Bundesliga-Vereine bieten ihren blinden Fans im Stadion Plätze mit Live-Kommentar an

"Wir sind dabei"

Die aktuelle Saison befindet sich auf der Zielgeraden, für die Fußball-Bundesliga steht die Sommerpause bevor. Zeit für Rückblicke und bunte Geschichten. Eine Erfolgsstory der vergangen Jahre: der Live-Kommentar in vielen Stadien für blinde Fußball-Fans.

Autor/in:
Rolf Stegemann
 (DR)

"Und da kommt die Flanke direkt in den Fünfmeter-Raum, Kuranyi steigt zum Ball und  Tooorrr!!!" Die Schalke-Arena steht Kopf. Auch Petra und Achim Töns bejubeln den sehenswerten Treffer des Nationalstürmers - obwohl sie nicht sehen können. Das Münsteraner Ehepaar ist sehbehindert und gehört bundesweit zu einigen hundert blinden Fußball-Fans, die gerade jetzt zum Saisonfinale jedes Spiel ihrer Mannschaft live im Stadion verfolgen. Ihnen helfen die Live-Kommentare von sogenannten Blinden-Reportern.

"Jetzt muss ein Dreier her", sagt Achim Töns und rückt seinen Kopfhörer zurecht. Der 45-jährige Masseur ist seit 25 Jahren Schalke-Fan und versäumt kaum ein Spiel im Stadion. Die moderne Sport-Arena im Gelsenkirchener Norden bietet blinden und sehbehinderten Fußball-Anhängern einen besonderen Service: 20 Kopfhörer-Plätze. Das Besondere daran: Ein Team aus zwei ehrenamtlichen Reportern berichtet exklusiv und live für die blinden Fans vom Geschehen auf dem Rasen.

"Aaahh, der Ball zischt um wenige Zentimeter am linken Pfosten vorbei." Karl-Heinz Witteck windet sich kurz, doch schon rollt der nächste Angriff. Per Funk überträgt er für seine Hörer, die im Stadion-Block unter ihm sitzen, das Bundesliga-Spiel. Als Nonstop-Reportage ohne Werbeunterbrechung, präzise, detailliert und anschaulich. Im Unterschied zum Hörer einer Radio-Reportage hört der Blinde im Stadion alles, was um ihn herum geschieht. Darauf muss der Blinden-Reporter sofort reagieren.

Spaß und Herausforderung
"Für uns ist das Spaß und Herausforderung zugleich", erzählt Thomas Krawinkel. Der Blinden-Reporter hat gerade Pause, muss erst in ein paar Minuten wieder ans Mikrofon. Im 15-Minuten-Rhythmus wechseln sich Witteck und Krawinkel ab. Sie gehören zu den Reportern der ersten Stunde.

Für die blinden Schalke-Anhänger ist das ein Segen. Sie müssen nicht mehr einen Begleiter engagieren, der ihnen das Geschehen auf dem Platz schildert. Jetzt kommt der Kommentar 90 Minuten lang live und lebendig direkt zu ihrem Sitzplatz. "Wir mögen diese Atmosphäre, mitten unter den Fans", schwärmt Achim Töns. "Dieses Live-Erlebnis können wir gut mit den Sehenden teilen", ergänzt seine Frau.

Zwei Drittel der Vereine in der 1. und 2. Bundesliga bieten ihren blinden Fußball-Fans mittlerweile Plätze mit Live-Kommentar an. Und es werden mehr. Seit Februar gehört auch der VfL Bochum dazu. "Die Anregung kam vom Hamburger Fußball-Fan-Club 'Die Sehhunde'", sagt VfL-Fan-Beauftragter Dirk Michalowski. Die ersten fünf Plätze sind eingerichtet, weitere sollen folgen.

Behindertenarbeit auf ihre Agenda gesetzt
Während "auf Schalke" die königsblauen Knappen einen weiteren Angriff starten, schaut Jochen Dohm bei Krawinkel und Witteck vorbei. Der 64-jährige Pfarrer ist der Behinderten-Beauftragte des Bundesligisten und hat die Bemühungen des Vereins um dessen behinderte Fans von Anfang an begleitet. "In der Arena wollte Schalke neben den Rollstuhlfahrern, die schon seit Jahrzehnten ihren Platz am Spielfeldrand haben, auch andere Behindertengruppen integrieren. Für sie wurden deshalb Plätze in zwei Blöcken reserviert", berichtet Dohm.

Mittlerweile haben alle Clubs der 1. und 2. Liga die Behindertenarbeit auf ihre Agenda gesetzt. Auch der Deutsche Fußballbund und die Deutsche Fußball-Liga sind "sehr sensibel" für das Thema geworden, sagt Pfarrer Dohm. So gehört inzwischen die Bestellung eines vereinsinternen Behinderten-Beauftragten zu den Lizenzauflagen für die 36 Proficlubs.

Mit dem Start einer dritten Profiliga ab der kommenden Saison wollen die Hamburger "Sehhunde" die blindenfreundlichen Hörer-Plätze auch in den unteren Ligen etablieren. Diese Zukunftsmusik ist für das Ehepaar Töns längst Liga-Alltag. "Bis zum nächsten Mal", rufen sie ihren Bekannten zu. Die Töns sind zufrieden. Ihre Schalker haben gewonnen und sie waren dabei.