Caritas International hilft in Gaza trotz Israels Bodenoffensive

"Die Menschen haben fast nichts mehr"

Nachdem in Gaza-Stadt die Bodenoffensive der israelischen Armee begonnen hat, verschärft sich die humanitäre Lage der Bevölkerung immer weiter. Caritas International und ihre Partner können kaum noch helfen. Dennoch bleibt Hoffnung.

Autor/in:
Johannes Schröer
Aufbruch aus Gaza-Stadt nach der Ankündigung einer Bodenoffensive durch die israelische Armee / © Abdel Kareem Hana (dpa)
Aufbruch aus Gaza-Stadt nach der Ankündigung einer Bodenoffensive durch die israelische Armee / © Abdel Kareem Hana ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie nehmen Sie die Nachricht auf, dass Israels Armee mit der Bodenoffensive in Gaza-Stadt begonnen hat?

Anica Schüller, Projektleiterin Gaza-Hilfen bei Caritas International / © privat (CI)
Anica Schüller, Projektleiterin Gaza-Hilfen bei Caritas International / © privat ( CI )

Anica Schüller (Projektleiterin für Gaza-Hilfen bei Caritas International): Unsere Partner sind vor Ort, haben Büros auch in Gaza-Stadt und berichten uns seit Wochen von extremen Zuständen. Die Militäraktivitäten haben sich massiv ausgeweitet. Viele Hochhäuser wurden zerstört, darunter auch Gebäude neben den Büros unserer Partnerorganisationen, die evakuiert werden mussten. Die Lage ist extrem prekär.

Zuletzt hielten sich dort rund eine Million Menschen auf, also fast die Hälfte der Bevölkerung Gazas. Es herrscht eine Hungersnot. Viele versuchen über überfüllte Korridore in den Süden zu gelangen. Doch auch dort ist die Situation dramatisch, weshalb viele weiterhin in Gaza-Stadt bleiben, weil es für sie keine besseren Perspektiven gibt.

DOMRADIO.DE: Mit welchen Hilfsorganisationen arbeiten Sie zusammen?

Schüller: Unter anderem mit der Caritas Jerusalem und Catholic Relief Services.

DOMRADIO.DE: Was können die Hilfsorganisationen in dieser Lage tun? Langfristige Projekte sind ja derzeit kaum möglich.

Flüchtlingstreck vertriebener Palästinenser vom nördlichen Gazastreifen entlang der Küstenstraße in Richtung Süden / © Abdel Kareem Hana (dpa)
Flüchtlingstreck vertriebener Palästinenser vom nördlichen Gazastreifen entlang der Küstenstraße in Richtung Süden / © Abdel Kareem Hana ( dpa )

Schüller: Unsere Partner betreiben noch Gesundheitszentren – teils nur notfallmäßig, mit den wenigen Medikamenten und Materialien, die sie haben. Außerdem helfen wir im sanitären Bereich, etwa mit Wassertankwagen in Zeltgebieten oder beim Bau von Latrinen.

DOMRADIO.DE: Sie selbst waren in Israel unterwegs, können aber nicht nach Gaza?

Schüller: Richtig. Mitarbeitende aus Deutschland haben derzeit keine Möglichkeit, in den Gazastreifen einzureisen. Teilweise können internationale Fachkräfte, die zum Projektpersonal gehören, noch in die Büros nach Gaza kommen – aber auch das ist inzwischen sehr schwierig.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es mit den Hilfslieferungen aus? Sind die Lager noch gefüllt?

Schüller: Leider nicht. Die Lagerhäuser sind überwiegend leer. Seit Monaten gelangen in vielen Bereichen keine Hilfsgüter hinein. Für Zelte gab es über fünf Monate keine Lieferung. Nahrungsmittel kommen nur in viel zu kleinem Umfang. Gleiches gilt für Hygieneartikel.

Annica Schüller

"Sauberes Trinkwasser ist kaum verfügbar. Zudem fehlen über eine Million Zelte oder Notunterkünfte."

DOMRADIO.DE: Welche Hilfe brauchen die Menschen am dringendsten?

Schüller: Sie haben inzwischen fast nichts mehr. Es braucht Unterstützung in riesigem Ausmaß. Dringend notwendig sind Nahrungsmittel – und zwar ungehindert über alle Grenzübergänge. Viele Menschen müssen Mahlzeiten auslassen. Hygieneartikel fehlen, Krankheiten breiten sich aus. Sauberes Trinkwasser ist kaum verfügbar. Zudem fehlen über eine Million Zelte oder Notunterkünfte für Menschen, die schon zum zehnten oder fünfzehnten Mal vertrieben wurden.

Menschen im Gazastreifen leider unter Hunger / © Jehad Alshrafi (dpa)
Menschen im Gazastreifen leider unter Hunger / © Jehad Alshrafi ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie haben in Israel viele Gespräche geführt. Welche Eindrücke haben Sie mitgenommen?

Schüller: Vor allem Unsicherheit und Angst vor der Zukunft. Auch in der Westbank haben viele hunderttausend Menschen ihre Arbeit verloren, die Arbeitslosenquote ist massiv gestiegen. Der Tourismus in Bethlehem ist eingebrochen. Tausende Häuser wurden durch Militäroperationen zerstört, Menschen wurden vertrieben, auch aus Flüchtlingslagern. Dort sind Nothilfen wie Nahrungsmittelversorgung ebenfalls dringend nötig.

DOMRADIO.DE: Gibt es für die Menschen noch Hoffnung auf Frieden?

Schüller: Die Unsicherheit ist groß, auch was Bildung und Versorgung betrifft. Aber das Letzte, was die Menschen verlieren, ist die Hoffnung. Sie tun alles, was sie können – und es gibt einen starken Zusammenhalt in der Bevölkerung.

Das Interview führte Johannes Schröer.

Quelle:
DR

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