Charlotte Knobloch erinnert an das Olympia-Attentat 1972

"Es fällt absolut auf, dass man sich sehr schwertut"

50 Jahre nach dem Olympia-Attentat in München ist der Streit um eine Entschädigung für die Hinterbliebenen gelöst. Für Charlotte Knobloch ist das der Beweis, dass eine Aufarbeitung für Deutschland immer noch schwierig ist.

Charlotte Knobloch / ©  Sven Hoppe (dpa)
Charlotte Knobloch / © Sven Hoppe ( dpa )

DOMRADIO.DE: Welche persönlichen Erinnerungen haben Sie an diesen 5. September 1972?

Charlotte Knobloch (Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern): Die Nachrichten als solches – endlich mal Nachrichten, endlich mal Informationen – waren für mich persönlich sehr, sehr wichtig. Meine Tochter war auf dem Olympischen Gelände, sie war Hostess und ich wusste nicht, wo sie sich befindet und was überhaupt geschehen ist. Das war für mich wirklich eine Zeit, bis man gewusst hat, um welchen Teil des Olympischen Geländes es sich überhaupt gehalten hat.

Ich war sehr glücklich, als ich endlich gehört habe, dass sie wahrscheinlich nicht in diesem Bereich ist. Das war für mich äußerst wichtig, dass ich endlich wusste, wo sie ist. Und als sie dann nach Hause gekommen ist, war sie schon sehr deprimiert. Sie ging jeden Tag mit voller Freude dorthin und da ist sie nach Hause gekommen in einem wirklich bemitleidenswerten Zustand.

Charlotte Knobloch

"Dem damaligen Vorsitzenden des Olympischen Komitees war das vollkommen egal, er hat eben die Spiele weiterlaufen lassen."

DOMRADIO.DE: Es ist ja nach der Tat und dem schrecklichen Ausgang relativ schnell weitergegangen. Wie fanden Sie das damals, dass man gesagt hat, die Spiele müssen weitergehen?

Knobloch: Die ganze Gemeinschaft war entsetzt und hatte natürlich kein Verständnis für diese Idee. Dem damaligen Vorsitzenden des Olympischen Komitees war das vollkommen egal, er hat eben die Spiele weiterlaufen lassen. Ich persönlich fand das verheerend. Ich habe mir nicht vorgestellt, wie man eine solche Entscheidung treffen könnte, wenn zwölf Menschen dem Terror zum Opfer fielen. Man tanzt darüber und man tanzt darüber hinweg.

Der damalige IOC-Präsident Avery Brundage am 06.09.1972 im Münchner Olympiastadion / © Heidtmann (dpa)
Der damalige IOC-Präsident Avery Brundage am 06.09.1972 im Münchner Olympiastadion / © Heidtmann ( dpa )

DOMRADIO.DE: Jetzt hat es fast 50 Jahre gedauert, was die Auseinandersetzungen um Entschädigungen für die Angehörigen der israelischen Opfer angeht. Letzte Woche Mittwoch hat die Bundesregierung jetzt zugestanden, dass es eine Zahlung geben soll, man hört 28 Millionen Euro, an die Hinterbliebenen als Entschädigung. Wie bewerten Sie dieses Angebot? Glauben Sie, dass das akzeptabel ist für die Angehörigen?

Knobloch: Für mich ist es wichtig, dass das Gedenken stattfinden kann, dass die Hinterbliebenen anwesend sind. Die Zukunft für das Verhältnis der beiden Länder ist mir auch sehr wichtig und ich glaube, das ist jetzt positiv entschieden worden, dass Frieden eingekehrt ist, der mir für diese beiden Länder sehr wichtig ist.

DOMRADIO.DE: Aber haben Sie eine Erklärung dafür, warum das 50 Jahre gedauert hat?

Knobloch: Diese Frage stelle ich mir selbst. Es sind zwei Generationen. Es waren Kinder, Enkelkinder, die mit diesem Thema sicher belastet sind.

DOMRADIO.DE: Es gab ja auch immer wieder die angeführte Argumentation, es waren Palästinenser, also der Terror kam sozusagen von außen.

Knobloch: Richtig, es waren Palästinenser. Aber dieses ganze Grauen, die ganze Thematik ist ja bekannt. Wenn die Verantwortlichen das Angebot der Israelis angenommen hätten, dass sie sich mit diesem Thema befassen, wäre es sicher nicht so gelaufen, wie es gelaufen ist und das steht für mich im Vordergrund.

Erinnerungsort im Münchener Olympiapark an das Attentat von 1972 / © Felix Hörhager (dpa)
Erinnerungsort im Münchener Olympiapark an das Attentat von 1972 / © Felix Hörhager ( dpa )

DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie haben auch keine Erklärung dafür, warum die Gedenkstätte in München – warum auch das so lange gedauert hat. Die ist ja tatsächlich auch erst vor wenigen Jahren eröffnet worden.

Knobloch: Alles, was mit Erinnerungen und Gedenken zu tun hat, ist alles immer sehr spät. Aber da habe ich gelernt zu sagen: lieber spät als nie. Aber es fällt absolut auf, dass man sich mit diesen Themen sehr schwertut.

Charlotte Knobloch

"Das ist für mich sehr wichtig, dass die Hinterbliebenen endlich Ruhe und ihren Frieden haben in dieser Angelegenheit."

DOMRADIO.DE: Bundespräsident Steinmeier hat jetzt gesagt, dass der deutsche Umgang mit dieser Tat mehr als schlecht war. Laut Redemanuskript sagt er: "Viel zu lange haben wir nicht wahrhaben wollen, dass auch wir unseren Teil an Verantwortung tragen: Es war an uns, für die Sicherheit der israelischen Sportler zu sorgen." Ist das gut? Ist das eine Geste, die vielleicht auch heilen kann bei den Hinterbliebenen?

Knobloch: Es ist eine sehr passende Geste. Die Hinterbliebenen fühlen sich damit sicherlich besser, als wären diese Worte nicht gefallen. Das ist für mich sehr wichtig, dass die Hinterbliebenen endlich Ruhe und ihren Frieden haben in dieser Angelegenheit. Die Betroffenen können das nicht vergessen und haben es sowieso täglich vor sich.

DOMRADIO.DE: Wie geht denn eigentlich die israelische Kultusgemeinde in München mit diesem Jahrestag um? Was machen Sie als jüdische Gemeinde, um diesen Tag zu gedenken?

Knobloch: Wir hatten gestern eine sehr gute Veranstaltung zu diesem Thema, in Anwesenheit des bayerischen Innenminister. Es war sehr gut besucht worden und es waren auch sehr gute Themen, besonders von den beiden Schriftstellern, der Herr Deininger und der Herr Ritzer. Sie haben ein interessantes und offenes Buch über dieses Thema geschrieben. Da wurde sehr viel darüber diskutiert und ich finde, es ist jetzt gut, nach dem Abschluss dieser Dinge, dass die Bevölkerung auch sich selbst Gedanken darüber machen kann, was da passiert ist und wie man sich dann verhalten hat und sich heutzutage verhält.

Das Interview führte Ina Rottscheidt.

Steinmeier: Deutschland hätte Israels Sportler schützen müssen

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat an das Olympia-Attentat vor 50 Jahren erinnert. Bei einem Staatsbankett zu Ehren des israelischen Präsidenten Isaac Herzog übte Steinmeier am Sonntag auch Kritik am deutschen Umgang mit der Bluttat: "Viel zu lange haben wir nicht wahrhaben wollen, dass auch wir unseren Teil an Verantwortung tragen: Es war an uns, für die Sicherheit der israelischen Sportler zu sorgen."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (r) und Izchak Herzog, Präsident von Israel / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (r) und Izchak Herzog, Präsident von Israel / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )
Quelle:
DR