Caritas bietet Obdachlosen Krankenwohnungen an

Sich einfach mal ins Bett legen können

Eine Möglichkeit zur Auszeit haben kranke Obdachlose normalerweise nicht. Die Caritas in Berlin bietet ihnen einen Platz zum Auskurieren. Das in der Hauptstadt offenbar einzige Angebot dieser Art ist stark nachgefragt.

Autor/in:
Von Nina Schmedding
Der ehrenamtlich tätige Arzt Dr. Ingo Flessenkämper unterhält sich mit dem Patienten Manuel Müller in seinem Patientenzimmer am 8. Februar 2022 in Berlin / © Jannis Chavakis (KNA)
Der ehrenamtlich tätige Arzt Dr. Ingo Flessenkämper unterhält sich mit dem Patienten Manuel Müller in seinem Patientenzimmer am 8. Februar 2022 in Berlin / © Jannis Chavakis ( KNA )

Manuel Müller, graues Haar und grauer Bart, sitzt in Jogginghose und T-Shirt auf seinem Bett im Zweibettzimmer der Caritas-Krankenwohnung für Obdachlose in Berlin. Auf seinem Nachttisch steht ein Teller mit Butterbroten, er lächelt entspannt. "Ich fühle mich hier wie eine Königin", sagt der 60-Jährige und streckt die bandagierten Beine wohlig aus. "Hier wird man bemuttert."

Der wohnungslose Patient Manuel Müller liegt im Stationsbett in einer Wohnung für Kranke der katholischen Hilfsorganisation Caritas am 8. Februar 2022 in Berlin / © Jannis Chavakis (KNA)
Der wohnungslose Patient Manuel Müller liegt im Stationsbett in einer Wohnung für Kranke der katholischen Hilfsorganisation Caritas am 8. Februar 2022 in Berlin / © Jannis Chavakis ( KNA )

In der Einrichtung, die es seit rund vier Jahren gibt, können sich Obdachlose erholen und einfach mal krank sein. 20 solcher Plätze bietet die Berliner Caritas an, eine ähnliche Einrichtung gibt es auch in München und Hamburg. In Berlin ist das Angebot des Wohlfahrtsverbands nach eigenen Angaben einzigartig. Die Wohnung, die hauptsächlich von der Senatsverwaltung für Gesundheit sowie der Caritas finanziert wird, ist stark nachgefragt - es gibt Wartelisten. Geplant ist auf lange Sicht die Erweiterung auf 30 Plätze.

Seit zehn Jahren wohnungslos

Müller war Musiker in seinem Leben vor der Straße, er spielte Schlagzeug und Gitarre, ging gern schwimmen - am liebsten Delfin. Aber es lief nicht immer alles rund für den gelernten Toningenieur. Bis vor etwa zehn Jahren hatte er eine Unterkunft in einem besetzten Haus. Seitdem dieses geräumt wurde, lebt Müller auf der Straße.

Er ist einer von geschätzten etwa 10.000 Obdachlosen in der Hauptstadt. Sie sind draußen, wenn es schneit, regnet oder die Sonne knallt, verkriechen sich in U-Bahnhöfen, unter Brücken oder in Hausfluren. Menschen hasten vorüber an ihnen und ihren Habseligkeiten, die sie um sich herum aufgehäuft haben, zu einer Art Zuhause. Die meisten schauen an ihnen vorbei, wenn auch nur aus Unsicherheit.

Caritas Deutschland

Der Deutsche Caritasverband (DCV) ist der größte Wohlfahrtsverband Europas. Die Dachorganisation katholischer Sozialeinrichtungen setzt sich für Menschen in Not ein. Mit rund 690.000 hauptamtlichen Mitarbeitern - 80 Prozent sind Frauen - ist die Caritas zudem der größte private Arbeitgeber in Deutschland. Der Begriff "caritas" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Nächstenliebe. Sitz des 1897 gegründeten Verbands ist Freiburg. Wichtige Bedeutung haben die Büros in Berlin und Brüssel.

Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus (KNA)
Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus ( KNA )

Grundsätzlich könne sie diese Berührungsangst zwar verstehen, sagt Bianca Rossa, Leiterin der Caritas-Krankenwohnung, die auf dem Gelände des ehemaligen Moabiter Krankenhauses untergebracht ist. "Ein nettes Wort oder einfach 'Guten Tag' sagen tut aber keinem weh. Das Nicht-Gesehen-Werden ist für die meisten Obdachlosen die größte Kränkung."

Keine Krankenversicherung

Die Krankenwohnung sei "primär für Menschen, die zu krank für die Straße und zu gesund fürs Krankenhaus sind", sagt Rossa. Viele der Obdachlosen, die in der Einrichtung aufgenommen werden, haben multiple Erkrankungen, etwa Lungenentzündungen, HIV und Hepatitis, Zahnerkrankungen oder Parasitenbefall. Eine Krankenversicherung besitzen die meisten nicht. Externe Ärzte behandeln die Kranken ehrenamtlich.

An diesem Wintermorgen ist die Einrichtung voll belegt, es riecht nach Mittagessen: Ratatouille mit Fleischklößen. Die Zwei- oder Mehrbettzimmer gehen von einem langen Flur ab, dazwischen gibt es einen Aufenthaltsraum, aus dem der Fernseher schallt, und zusätzliche Duschräume. 118 Männer und 6 Frauen wurden in der Wohnung im vergangenen Jahr untergebracht, sie dürfen vier bis acht Wochen bleiben.

Auf die Straße entlassen?

Und dann? Wenn die Obdachlosen - nach langer Zeit - wieder erfahren haben, wie es ist, in einem Bett schlafen, regelmäßig duschen und essen zu können? "Es fällt unseren Patienten schwer, zu gehen", erzählt Rossa. Ein Mann habe sich einmal sogar selbst verletzt, damit er nicht entlassen werden konnte. Für ihr Team sei es deshalb wichtig, für die Menschen eine Anschlussunterkunft zu finden. "Wir wollen niemanden auf die Straße entlassen", sagt die 39-Jährige, die nach ihrer Ausbildung als Krankenschwester Gesundheits- und Pflegemanagement studiert hat.

Sozialarbeiterin Barbara Pasnicki begleitet bei Behördengängen, etwa zum Jobcenter, oder sucht mit den obdachlosen Patienten, die aus dem Ausland stammen, deren Botschaften auf, damit sie wieder nach Hause fahren können - wenn sie das wollen. "Viele vermissen ihre Familien sehr, schämen sich aber auch, zurückzukehren, weil sie auf der Straße gelebt haben", sagt die 45-Jährige. Ob aus Japan, Bulgarien oder Polen - um sich mit einigen der Patienten überhaupt verständigen zu können, ist oft ein Dolmetscher nötig.

Alterserwartung niedrig

Das Durchschnittsalter der Patienten liegt bei 45 Jahren, selten sind über 60-Jährige darunter. "Obdachlose werden oft nicht so alt", so Rossa, die Mutter von vier Kindern ist. Sie habe bei ihrer Arbeit vor allem gelernt, dankbar und zufrieden zu sein. "Ist das nicht toll, dass man ein Zuhause hat? Wenn man krank ist, legt man sich einfach ins Bett und hat es warm."

Quelle:
KNA