Bundesverfassungsgericht lehnt NPD-Verbot ab

Große Sorge nach Urteil

Die NPD wird nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht verboten. Das Nein stößt auf Unverständnis in Politik und Kirche. Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, spricht von einem "fatalen Signal". 

Richter des Bundesverfassungsgerichts (dpa)
Richter des Bundesverfassungsgerichts / ( dpa )

Nach dem Scheitern des NPD-Verbots forderten Vertreter von Linken und Grünen ein entschiedenes Eintreten gegen Rechtsextremismus. Der Kampf gegen Nationalismus, Rassismus und Terrorismus gehörten nun umso mehr in den Fokus der Gesellschaft, erklärte Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke). Der Grünen-Politiker Volker Beck erklärte: "Jetzt muss der Kampf gegen Rechtsextremismus erst recht geschlossen geführt werden."

Auch der evangelische hannoversche Landesbischof Ralf Meister rief zu Zivilcourage auf. "Meine Sorge gilt jedem Einzelnen, der sich von menschenverachtenden, ausgrenzenden, rassistischen, antijudaistischen oder islamfeindlichen Positionen verführen lässt", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Fatales Signal 

Das Internationale Auschwitz Komitee reagierte enttäuscht. Vizepräsident Christoph Heubner sprach von einem "tragischen Tag für die wehrhafte Demokratie". Das Urteil sei ein fatales Signal in Europa, wo Rechtsextreme und Rechtspopulisten versuchten, Angst und Unsicherheit in Hass und Aggression zu verwandeln. Heubner betonte, die Entscheidung sei für die Überlebenden des Holocaust eine empörende und erschreckend realitätsferne Entscheidung: "Wie kann es sein, dass diejenigen, die den Holocaust nicht nur klammheimlich bejubeln und in vielen Kommunen ständig neue Kapitel des Hasses provozieren, im demokratischen Spektrum bleiben dürfen und vom Staat weiter bei Hetze und Gewalt gegen die Demokratie alimentiert werden?" 

Das Nein des Bundesverfassungsgerichts zum NPD-Verbot ist bei der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, ebenfalls auf großes Bedauern gestoßen. "Die NPD ist eine Kernorganisation des Rechtsextremismus in Deutschland, unterstützt rechte Gewalt und basiert auf der Verherrlichung des Nationalsozialismus", erklärte die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland am Dienstag in München.

Knobloch betonte: "Einerseits kann ich die juristische Argumentation, es liege keine konkrete Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vor, nachvollziehen." Allerdings bleibe sie dabei, "dass das Verbot einer offensichtlich rechtsextremen Partei wichtig für die politische Hygiene in unserem Land gewesen wäre - vor allem aufgrund der spezifischen deutschen Geschichte, nicht zuletzt aber auch vor dem Hintergrund des erstarkenden Rechtspopulismus und -extremismus in der Gegenwart".

Viel Polizeipersonal nötig

Die Amadeu Antonio Stiftung vermisst eine Strategie im Umgang mit Rechtsextremismus. "Immer wieder haben wir seit dem Beginn des NPD-Verbotsverfahrens 2012 deutlich gemacht, dass mit Verboten den wachsenden Herausforderungen für die Demokratie nicht beizukommen ist", sagte Geschäftsführer Timo Reinfranker.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) verwies auf die kommunalen Mandate der NPD, vor allem im Osten. "Wir werden weiter mit sehr viel Personal NPD-Veranstaltungen und -Demonstrationen schützen müssen. Das hätten wir uns gerne erspart", sagte der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow.

Zu bedeutungslos 

Die rechtsextreme NPD ist verfassungsfeindlich, aber zu bedeutungslos für ein Verbot - mit diesem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht einen Schlusspunkt unter die jahrelangen politischen Bestrebungen für eine Auflösung der Partei gesetzt. Die Karlsruher Richter wiesen am Dienstag den Verbotsantrag der Länder im Bundesrat als unbegründet ab. In ihrem ersten Urteil zu einem Parteiverbot seit mehr als sechs Jahrzehnten setzten sie neue Maßstäbe auch für künftige Verfahren. (Az. 2 BvB 1/13)

In seinem knapp 300 Seiten langen Urteil stellte der Zweite Senat zwar einstimmig fest, dass die NPD wesensverwandt mit dem Nationalsozialismus sei. "Es fehlt aber derzeit an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass ihr Handeln zum Erfolg führt», sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung.

Kritiker eines neuen Verbotsversuchs hatten von Anfang an vor den großen Risiken gewarnt. Denn die verfassungsrechtlichen Hürden für ein Parteiverbot sind hoch, und die NPD hatte zuletzt an politischer Bedeutung eingebüßt. Im September 2016 mussten die Rechtsextremen bei der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern ihre bundesweit letzten Landtags-Mandate abgeben. Seither ist die NPD nur noch auf kommunaler Ebene und mit einem Abgeordneten im Europaparlament vertreten.

Es ist bereits das zweite Mal, dass der Versuch, in Karlsruhe gegen die NPD vorzugehen, mit einem Misserfolg endet. Ein erstes Verfahren war 2003 geplatzt, weil ans Licht kam, dass die Partei bis in die Spitze mit Informanten des Verfassungsschutzes durchsetzt war. Bundesregierung und Bundestag, die das Verbot damals mit beantragt hatten, schlossen sich deshalb diesmal dem Bundesrat nicht an.

Konkurrenz mit AfD 

In jüngster Zeit hatte die finanziell klamme Partei mit ihren gut 5000 Mitgliedern auch in ihren Hochburgen im Osten Deutschlands nicht an die Wahlerfolge der 2000er Jahre anknüpfen können. Auch wegen der neuen Konkurrenz durch die AfD sitzt sie derzeit in keinem einzigen Landtag mehr. Deshalb gibt es Bedenken, die NPD könnte politisch zu unbedeutend sein, um eine derart scharfe Maßnahme wie ein Verbot zu rechtfertigen. Verfassungsfeindliche Parolen reichen dafür nicht. In der Karlsruher Verhandlung Anfang März 2016 war der tatsächliche Einfluss der NPD deshalb ein zentraler Punkt. (Az. 2 BvB 1/13)

Angestoßen haben das Verfahren die Länder über den Bundesrat. Der Erfolgsdruck ist groß, denn 2003 war schon einmal ein Vorstoß gescheitert, die NPD verbieten zu lassen. Damals platzte das Verfahren, weil die Partei mit Informanten des Verfassungsschutzes durchsetzt war. Zur inhaltlichen Entscheidung kam es nicht mehr.

 Zwei Parteiverbote

In der Bundesrepublik gab es überhaupt erst zwei Parteiverbote, das letzte traf 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Unabhängig vom Ausgang hat das Urteil deshalb große historische Bedeutung. Der Zweite Senat unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle steht vor der Herausforderung, die Maßstäbe aus den Anfangsjahren der Bundesrepublik für die heutige Zeit fortzuentwickeln.

Inzwischen ist dabei auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu beachten. Ihn könnte die NPD im Falle eines Verbots anrufen, um das Urteil überprüfen zu lassen.

 


Charlotte Knobloch / © Peter Kneffel (dpa)
Charlotte Knobloch / © Peter Kneffel ( dpa )

Ralf Meister / © Jens Schulze (epd)
Ralf Meister / © Jens Schulze ( epd )
Quelle:
dpa , KNA , epd