"Brot für die Welt" kritisiert Aussetzung des Getreide-Deals

"Perfides Spiel"

Nach dem vorläufigen Ende des Getreide-Deals zwischen Russland und der Ukraine wird erwartet, dass die Getreidepreise weltweit in die Höhe gehen. Das Hilfswerk "Brot für die Welt" fordert die Weltgemeinschaft zum Handeln auf.

Symbolbild Getreideernte / © Orientaly (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Durch das Ende des Getreide-Deals zwischen Russland und der Ukraine wird erwartet, dass die weltweiten Getreidepreise ansteigen. Wie bewerten Sie das als "Brot für die Welt"?

Francisco Marí (Experte für Welternährung und Agrarhandel bei "Brot für die Welt"): Da die fatale Entscheidung Russlands, das Getreideabkommen zumindest auszusetzen, nebst dem Beschuss des Hafens von Odessa und der Drohung an alle Frachtschiffe, in einer Jahreszeit stattfindet, wo in der nördlichen Halbkugel die Getreideernten eingefahren werden, waren die Preisreaktionen zunächst zögerlich. Inzwischen nehmen sie Fahrt auf. Auf den beiden wichtigsten Weizenbörsen Chicago und Paris sind heute 10 Prozent mehr (253 Euro pro Tonne), für Lieferungen ab September sogar 15 Prozent mehr zu zahlen.

Wenn die Kriegshandlungen Ausfuhren von ukrainischem und russischem Weizen über das Schwarze Meer verhindern, könnte eine Preisrally wie im März 2022 entstehen, als der Preis auf 460 Euro pro Tonne stieg. Ein Ausfall Russlands als Weizenlieferant und – wegen der globalen Hitze – eventuell geringere Erntemengen beim Winterweizen in EU und USA ab September, könnten dann die Preiskrise zu einer Mengenkrise machen.

Um Preissprüngen aufgrund von verstärkter Spekulation durch Händler zu begegnen, müssen, anders als 2022, endlich die Finanzbehörden bereit sein, in den Börsenhandel mit Nahrungsmitteln einzugreifen. So schreibt es die Europäische Finanzmarktrichtlinie (MFID II) vor, zum Beispiel mit Positionslimits Spekulanten, die nur kurzzeitige Gewinne mit Weizenderivaten erzielen wollen, vom Markt fernzuhalten, um den Börsenpreis zu stabilisieren.

DOMRADIO.DE: Stimmen in Russland sagen, man müsse auch bereit sein, Frachtschiffe zu bombardieren, wenn die Ukraine auf eigene Faust weiter Getreide ausführt. Hunger wird also zur Kriegswaffe. Ist das eine neue Dimension?

Marí: Die Blockade der ukrainischen Häfen mit beladenen Getreideschiffen und die Seeminen vor dem Getreideabkommen waren schon der Beginn des perfiden Spiels, Hunger als Kriegswaffe einzusetzen.

Das Bombardieren von Frachtschiffen wäre zwar eine weitere Zuspitzung, aber gefährdet natürlich auch die Durchfahrt russischer Schiffe. Es werden sich auch kaum Reeder darauf einlassen, ihre Frachtschiffe über das Kriegsgebiet nach Rostow zu schicken, um russisches Getreide zu befördern.

Russland hat keine große Flotten an eigenen Frachtschiffen. Die Versicherungen könnten aussteigen und es dürfte auch schwierig werden, Personal für die Schiffe zu finden.

DOMRADIO.DE: Besonders die Länder des Globalen Süden sind von einer möglichen Hungerkrise bedroht. Bräuchte es da mehr Unterstützung der Weltgemeinschaft?

Mari: Die ersten Wirkungen auf Menschen in Hungersituationen im Globalen Süden dürften die akuten Hungerregionen spüren, die vom UN-Welternährungsprogramm (WFP) versorgt werden. Wieder muss das WFP Weizen teurer einkaufen und wieder kann das WFP nicht auf Lieferungen aus der Ukraine bauen, sondern muss sich sonst auf dem Markt mit höheren Preisen versorgen und wird dann wieder anfangen müssen, Rationen in Somalia, Jemen, Syrien oder in anderen Notgebieten zu kürzen.

Dann werden die Staaten in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten wie Libanon, Tunesien, Pakistan oder Bangladesch, die keine großen Getreidereserven bilden, sondern regelmäßig Getreide ordern müssen, durch die nun steigenden Preise auf dem Spotmarkt diese Erhöhungen an die – wegen der Inflation – ohnehin schon verarmte Bevölkerung weitergeben müssen.

Das trifft auch die subsaharischen Staaten, die zwar nicht gänzlich, aber zu einem gewissen Anteil von ca. 10-15 Prozent mit Weizenprodukten wie Brot ihre tägliche Kalorienzufuhr decken, vor allem in den Städten. Das sind Länder in West- und Ostafrika wie Kenia, Senegal, Nigeria.

Zuletzt werden aufgrund der Erntesaison auch Staaten wie Ägypten mit großen Getreidereserven, zu viel höheren Preisen Weizen zukaufen müssen, um ihre Lager zu füllen, da sich ihre Lager langsam leeren und die eigene Ernte nur 50 Prozent des Bedarfs deckt.

Ja, Präventivmaßnahmen der Weltgemeinschaft wären nicht erst jetzt notwendig gewesen. "Brot für die Welt" forderte schon im letzten Sommer, dass die G7-Staaten Maßnahmen gegen die Preisspekulation treffen und selber Getreidereserven bilden müssen, indem sie aus ihren hohen Weizenanteilen bei der Fleischproduktion (Futter) und der Beimischung für Benzin Getreide herausnehmen und für Notfallreserven einlagern.

Diese könnten sie dann auf den Weizenmarkt bringen, um die Preisspekulation zu reduzieren oder für den Fall von Engpässen den betroffenen Ländern zur Verfügung stellen. Leider ist in diese Richtung nichts geschehen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Hilfswerk "Brot für die Welt"

Als weltweit tätiges Entwicklungswerk der evangelischen Kirchen in Deutschland ist "Brot für die Welt" nach eigenen Angaben in mehr als 90 Ländern rund um den Globus aktiv. Gemeinsam mit lokalen Partnern hat das Hilfswerk den Ansatz, die Lebenssituation armer und ausgegrenzter Menschen zu verbessern. Zentraler Schwerpunkt der Arbeit ist die Ernährungssicherung. "Brot für die Welt"  unterstützt die arme und ländliche Bevölkerung darin, mit umweltfreundlichen und standortgerechten Methoden gute Erträge zu erzielen.

"Brot für die Welt" / © Jörg Sarbach (epd)
"Brot für die Welt" / © Jörg Sarbach ( epd )
Quelle:
DR