Verschwörungstheorien in Krisenzeiten

Corona als "Werk des Teufels"?

In einigen religiösen Gemeinschaften verbreiten sich nicht nur Corona-Viren rasend schnell, sondern auch Verschwörungstheorien und Heilsversprechen. Hilft Beten gegen eine Infektion mit dem Virus?

Autor/in:
Ina Rottscheidt
Menschen mit Mundschutz / © Jae C. Hong (dpa)
Menschen mit Mundschutz / © Jae C. Hong ( dpa )

Für Man-Hee Lee war klar: Das Corona-Virus ist das "Werk des Teufels", das die Ausweitung der "Shincheonji-Kirche" verhindern soll. So hatte er es seinen Anhängern verkündet. Man-Hee Lee ist Gründer der christlich-fundamentalistischen "Shincheonji Church of Jesus" im südkoreanischen Daegu. Südkorea ist mit rund 8.000 Infizierten (Stand: 13. März 2020) nach China das am stärksten betroffene Land in Asien; Mehr als ein Drittel aller Infektionen in Südkorea fand laut Behörden im Umkreis dieser Gemeinden statt. Von dort aus griff Covid-19 dann um sich.

Begünstigen religiöse Praktiken die Ausbreitung des Virus? Auch in Singapur stehen mehrere evangelikale Kirchen mit der Ausbreitung des Virus in Verbindung. Dort steckten sich zahlreiche Menschen offenbar bei Versammlungen der "Grace Assembly of God" und der "Life Church and Missions" an. Doch das könne man nicht verallgemeinern, sagt Oliver Koch, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Die überwiegende Mehrheit der religiösen Gemeinschaften und Kirchen gehe sehr verantwortungsvoll mit dem Thema um.

Gründer hält sich für körperlich unsterblich

Im Fall von Shincheonji war das allerdings anders. Neben der Tatsache, dass man in den Gottesdiensten eng beieinander sitze, sei vor allem die Missionierungstaktik ein Grund für die rasante Verbreitung des Virus gewesen, erklärt der Sektenexperte, denn Shincheonji betreibe eine Art "Undercover-Missionierung": "Es gibt unterschiedliche ‚Fassaden-Gemeinden‘ und Organisationen, bei denen gar nicht klar ist, dass sie zu Shincheonji gehören. Deren Mitglieder gehen in andere Kirchen, um zu missionieren und verbreiten so das Virus weiter." Zudem hält sich der 88-jährige Gründer Man-Hee Lee für körperlich unsterblich. Ähnliches gelte ab einem gewissen Grad auch für Mitglieder, sagt Koch. Deshalb glauben sie, Corona könne ihnen nichts anhaben. "Viele - das erlebe ich auch in der täglichen Beratung immer wieder - sind religiös verblendet: Sie sind Täter und Opfer zugleich und verlieren den Blick für die Realität", sagt er.

Schon lange warnt er vor der Gruppierung, die auch Zentren in Berlin und Frankfurt unterhält und Schätzungen zufolge 1.500 Mitglieder in Deutschland hat. Geht von diesen Zentren auch ein Infektionsrisiko aus? Gesundheitsbehörden seien informiert, so Koch, doch eine Kontrolle sei schwierig: Es gibt keine offiziellen Gemeinden, im Netz gibt es keine Adressen oder Telefonnummern. "Shinchenonji arbeitet mit Tarnnamen, zum Beispiel die ‚Koreanische Zion-Gemeinde‘ in Frankfurt oder ein ‚International Bible-Center‘, sagt Oliver Koch. Zwar seien Mitglieder aufgefordert worden, Mission und Versammlungen ruhen zu lassen, ob sich aber alle daran halten, sei nicht transparent. Einige Zentren sind derzeit geschlossen; offiziell wegen "Brandschutzmaßnahmen" oder "Reinigungsarbeiten".

Corona als Strafe?

Auch in anderen religiösen Gemeinschaften wurde das Corona-Virus genutzt, um eigene Weltanschauungen zu verstärken. In der brasilianischen Stadt Porto Alegre hatte die "Catedral Global do Espírito Santo" in einer Online-Broschüre mit der "Kraft Gottes gegen das Coronavirus" geworben. Sie versprach ihren Gläubigen "eine Salbung mit geweihtem Öl", das "gegen Epidemien, Viren oder Krankheiten immun macht". In den USA geißelte ein evangelikaler Pastor Corona als Strafe Gottes für Homosexualität.

"Dahinter steckt natürlich die Überzeugung, dass man als einzige Gruppe die Wahrheit kennt", sagt der Weltanschauungsbeauftragte Koch. "Und dass man die Verbreitung des Virus als satanische Versuchung einordnet. Problematisch wird es da, wo Endzeitstimmung verbreitet und Corona eschatologisch apokalyptisch gedeutet wird, vielleicht sogar als Strafe Gottes."

Der Teufel hat seine Finger nicht im Spiel

Das Virus als "Strafe Gottes" - Gunther Fleischer, der Leiter der Erzbischöflichen Bibel- und Liturgieschule in Köln sieht das kritisch: Das sei ein Reflex, den es schon in biblischen Zeiten gab. "Er leitet sich ab von dem "Tun-Ergehen-Zusammenhang", der besagt, dass jede menschliche Handlung auch Folgen hat", erklärt er. "Das ist eine Beobachtung aus dem menschlichen Miteinander und dann kommt biblisch hinzu, dass dieser Zusammenhang kein Automatismus ist, sondern von Gott zusammengehalten wird". Es sei jedoch ein Trugschluss, Unglück als die Folge von Fehlverhalten oder Sünde zu deuten. "Dieser Zusammenhang stimmt nicht, der wurde schon biblisch aufgebrochen: Hiob ging es nicht schlecht, weil er etwas falsch gemacht hatte", so Fleischer.

Auch den Teufel für die Corona-Krise verantwortlich zu machen, findet Fleischer nicht überzeugend: "Christen glauben an einen Gott, da ist kein Platz für einen selbstständigen Teufel neben ihm", sagt er. "Letztendlich müssen wir akzeptieren: Auch das Corona-Virus gehört irgendwie zur Schöpfung, auch wenn wir uns das nicht erklären können. Trotzdem ist es natürlich verführerisch, dem Teufel die Schuld zu geben, weil es die Welt leichter erklärt und sie in Gut und Böse einteilt."

Beten hilft

Das Beten hingegen hält der Bibelwissenschaftler in der aktuellen Situation für durchaus sinnvoll: "Das macht natürlich nicht immun gegen die Erkrankungen, aber im Gebet kann ich meine Sorgen an Gott heran tragen; das kann mir eine größere Gelassenheit geben und im Körper Kräfte mobilisieren, die stärken", erklärt Fleischer. Und Beten für andere sei sowieso immer gut, fügt er hinzu: "Wenn man weiß, dass für einen gebetet wird - das kann ich aus eigener Erfahrung sagen - dann ist auch das eine Stärkung!"


Quelle:
DR