Caritas-Mediziner rechnet mit langem Kampf gegen die Cholera in Haiti

«Perfekter Nährboden»

Neun Monate nach dem schweren Erdbeben greift in Haiti die Cholera um sich. Tausende in dem Karibikstaat sind infiziert, über 300 Menschen bereits an der Durchfallkrankheit gestorben. 40 Kilometer westlich der Hauptstadt arbeitet der Arzt Joost Butenop von Caritas international in einer Gesundheitsstation. Ein Gespräch über die Lage in dem Katastrophenstaat.

 (DR)

KNA: Herr Butenop, Sie waren bereits in den Wochen nach dem Erdbeben als Helfer in Haiti. Wie ist die Situation jetzt, im Angesicht der Cholera?

Butenop: Ehrlich gesagt bin ich entsetzt, wie wenig der Wiederaufbau hier im letzten halben Jahr vorangekommen ist. Überall gibt es immer noch Lager für Zigtausende Menschen. Sie leben weiter unter löchrigen Planen und in primitiven Zelten. Die hygienischen Verhältnisse sind auch schlecht. Oft fehlen Latrinen und Waschmöglichkeiten. Viele Hilfsorganisationen haben sich zurückgezogen, weil sie nur ein kurzfristiges Nothilfemandat hatten oder ihnen das Geld fehlt. Die Lager sind alles andere als gerüstet gegen die Cholera, sondern der perfekte Nährboden. Die Krankheit kann über Nacht hier auftauchen.



KNA: Was macht die Cholera so gefährlich?

Butenop: Cholera-Bakterien verursachen extremen Durchfall und Erbrechen. In manchen Fällen verlieren die Patienten einen Liter Wasser pro Stunde und mehr, sie trocknen völlig aus. Allerdings verlaufen 80 Prozent der Ansteckungen relativ milde. Darin liegt aber auch eine besondere Gefahr, weil die Patienten einen normalen Durchfall vermuten und oft nicht erkennen, welche Gefahr von ihnen ausgeht. Denn auch ihr Stuhl und Erbrochenes ist hoch infektiös. Die Leute hier wissen aber so gut wie nichts über die Seuche, die jetzt um sich greift.



KNA: Wie groß sind die Heilungschancen?

Butenop: Die Behandlung ist relativ einfach. Die Leute erhalten zum Beispiel eine Zucker-Salz-Lösung und dann heißt es Trinken, Trinken, Trinken. Wer zu schwach ist, bekommt Infusionen. Und wenn dann noch die richtigen Medikamente dazukommen, kann die Krankheit nach zwei bis drei Tagen überstanden sein.



KNA: Waren die Hilfsorganisationen denn nicht auf die Gefahr vorbereitet?

Butenop: Viele Hilfsorganisationen haben trotz des Erdbebens nicht damit gerechnet, weil die Cholera in der Vergangenheit ziemlich selten in Haiti auftrat. Andere Helfer sind wie gesagt schon gar nicht mehr da. Trotzdem tut sich jetzt sehr viel. Es werden Tausende Tabletten zur Wasserreinigung verteilt, die Leute werden aufgeklärt wie sie sich schützen können, zum Beispiel über die Wichtigkeit des Händewaschens.

Wichtig ist auch, dass die Regierung mit den Helfern an einem Strang zieht, und nichts herunterspielt. Doch in vier Wochen sind Wahlen in Haiti. Da will sich die Führung ungern mit drastischen Maßnahmen noch unbeliebter machen, schon jetzt spürt man wegen der Cholera eine Art Panikstimmung in der Bevölkerung. Ich gehe davon aus, dass zum Beispiel viele Krankheits-Zahlen von der Regierung geschönt sind.



KNA: Wann wird die Krankheit fürs Erste besiegt sein?

Butenop: An einen schnellen Sieg glaube ich nicht. Vermutlich liegen allein 5.000 Cholera-Kranke in den Krankenhäusern. Das ist ein immenses Ansteckungspotenzial. Außerdem sind die Leute hier sehr mobil, ausgegangen ist die Seuche ja von Wanderarbeitern in der Region Artibonite. Die Hauptstadt Port-au-Prince mit ihren großen Slums wird sicherlich demnächst ebenfalls betroffen sein. Ich befürchte, dass uns die Cholera noch sechs bis zwölf Monate begleiten wird.



Das Gespräch führte  Christoph Schmidt.