Credo-Reihe: Woran die Flüchtlingskoordinatorin Münzer wirklich glaubt

"Vieles würde ich nicht aus eigener Kraft schaffen"

Auch Glaubende haben Zweifel. Trotzdem halten sie sich an etwas fest, das ihnen Kraft gibt und sie trägt – jenseits aller Dogmen und frommen Glaubenssätze. So hilft Mechtild Münzer bei ihrem persönlichen Credo die Flüchtlingsarbeit.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Die Motivation für ihre Arbeit als Flüchtlingskoordinatorin bezieht Mechtild Münzer aus ihrem Glauben. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Motivation für ihre Arbeit als Flüchtlingskoordinatorin bezieht Mechtild Münzer aus ihrem Glauben. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Frau Münzer, wie stellen Sie sich Gott vor, und wann wird er für Sie erfahrbar?

Mechtild Münzer (Mitglied im Ökumenekreis „Wir für neue Nachbarn“ Bensberg-Moitzfeld): Im Laufe meines Lebens hat Gott für mich schon viele Gesichter gehabt. So sah er für mich in meiner Kindheit ganz anders aus als heute, womit ich keine konkrete bildliche Darstellung meine, sondern Erfahrungen, die ich mit Gott gemacht habe. Dabei hatte ich den direkteren Draht von Anfang an zu Jesus, weil meine Mutter immerzu vom Heiland sprach, der bei uns zuhause eigentlich auch omnipräsent war – nicht zuletzt, weil sie von ihm viele Geschichten erzählt oder diese aus einer uralten dicken Kinderbibel vorgelesen hat. Und was ich da hörte, führte in meiner Phantasie zu der Vorstellung von einem gütigen Menschen, der immer da war und nur Gutes tat. Jedenfalls fühlte ich mich von ihm behütet. Wenn wir Kinder morgens in die Schule gingen, zeichnete meine Mutter ein Kreuz auf unsere Stirn, so dass ich immer mit einem guten Gefühl aus dem Haus gegangen bin.

Seit über 30 Jahren macht sich Mechtild Münzer für Geflüchtete stark. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Seit über 30 Jahren macht sich Mechtild Münzer für Geflüchtete stark. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Als ich einmal zu spät zur Schule kam und als Entschuldigung vorbrachte, dass wir zuhause noch gebetet hätten, sorgte das bei meiner Lehrerin und den Mitschülern für einen regelrechten Wow-Effekt. Das muss alle sehr beeindruckt haben. Mit den Jahren dann hat sich allerdings dieses gute Gefühl gewandelt – zum Beispiel, als ich meine erste kirchliche Arbeitsstelle in einem katholischen Kindergarten antrat und mein bisher uneingeschränkt positives Bild von allem, was mit meinem Glauben zu tun hatte, in eine Schieflage geriet. Das hatte allerdings weniger mit Gott als mit dem kirchlichen Arbeitgeber zu tun. Gleichzeitig ist in dieser Zeit mein Glaube erwachsener geworden. Heute bin ich fest davon überzeugt, dass es da jemanden gibt, der auf mich achtet und dem ich alles anvertrauen kann, dem ich aber auch schon mal Vorhaltungen mache, wenn es mir nicht gut geht. Dann frage ich auch: Warum hast du nicht auf mich aufgepasst?

Mechtild Münzer

"Eigentlich fühle ich mich bei dieser Arbeit mit teils traumatisierten Menschen immer als von Gott geführt, an den ich mich auch dann wende, wenn ich mal nicht mehr weiter weiß."

Erfahrbar wird Gott für mich in den vielen Menschen um mich herum, vor allem den Geflüchteten, die darauf vertrauen, dass sie von mir Hilfe und Unterstützung bekommen, und für die ich Verantwortung trage. Eigentlich fühle ich mich bei dieser Arbeit mit teils traumatisierten Menschen immer als von Gott geführt, an den ich mich auch dann wende, wenn ich mal nicht mehr weiter weiß. Denn gerade dieses Ehrenamt ist oft sehr belastend, so dass mich manchmal die Probleme auch gar nicht mehr loslassen. Meist tut sich erst im letzten Moment eine Lösung auf, die ich aber dann ganz sicher meinem unerschütterlichen Gottvertrauen verdanke.

Mit einer Vielzahl an Angeboten hilft Mechtild Münzer bei der Integration. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Mit einer Vielzahl an Angeboten hilft Mechtild Münzer bei der Integration. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Gab es schon Situationen, in denen Sie mit Gott gehadert oder Ihren Glauben infrage gestellt haben? Und wenn ja, was hat Ihnen da geholfen?

Münzer: Solche Situationen gab es immer wieder – wenn ich regelrecht verzweifelt war und darum gebetet habe: Gott steh mir bei! Früher in meiner Jugend, aber auch zuletzt noch in meinem Engagement in der Flüchtlingsarbeit: wenn Menschen aus unserer Gemeinde abgeschoben wurden und ich morgens um 5 Uhr einen Anruf von einem verzweifelten Kind bekam, das mich bat, umgehend zu kommen, weil die Polizei vor der Tür stand, um die Familie abzuholen und in ein Flugzeug zu setzen. Von solchen Abschiebungen habe ich schon etliche erlebt, so dass mir da schon manches Mal Zweifel gekommen sind, ob Gott da nicht versagt hat, statt seine Hände schützend über diese Menschen zu halten. Jedenfalls habe ich das immer als großes Unrecht empfunden, dass dann eine solche Familie, meist mit vielen Kindern, in ihr Herkunftsland Albanien oder Aserbaidschan zurückgeschickt wurde. Da haben sich unvorstellbare Dramen abgespielt, die man kaum ertragen kann und die natürlich auch etwas mit einem machen. 

Einmal wurde von zwei Jugendlichen nur die Mutter abgeschoben, weil sie jeweils einen anderen Aufenthaltsstatus hatten. Auch das war einfach nur schrecklich. Bis heute haben diese beiden Geschwister, die hier inzwischen eine Ausbildung absolvieren, ihren Vater nie wieder gesehen und die Mutter in all den Jahren nur einmal kurz bei einem Besuch, den ich ihnen privat ermöglicht habe. Das war rückblickend wirklich das Schlimmste, und da habe ich Gott dann in der Tat als eine Art Versager gesehen, der nicht eingegriffen hat. Das hat mich sehr enttäuscht.

Bei einer Nikolausfeier lernen Kinder aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak christliche Feste kennen. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Bei einer Nikolausfeier lernen Kinder aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak christliche Feste kennen. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Geholfen hat mir dann mein Realitätssinn und dass ich meine ganze Kraft gebündelt habe, um zu bewirken, dass die beiden jungen Leute wenigstens in ihrer Wohnung bleiben und ihre Ausbildung fortsetzen konnten. Ich bin dann mit allen verantwortlichen Stellen in Kontakt geblieben, um ihnen hier in Deutschland eine Chance auf ein besseres Leben zu ermöglichen – mit mir als Ersatzmutter. Diese Fokussierung hat mir gut getan.

DOMRADIO.DE: Über 20 Jahre saßen Sie für die CDU im Stadtrat von Bergisch Gladbach, aber auch mit Ihrem ehrenamtlichen Engagement in Ihrer Kirchengemeinde haben Sie sich immer für die Integration von geflüchteten Menschen eingesetzt. Bis heute versuchen Sie, ihnen ein Ankommen in der deutschen Gesellschaft zu ermöglichen – auch indem Sie Arbeit für sie finden und Ihnen dafür kein Weg zu steinig ist. Wie sehr greift in Ihrem Alltag der Kompass Ihres katholischen Glaubens? Welche Erfahrungen machen Sie?

Mechtild Münzer

"Ich konnte nie verstehen, wie man Menschen Hilfe verweigern, sie abweisen und dorthin zurückschicken kann, wo sie Not leiden oder verfolgt werden, wenn sie doch hier integriert sind und dem Staat nicht auf der Tasche liegen."

Münzer: Leider ist das C in meiner Partei schon lange nicht mehr so präsent, wie ich es mir wünschen würde. In den 21 Jahren meines politischen Engagements habe ich immer mal wieder versucht, das ins Gespräch zu bringen, um hier bewusst den Fokus auf das christliche Menschenbild zu richten. Stattdessen sind immer öfter Entscheidungen gefallen, die ich nicht mittragen konnte, weil sie m. E. nichts mehr mit einem christlichen Selbstverständnis zu tun haben. Das ist mir schwer gefallen, trotzdem habe ich auch dann immer noch versucht, das Beste daraus zu machen. Aber oft standen die politischen Entscheidungen – weil dann eben auch die entsprechenden Gesetze dazu erlassen wurden – konträr zu meinen Überzeugungen, wie auch jetzt bei der aktuellen Debatte um die Rückführungen nach Syrien, Iran und Irak. 

Ich konnte nie verstehen, wie man Menschen Hilfe verweigern, sie abweisen und dorthin zurückschicken kann, wo sie Not leiden oder verfolgt werden, wenn sie doch hier integriert sind und dem Staat nicht auf der Tasche liegen. Zu Recht wehren sich die Menschen gegen eine solche Unmenschlichkeit, wenn sie dann vor Gericht ziehen und ihr Bleibe- oder Aufenthaltsrecht erstreiten wollen. Ich denke da an eine Familie aus dem Irak: Der Mann ist Analphabet, putzt aber hier in Bensberg in einem Krankenhaus und macht damit einen wirklich guten Job. Auch solche Menschen brauchen eine Perspektive und sind erfolgreich integriert.

Vorlesestunde mit Flüchtlingsfamilien. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Vorlesestunde mit Flüchtlingsfamilien. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Was mich dabei leitet, mich für solche Menschen einzusetzen und für diejenigen zu kämpfen, die in unserer Gesellschaft keine Lobby haben, ist mein christliches Menschenbild und der Auftrag zu Barmherzigkeit und Nächstenliebe, was ich täglich – oft allen Widerständen zum Trotz – umzusetzen versuche. Schon in vielen brenzligen Situationen hatte ich plötzlich unvermutet Kraft für dieses oft mühsame Ringen. Und da glaube ich dann schon, dass Gott auf meiner Seite steht und er mir die Kraft schenkt, für diese Menschen etwas Gutes zu erreichen. Ich wüsste nicht, woher ich sonst immer wieder neu meine Motivation dazu beziehen sollte, gerade wenn ich total erschöpft bin. Diese Stärke kann letztlich nur aus meinem tiefen Gottvertrauen kommen.

DOMRADIO.DE: Wie sehr wirkt sich das, was Sie tun, auf Ihren Glauben aus? Und umgekehrt: Wie notwendig ist der Glaube für Ihr Selbstverständnis, aber auch Ihr Wirken in Kirche, Gesellschaft und Politik?

Münzer: Mein Glaube ist die Quelle, aus der ich schöpfe. Natürlich erlebe ich immer wieder auch Rückschläge – zum Beispiel wenn ich es nicht geschafft habe, mit den Behörden eine Einigung zu erzielen, und Familien dann tatsächlich abgeschoben werden. Das ist für mich immer ein absoluter Tiefpunkt, weil ich ja alles tue, damit genau das nicht passiert. Und natürlich zieht mich das jedes Mal runter, und dann zweifle ich schon an Gott und frage ihn: Wo warst du, als ich dich gebraucht habe? Warum hast du mir nicht den Kampfgeist gegeben, noch die allerletzten Mittel auszuschöpfen? 

Mechtild Münzer

"Da wird Gott schon auch seine Finger mit im Spiel gehabt haben, wenn ich nicht aufgegeben habe und über Umwege etwas erreichen konnte."

Und trotzdem gab es dann immer doch auch einen Lichtblick, an dem ich erkennen konnte, dass es alternative Wege gibt, mit diesen Menschen in Verbindung zu bleiben und sie selbst noch aus der Ferne zu begleiten – bis hin nach Somalia oder eben Albanien. Was mich beruhigt hat, weil ich damit das Gefühl haben konnte: Du hast sie nicht im Stich gelassen. Da wird Gott schon auch seine Finger mit im Spiel gehabt haben, wenn ich nicht aufgegeben habe und über Umwege etwas erreichen konnte. Manchmal sind Menschen auch zurückgekommen und konnten wieder einreisen, weil sich diese Beharrlichkeit ausgezahlt hat.

Vieles von dem würde ich nicht aus eigener Kraft schaffen. Ganz wesentlich ist Gott doch die Kraftquelle, aus der heraus ich diesen Einsatz leiste. Ich denke schon, dass da einer ist, der ein Auge auf mich hat und mir Mithelfer an die Seite stellt. Allen voran meine Familie, mit der ich diesen Glauben teile. Aber auch das Netzwerk, das wir als Team hier am Ort mit der „Aktion Neue Nachbarn“ in den letzten zehn Jahren aufgebaut haben, ist wie mein Rückgrat. Nicht zuletzt imponiert mir auch, mit welcher Verzweiflung, aber dann auch wieder immensen Hoffnung geflüchtete Menschen – selbst wenn sie muslimischen Glaubens sind und ihr Gott einen anderen Namen trägt – zu Allah beten und im gemeinsamen Vertrauen auf Gottes Hilfe schon manche auswegslos erscheinende Hürde nehmen konnten.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Quelle:
DR

Die domradio- und Medienstiftung

Unterstützen Sie lebendigen katholischen Journalismus!

Mit Ihrer Spende können wir christlichen Werten eine Stimme geben, damit sie auch in einer säkulareren Gesellschaft gehört werden können. Neben journalistischen Projekten fördern wir Gottesdienstübertragungen und bauen über unsere Kanäle eine christliche Community auf. Unterstützen Sie DOMRADIO.DE und helfen Sie uns, hochwertigen und lebendigen katholischen Journalismus für alle zugänglich zu machen!

Hier geht es zur Stiftung!