CDU-Parteitag zwischen Grundsätzen und Regieren

Tradition modernisieren

Vor dem CDU-Parteitag in Dresden ist der Richtungsstreit in der Partei über die Sozialpolitik in vollem Gange. Es geht vor allem im die Forderung von NRW-Ministerpräsident Rüttgers, älteren Arbeitslosen das Arbeitslosengeld I länger zu zahlen. Nach Rüttgers Meinung ist es nur gerecht, wenn ältere Menschen, die länger in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, auch länger Leistungen beziehen, als jüngere Arbeitslose. Er fordert, dass der Parteitag zeigen solle, dass es bei den Reformen gerecht zugehe. Unterstützt wird er dabei von CSU-Landwirtschaftsminister Seehofer. Baden-Württembergs Regierungschef Oettinger warnte dagegen vor einem Linksruck. Mehr Sozialleistungen würden weder mehr Gerechtigkeit noch mehr soziale Zufriedenheit bringen. Bildungsministerin Schavan erklärte, länger das Arbeitslosengeld Eins zu zahlen ginge zu Lasten der Jungen.

 (DR)

Folgt man der Selbsteinschätzung, dann steht die CDU bei ihrem am Sonntag beginnenden 20. Parteitag in Dresden vor einem Paradox. Zum Jahrestag der Regierungsübernahme stimmte Parteichefin Angela Merkel erwartungsgemäß hohes Lob in eigener Sache an, und doch dümpelt die Partei bei Umfragen auf Tiefstständen, ja sie verliert kontinuierlich Mitglieder. Der ausbleibenden Resonanz auf die Trendwende will Generalsekretär Pofalla nun in Dresden durch christdemokratische Profilierung auf die Sprünge helfen. Rechtzeitig zum Parteitag stellte er eine Imagekampagne vor.

Schon das Wahlprogramm 2005 irritierte
Unter dem Motto "Farbe bekennen" werden Schwarzweiß-Fotos führender CDU-Politiker aus jüngeren Jahren gezeigt. Vielleicht sollen die Fotos geschichtliche Gewissheit in Umbruchszeiten vermitteln. Denn der Erneuerungskurs unter Merkel verschreckt nicht wenige Konservative. Mit der Regierungsübernahme hat er Gestalt gewonnen. Nun können die Delegierten in Dresden bis Dienstag erstmals ihre Meinung dazu äußern. Koalitionskompromisse wie das als Gleichstellungsgesetz verkleidete Antidiskriminierungsgesetz stießen vielen an der Basis bitter auf.

Schon das Wahlprogramm 2005 irritierte durch seine stark wirtschaftsliberale Ausrichtung - auf der Linie des Leipziger Parteitages - viele CDU-Mitglieder. Doch erst im Sommer 2006 stieß Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers mit der "Lebenslügen"-Debatte die Frage nach dem sozialen Gewissen der Partei an. Mit dem Antrag, Arbeitnehmer durch so genannten Investivlohn stärker an Unternehmensgewinnen zu beteiligen, sucht man nun offenbar wieder einen Ausgleich. Dem soll auch der Vorstoß aus Nordrhein- Westfalen und dem Saarland zum Arbeitslosengeld I dienen. Auf Konsequenzen für das Regierungshandeln will sich Pofalla da nicht festlegen - nur darauf, dass die Forderungen eigentlich schon seit dem Düsseldorfer Parteitag 2004 Beschlusslage sind.

Für Unruhe sorgt auch der Schwenk in der Familienpolitik. Mit dem Elterngeld übernahm Familienministerin Ursula von der Leyen nahtlos Vorgaben ihrer SPD-Vorgängerin, ebenso wie bei der Förderung der öffentlichen Kinderbetreuung. Knapp drei Viertel der rund 400 Anträge beziehen sich denn auch auf den Leitantrag "Klein und einzigartig - auf den Anfang kommt es an!". Dieser betont ausdrücklich, dass es nicht vorrangige Aufgabe des Staates sei, in Familien zu intervenieren. Andererseits sucht er neue Familien- und Partnerschaftsstrukturen ebenso einzubeziehen wie die Stärkung öffentlicher Kinderbetreuung, ein neues Vaterbild oder einen bedarfsgerechten Ausbau von Ganztagsschulen. Da kann das traditionelle Familienbild seinen zentralen Platz verlieren.

Sicht für Jahrzehnte festschreiben
Das künftige Grundsatzprogramm soll diese gewandelte Sicht für Jahrzehnte festschreiben, zumindest wenn man den bisherigen Vorarbeiten folgt. Pofalla will als Vorsitzender der Programmkommission auf dem Parteitag den Stand der Arbeiten erläutern. Schon seine Einsetzung als Kommissionschef an Stelle des politisch glücklosen Philosophen Christoph Böhr war Programm.
Böhr stand für dezidiert christlich-konservative Positionen. Mit Pofalla, der in Dresden als Generalsekretär wiedergewählt werden will, wird nun das "gemeinsame Handeln von Christen, Andersgläubigen und Nichtgläubigen" beschworen.

Das christliche Menschenbild wird freilich weiterhin in allen Anträgen genannt: "Unser Leitbild ist das europäische Verständnis vom Menschen, das durch das christliche Menschenbild und die Aufklärung geprägt ist", heißt es etwa im Leitantrag zur Europapolitik. Doch zeigt schon diese Erwähnung, dass dieses Menschenbild an religiös-kirchlich geprägten Konturen verliert und für anthropologische und moralische Werte steht - sozusagen das säkulare Destillat des Christentums, eben ein Kulturchristentum, wie dies etwa auch die niederländischen Christdemokraten verkörpern. Das Streben der Volkspartei nach dem neuen Wähler in der Mitte - vor allem dem jungen Großstadtwähler - dürfte diese Tendenz weiter verstärken.