Buchhandel-Friedenspreis für Claudio Magris

Der Vermittler

Seine Heimatstadt Triest liegt an der Grenze zwischen West und Ost, Nord und Süd. Der italienische Schriftsteller Claudio Magris hat die multikulturell geprägte Stadt an der Adria zum Sinnbild der gesamteuropäischen Identität erhoben. Der Germanist, Essayist und Erzähler wurde am Sonntag mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Autor/in:
Bettina Gabbe
 (DR)

Keine andere Stadt verkörpert die Idee der mitteleuropäischen Kultur als Ort der Begegnung, Verschmelzung und Reibung zwischen unterschiedlichen nationalen und regionalen Einflüssen so wie Triest.
Eine slowenische Bevölkerungsminderheit mit eigener Sprache ist bis heute ebenso Teil der Stadt wie der Triestiner Dialekt mit seiner Mischung aus venezianischen, friulanischen, slowenischen, kroatischen, griechischen und deutschen Elementen.

In der Hafenstadt, die bis 1918 zum österreich-ungarischen Habsburgerreich gehörte, lehrte Magris als Professor deutsche Literatur, ehe er im Jahr 2006 emeritiert wurde. In den berühmten Kaffeehäusern der Stadt schrieb einst der Schriftsteller Italo Svevo seine Romane. Der Ire James Joyce hielt sich hier mit Englischunterricht über Wasser. Und Rainer Maria Rilke verfasste auf dem Schloss Duino oberhalb der Triestiner Bucht seine "Duineser Elegien".

Literatur als Metapher der Krise der modernen Kultur
Magris verfasste Essays über die Werke von Franz Werfel, Hugo von Hofmannsthal, E.T.A Hoffmann, Arthur Schnitzler und Tankred Dorst. Zu seinen wichtigsten Arbeiten zählt "Weit von wo. Verlorene Welt des Ostjudentums" über den österreichischen Schriftsteller Joseph Roth. Mit seinem unter dem Titel "Donau. Biographie eines Flusses" erschienenen Tagebuch einer Reise in Zeit und Raum errang Magris breite internationale Anerkennung.

Der am 10. April 1939 in Triest geborene Germanist analysiert die mitteleuropäische Literatur des 20. Jahrhunderts als Metapher der Krise der modernen Kultur. Einem breiten Publikum ist er durch die Schilderung der literarischen Hauptstädte der mitteleuropäischen Kultur und ihrer Bewohner in einer ihm eigenen Mischung aus Essay und Erzählung vertraut. Von 1994 bis 1996 war Magris Senator in Rom.

Mit Ironie gegen wachsende Provinzialisierung von Politik
Öffentliche Auftritte und Interviews meidet der mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnete Autor. Mit Ironie und moralischem Impetus wendet sich Magris gegen eine wachsende Provinzialisierung von Politik und Kultur in Italien. So reagierte er jüngst mit beißendem Spott auf den Vorschlag der ehemaligen Separatistenpartei Lega Nord, Dialekte an Schulen zu lehren und die italienische Fahne durch Regionalfarben zu ersetzen.

Dabei fehlt es Magris nicht an Wertschätzung für lokale Dialekte.
Diese müssten aber ein "zur Welt hin offenes Fenster" sein, ein "Hof, in dem Kinder beim Spiel sich dem Leben und den Abenteuern aller Menschen öffnen". Im Gegensatz zur Tendenz, sich durch Abgrenzung von anderen zu definieren, vergleicht Magris wahre Identitäten mit russischen Steckpuppen: "Jede enthält eine andere und steckt ihrerseits in einer größeren."

Lokale "Mikronationalismen" hält der Schriftsteller wegen drohender Unterdrückung von Minderheiten für nicht weniger gefährlich als zentralistische Nationalstaaten, die regionale Besonderheiten unterdrücken.