in Idar-Oberstein hat die evangelische Theologin Margot Käßmann an die Menschen in Deutschland appelliert, gemeinsam für die Corona-Maßnahmen einzustehen. Unterdessen mehren sich Angriffe auf Impfzentren.

Margot Käßmann / © Jens Schulze (epd)
Margot Käßmann / © Jens Schulze ( epd )

"Die Maßnahmen sind dazu da, die Corona-Krise möglichst bald zu beenden", schrieb die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in der "Bild am Sonntag". Wer die Maßnahmen massiv ablehne und andere einschüchtere, greife die Solidarität im Land an.

In Idar-Oberstein ist am 18. September ein 20-jähriger Tankstellen-Mitarbeiter mutmaßlich von einem Maskenverweigerer mit einem Revolver getötet worden. Der 49-jährige Tatverdächtige wollte ohne den in der Pandemie vorgeschriebenen Mund-Nasen-Schutz Bier kaufen.

Aggressionen nehmen zu

Darüber gab es laut Polizei zwischen ihm und dem späteren Opfer "eine kurze Diskussion". Danach verließ der 49-Jährige den Angaben zufolge die Tankstelle, kam aber etwa eineinhalb Stunden später zurück und erschoss den Studenten. In seiner Vernehmung gab er laut Polizei an, er lehne die Anti-Corona-Maßnahmen ab. Die Tat löste bundesweit Entsetzen aus.

"Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem ich Angst haben muss, wenn ich anmahne, was die Regeln sind", schrieb die Theologin.

"Die Aggression der Corona-Leugner und Masken-Gegner wird immer roher." Dagegen hälfen nur Zivilcourage und klare rechtliche Konsequenzen. "Lassen wir uns nicht durch Drohungen einschüchtern", forderte Käßmann. Man dürfe das Einfordern der Regeln nicht den Mitarbeitern der Bahn oder im Einzelhandel sowie Gastwirten allein überlassen. "Da sind alle Bürgerinnen und Bürger gefragt."

Angriffe auf Impfzentren vor allem in Bayern und Sachsen

Unterdessen hat es in nahezu allen Bundesländern seit Beginn der Impfkampagne gegen das Coronavirus Angriffe auf Impfzentren oder teils schwere Störungen von Impfaktionen gegeben. Wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den Ministerien, Landeskriminalämtern und einer Kassenärztlichen Vereinigung ergab, handelte es sich dabei meist um Sachbeschädigungen, vor allem Schmierereien.

Es gab aber auch Drohungen, Beleidigungen, Diebstähle, körperliche Angriffe und in Sachsen eine Brandstiftung. Der Umfrage zufolge gab es bundesweit mindestens 190 polizeilich relevante Fälle, die im Zusammenhang mit Corona-Schutzimpfungen stehen. Die meisten wurden in Bayern und Sachsen registriert.

In Bayern gab es nach Auskunft des dortigen Innenministeriums seit Dezember 2020 insgesamt 56 Straftaten im Zusammenhang mit Impfzentren, in Sachsen allein in diesem Jahr 54. Die gegen Impfzentren und -aktionen gerichteten Taten werden nicht überall einheitlich erfasst. Manche Bundesländer können daher keine konkreten Zahlen nennen. Alle Länder melden aber vor allem Sachbeschädigungen.

Im Saarland wurde etwa aus dem Schriftzug "Impfzentrum" das Wort "Giftzentrum" gemacht. Es war dort allerdings auch der einzige Fall.

Auch Bremen registrierte nur einen Fall. Die beiden Länder führen bei der Quote bislang verabreichter Corona-Schutzimpfungen. Hamburg meldete sogar, dass nichts "Gravierendes" im Zusammenhang mit Angriffen gegen Impfzentren oder -aktionen bekannt sei.

Auch Fälle von Körperverletzungen

Im Zusammenhang mit Impfaktionen gab es aber auch Fälle von Körperverletzungen. Sachsen weist fünf solcher Fälle in der Statistik aus, Sachsen-Anhalt einen Fall von gefährlicher Körperverletzung. Die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen berichtete Anfang September von einem schweren Angriff auf ein Impfteam, das in einem Einkaufszentrum in Gera Immunisierungen vornahm.

Ein Mann forderte dort einem Impfnachweis ohne Impfung und schlug den Angaben zufolge auf die medizinischen Fachkräfte ein, als die ihm dies verweigerten. Zwei Menschen seien dadurch verletzt worden. In Schleswig-Holstein gab es Drohschreiben an Schulleitungen und weiteres Personal im Zusammenhang mit Impfaktionen, in einem Fall sogar einen Mordaufruf. Es ermittelt jeweils die Staatsanwaltschaft.

Nur für eine Minderheit der Fälle konnten nach Rückmeldung der Länder die Verursacher von Schäden oder Störungen ausfindig gemacht werden. Rund 30 Tatverdächtige ergeben sich aus Angaben, wobei nicht alle Länder Auskunft dazu geben konnten. Die Schäden summieren sich auf mehrere Hundert oder Tausend Euro pro Land, Sachsen spricht sogar von einer Schadenshöhe "im unteren fünfstelligen Bereich".

Auch während der bundesweiten Impfaktionswoche vom 13. bis 19. September gab es in mehreren Bundesländern Störungen von Impfaktionen. In Hessen protestierten nach Angaben des Innenministeriums "bei kleineren demonstrativen Aktionen" Menschen gegen Impfangebote an Schulen.

Im bayerischen Kösching kam es sogar zu einer körperlichen Auseinandersetzung, nachdem sich Impfgegner Zugang zur Schule verschafften, wo ebenfalls eine Impfaktion lief, wie das Ministerium mitteilte. In Mecklenburg-Vorpommern forderten Störer einer Impfaktion in einem Bürgerhaus nach Angaben des Innenministeriums lautstark, sich nicht impfen zu lassen.


Ein Schild mit der Aufschrift "Ich will keine Impfung" / © Sebastian Kahnert (dpa)
Ein Schild mit der Aufschrift "Ich will keine Impfung" / © Sebastian Kahnert ( dpa )
Quelle:
epd