DOMRADIO.DE: Wie stellen Sie sich Gott vor, und wann wird er für Sie erfahrbar?
Konrad Adenauer (Notar und Vereinsfunktionär i. R.): Jedenfalls stelle ich ihn mir nicht so vor, wie er mir in meiner Kindheit auf Bildern im Katechismus begegnet ist. Die Frage ist doch, ob wir ihn uns überhaupt in Menschengestalt vorstellen sollten. In der Bibel heißt es zwar, der Mensch ist nach dem Ebenbild Gottes geschaffen, aber das ist vielleicht auch nur ein frommer Wunsch. Wenn ich ehrlich bin, habe ich nicht wirklich eine genaue Vorstellung von Gott. Einmal habe ich geträumt, ich würde mit ihm sprechen und er habe mich zu sich gebeten. Da höre ich mich noch antworten: "Dann muss ich aber ja vorher sterben." Und das behagte mir dann doch nicht.
Trotzdem nähert sich Gott den Menschen so, dass wir ihn wahrnehmen können. Und wenn wir dann eines Tages im Himmel sind, wird er sich auch zu erkennen geben, aber sicher ganz anders, als wir es uns jetzt ausdenken, und bestimmt so, dass niemand erschrickt. Tatsache ist, dass Gott den Jüngern ja auch als Mensch erschienen ist. Von daher glaube ich, dass es so ähnlich sein wird, aber wer weiß das schon. In jedem Fall gibt es eine Überraschung und sein Erscheinen wird viel gewaltiger sein, als wir uns das vorstellen. Wenn man bedenkt, dass schon viele Millionen Menschen vor uns gelebt haben, es zur Zeit acht Milliarden Menschen auf der Welt gibt und er jeden einzelnen kennt und auch durchschaut, dann übersteigt allein schon das doch jede menschliche Vorstellungskraft.
Ich glaube, dass ich Gott schon an bestimmten Wendungen und Ereignissen des Lebens begegnet bin, auch wenn sich diese ihm nicht unmittelbar zuordnen lassen, weil man ja keinen Beweis dafür hat. Aber es gab schon brenzlige Situationen in meinem Leben, von denen ich im Nachhinein sage: Da hatte ich einen Schutzengel. Zum Beispiel im Straßenverkehr oder als ich mal in großen Geldnöten steckte, da tat sich mit einem Mal wie durch ein Wunder ein Ausweg auf. Immer mal wieder gab es in meinem Leben Ereignisse, von denen ich dachte: Das kann doch jetzt kein Zufall sein! Eigentlich wollte ich das immer mal aufschreiben, wenn ich meinte: Hier ist der Zufall gefügt worden.
DOMRADIO.DE: Gab es schon Situationen, in denen Sie mit Gott gehadert oder Ihren Glauben infrage gestellt haben? Und wenn ja, was hat Ihnen da geholfen?
Adenauer: Nein, gehadert habe ich zum Glück noch nie. Natürlich lese ich von schrecklichen Unfällen, Katastrophen und Kriegen und dass Menschen sich oft fragen: Wie kann Gott das zulassen? Ich persönlich stelle mir diese Frage nicht und halte sie auch für absolut dumm. Gott hat alles zugelassen, auch uns Menschen. Er lässt Gutes und auch Schlechtes zu. Wir wissen ja nicht einmal, warum Gott die Welt geschaffen hat, und das werden wir zu Lebzeiten auch nie erfahren. Von daher ist es müßig, Gottes Handeln zu hinterfragen.
Als einmal auf der Beerdigung einer Tante das Evangelium von der Auferweckung des Lazarus gelesen wurde, meinte einer der Trauergäste, das könne man doch überhaupt nicht glauben. Da habe ich vehement dagegen gehalten und argumentiert: Wenn Gott die Welt erschaffen hat, warum sollte er dann nicht auch Lazarus auferweckt haben? Die Menschen schauen oft mit ihrer kleingeistigen Brille auf diese Welt. Wer ein Atom und auch den Weltraum erschaffen kann, der ist auch in der Lage, einen Verstorbenen von den Toten aufzuerwecken. Noch einmal: Die Frage, warum Gott Leid zulässt, hat mich nie beschäftigt; ich halte sie angesichts der Großartigkeit unserer Welt mit allen ihren Möglichkeiten und auch Wundern geradezu für primitiv.
DOMRADIO.DE: Sie stammen aus einer berühmten katholischen Familie. Ihr Großvater und Patenonkel war der erste deutsche Bundeskanzler. Sie selbst haben Jura studiert, sind Notar geworden und waren zuletzt Vorstandsvorsitzender des Haus- und Grundbesitzervereins. Wie sehr greift in Ihrem Alltag der Kompass Ihres katholischen Glaubens?
Adenauer: Der Glaube ist für mich ein Haltepunkt; ein Anker, an dem ich mich festhalten kann – auch wenn ich bisher noch nie wirklich hart auf die Probe gestellt wurde. Aber der Kirchbesuch, die Mitfeier des Sonntagsgottesdienst – das ist mir sehr wichtig. Und wenn der aus welchen Gründen auch immer mal nicht möglich ist, tut es mir jedes Mal sehr leid, so dass ich mir das Versäumnis der heiligen Messe kaum verzeihe. Wenn ich irgendwie kann und es kein ernstes Hindernis gibt, gehe ich immer – auch weil mir diese Regelmäßigkeit viel bedeutet. Das Jahr kommt von der Sonne, die Monate kommen vom Mond, aber die Woche, die kommt von Gott. Also mein Bedürfnis, sonntags in die Kirche zu gehen und Impulse aufzunehmen – auch wenn mir nicht immer gefällt, was ich da höre – ist groß.
Aber man soll ja auch nicht auf das Personal schauen, sondern auf das, was dahinter steckt. Von daher sollten Pastöre auch nicht primär über sich selbst, den Bischof oder den Papst predigen, sondern die Bibel auslegen und den Glauben verbreiten – nicht Zweifel an der Kirche nähren. Das spaltet nur und geht an ihrem eigentlichen Auftrag, den Menschen die frohe Botschaft zu verkünden, vorbei. Priester müssen zur Einheit und zum Zusammenhalt in der Kirche aufrufen und sollten nicht immer nur auf den Bischof schimpfen. Das ist noch keine Theologie.
DOMRADIO.DE: Welche Erfahrungen machen Sie mit Ihrem Glauben?
Adenauer: Aus dem Glauben beziehe ich die Kraft für meinen Alltag. Daher ist es mir auch ganz wichtig, daran festzuhalten. Menschen, die nicht glauben, fehlt diese Dimension der Anbindung an etwas Höheres, über die eigene Existenz Hinausweisendes. Natürlich gibt es in der Bibel auch Widersprüche – es wurde ja alles von Menschenhand aufgeschrieben. Und natürlich kann man vertreten, dass die Ethik auch ohne Gott auskommt und Toleranz und Rücksichtnahme auf menschlicher Einsicht und Erkenntnis basieren können. Aber das, was wir als christliche Nächstenliebe bezeichnen, kann nur aus dem Glauben an diese höhere Instanz und auch an die Kirche als Gemeinschaft von Gläubigen kommen. Natürlich muss die Kirche mit der Zeit gehen, aber nicht mit dem Zeitgeist.
Je älter ich werde, desto mehr denke ich an den eigenen Tod. Ich bin jetzt 80 Jahre, und da ist das einfach im Kopf. Jedenfalls versuche ich, mich allmählich darauf einzustellen und nach Möglichkeit einen guten Abgang zu finden, obwohl ja niemand weiß, wie es dann wirklich sein wird. Ich denke, Sterben ist das größte Abenteuer im Leben. Von daher gilt auch für mich der Satz: Vor dem Tod habe ich keine Angst, aber vor dem Sterben. Also, dass das Sterben näher kommt, ist mir durchaus bewusst, aber noch habe ich viel vor, will auch noch manches lesen, vor allem auch in der Heiligen Schrift. Bei allem leitet mich zunehmend der Satz von Angelus Silesius: Mensch, werde wesentlich!
DOMRADIO.DE: Wie sehr wirkt sich das, was Sie selbst mit 80 noch tun oder erleben, auf Ihren Glauben aus? Und umgekehrt: Wie notwendig ist der Glaube für Ihr eigenes Selbstverständnis und für Ihr gesellschaftliches Engagement, das immer noch nicht ruht?
Adenauer: Auch wenn nicht immer unmittelbar aus dem Glauben die Tat folgte, so ist er doch stets in alles in meinem Leben mit eingeflossen.Ich war Messdiener, bin schon als Schüler des Apostelgymnasiums bei den Fronleichnamsprozessionen mitgegangen, dann wurde ich CVer, also Verbindungsstudent in Köln, und schließlich – vor 50 Jahren – Familiare im Deutschen Orden, sprich Laie in einem ehemaligen Ritterorden, der 1190 im Heiligen Land gegründet wurde und sowohl aus Brüdern und Schwestern besteht, aber auch aus weltlichen Mitgliedern wie mir. Mit anderen Worten: Ich war immer schon kirchlich engagiert: bereits als Student im Pfarrgemeinderat, später im Kirchenvorstand hier in St. Thomas Morus, Lindenthal, wo ich wohne. Bis vor einem Jahr noch war ich außerdem seit 1973 Kommunionhelfer. Dieses Ehrenamt hält einen ja auch am Glauben und in der Kirche, weil man ständige Berührung mit ihr hat. Darüber hinaus war ich viele Jahre außerdem innerhalb meines Ordens, der neben seinem Einsatz für Kitas, Jugendheime und Krankenhäuser auch ein Deutschordens-Wohnstift Konrad Adenauer betreibt, dessen Vereinsvorsitzender und habe mich um die Einrichtungen hier im Rheinland, aber auch in Thüringen gekümmert, was eine enge Zusammenarbeit mit kirchlichen Stellen mit sich brachte.
Bei all dem ist der Glaube nicht nur die Triebfeder gewesen, sondern auch das Fundament. Unsere Ordensregel besagt, dass man sich im Alltag bewähren und möglichst gute Werke tun solle – wenngleich es auch nie eine Verpflichtung dazu gab. Und da habe ich dann eben meinen Platz in diesem Engagement für Seniorenheime gesehen. Heute kann ich sagen: Der Glaube ist meine Heimat. Ihm bin ich immer treu geblieben – mit Haut und Haaren. Credo – das bedeutet für mich, mir da keine einzelnen Sätze herauszupicken, sondern alles zu glauben, von vorne bis hinten. Und: Ich glaube an einen Gott, der alles kann. Ich halte nichts davon, dass wir ihn uns nach unseren Vorstellungen selber formen. Das wäre menschlich klein. Vielmehr hoffe ich, dass ich mit meinen Leben von ihm Zeugnis abgelegt und dabei stets den Kant’schen Imperativ beherzigt habe. Hinzu kommt, als Adenauer steht man ständig unter Beobachtung und muss anderen ein Beispiel geben.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.