Bruder Bernd bedauert Bedeutungsverlust von Heiligen

Was ist uns heute noch heilig?

Am 1. November gedenken Christen aller Heiligen, zum Beispiel Franz von Assisi, dem heiligen Martin oder der heiligen Edith Stein. Warum sie bis heute ein Vorbild sind und was ihre Heiligkeit ausmacht, erklärt Bruder Bernd Kober.

Frau mit Heiligenschein / © Sergey Nivens (shutterstock)
Frau mit Heiligenschein / © Sergey Nivens ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wer ist Ihr Lieblingsheiliger - vielleicht der heilige Franziskus, auf den Ihr Orden sich bezieht?

Bruder Bernd Kober (Kapuziner und Kirchenrektor von Liebfrauen in Frankfurt): Ja, tatsächlich. Ich bin Kapuziner und der heilige Franziskus liegt mir schon besonders am Herzen - als ein Heiliger, der Großes geschafft hat, aber der auch um seine Grenzen wusste.

DOMRADIO.DE: Was genau fasziniert Sie an seiner Heiligkeit?

Heiliger Franziskus von Assisi / © godongphoto (shutterstock)
Heiliger Franziskus von Assisi / © godongphoto ( shutterstock )

Br. Bernd: Mich fasziniert, dass ganz klar wird, dass der Heilige kein Perfekter ist, sondern vor allem ein Suchender. Einer, der entdeckt hat, was ihm heilig ist und der versucht hat, sich daran abzuarbeiten und damit ein Leben lang umzugehen und dran zu bleiben.

DOMRADIO.DE: Finden Sie es schade, dass die Heiligen im "klassischen katholischen Sinn" in unserer Gesellschaft heute kaum noch eine Rolle spielen?

Br. Bernd: Ja, das ist schade. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir die Heiligen manchmal sehr hoch auf den Sockel gestellt haben. Wenn wir Allerheiligen feiern, feiern wir unsere Schwestern und Brüder, die sich gemüht haben mit ihrem Leben und die etwas Besonderes entdeckt haben, nämlich dass der Mensch mit seinen Grenzen vor Gott so angenommen ist. Und dieses Angenommen sein weckt alle Kraft zum Guten im Menschen.

Heiligenverehrung in der Kirche

Nach katholischem Verständnis sind die Heiligen Fürsprecher vor Gott, die von den Gläubigen angerufen werden können. Die evangelische Kirche kennt keine Heiligenverehrung in diesem Sinne. Für sie sind die Heiligen Vorbilder im Glauben.

Der Gedenktag jeder und jedes Heiligen ist der Todestag, nicht etwa der Geburtstag. Man "feiert" das Ende eines irdischen Lebens und den Übergang in das ewige Leben. Zusätzlich gedenkt die katholische Kirche all ihrer Heiligen am Fest Allerheiligen, am 1. November. (DR)

Eine Frau im Gebet / © Jantanee Runpranomkorn (shutterstock)
Eine Frau im Gebet / © Jantanee Runpranomkorn ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was geht verloren, wenn die Heiligen uns in der Gesellschaft abhanden kommen?

Br. Bernd: Die Vorbilder gehen verloren. Ich weiß nicht, ob wir in unserer Zeit solche Vorbilder haben. Es gibt vielleicht andere Vorbilder. Aber die Heiligen machen - durch die Jahrhunderte hinweg - verschiedene Aspekte des Menschseins deutlich. Wie der heilige Franziskus, der sich zum Beispiel denen zugewendet hat, die am Rand waren, die keiner mochte. Denen hat er versucht, Annahme und Nähe zu schenken.

DOMRADIO.DE: Was meinen die Leute heutzutage, wenn sie sagen: "Das ist mir heilig"?

Br. Bernd: Vielleicht kommt uns zunächst der Heiligenschein in den Sinn oder der Scheinheiligenschein - da gibt es beides, wenn wir so an die Kirche denken. Mir ist an der Heiligkeit das Entdecken des Lebenskonzepts wichtig, an dem ich dranbleiben will und das Wissen um die eigenen Grenzen. Ich glaube, zur menschlichen Reifung gehört das ganz stark dazu, dass wir etwas entdecken, was Sinn stiftet, aber dass wir uns auch ganz realistisch selbst einschätzen.

Bruder Bernd

"Ich glaube, zur menschlichen Reifung gehört das ganz stark dazu, dass wir etwas entdecken, was Sinn stiftet, aber dass wir uns auch ganz realistisch selbst einschätzen."

DOMRADIO.DE: Welche Art von Heiligkeit könnten katholische Gläubige anstreben ohne heutzutage als "verstaubt" rüberzukommen?

Br. Bernd: Ich glaube, Katholikinnen und Katholiken könnten Heiligkeit leben, in dem sie sich mit großer Weite und einem sehr menschlichen Blick dieser Welt und den Menschen annehmen, ohne zuerst Urteile auszusprechen, sondern menschliche Nähe zu schenken und zu motivieren. Sie könnten die eigenen Gaben, die in uns grundgelegt sind, entfalten, um dem anderen Menschen zum Leben und zum Aufblühen zu verhelfen.

Bruder Bernd

"Allerheiligen ist für mich ein ganz helles und weites Fest."

DOMRADIO.DE: Was bedeutet Ihnen das heutige Fest?

Br. Bernd: Allerheiligen ist für mich ein ganz helles und weites Fest. Ich sehe ganz viele Gestalten vor mir, die sich mit ihrem Leben gemüht haben und deren Leben in diesem Mühen gelungen ist, weil sie im Blick Gottes gelebt haben, weil sie wussten: Dieser Gott nimmt mich an, und wenn ich gefallen bin, darf ich immer wieder aufstehen und es wieder neu versuchen. Wenn wir das einander weitergeben, dieses stets neu versuchen dürfen - dann ist, glaube ich, etwas ganz Großes geschenkt. Und dann können Menschen auch zum Leben finden.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Allerheiligen und Allerseelen

Gedenk- und Trauertage im November. Während die römisch-katholische Kirche an Allerheiligen wortwörtlich all ihrer Heiligen gedenkt, ist Allerseelen der Tag, an dem durch Fürbitte und Gebet an die Verstorbenen erinnert wird.

Die Gedenktage am Ende des Kirchenjahres sollen die Menschen trösten, etwa wenn der Verlust eines Angehörigen zu beklagen war. Zugleich rücken die christlichen Trauertage mit ihrer vielfältigen Symbolik die Vergänglichkeit des Lebens und die Allgegenwärtigkeit des Todes in den Mittelpunkt.

Symbolbild Kerzenlicht / © Bobby Stevens Photo (shutterstock)
Symbolbild Kerzenlicht / © Bobby Stevens Photo ( shutterstock )

 

Quelle:
DR