In Brandenburg zieht eine Kapelle einige Dörfer weiter

"Es war eine verrückte Idee"

Eine Kirche zieht um: In Brandenburg wird die Kleinwudicker Kapelle als Fahrrad- und Kulturkirche in Jerchel neu errichtet. Die Pfarrerin berichtet von einer verrückten Idee, die den Christen mitten in der Diaspora Hoffnung gibt.

Waldkapelle am alten Standort in Kleinwudicke (privat)
Waldkapelle am alten Standort in Kleinwudicke / ( privat )

DOMRADIO.DE: Warum zieht die Kapelle um? Was steckt dahinter?

Pfarrerin Magdalene Wohlfarth (Für das zum Evangelischen Kirchenkreis Elbe-Fläming zählende Kirchspiel mit Jerchel zuständig): Der kleine Ort Jerchel hatte keine Kirche mehr. In den 1980er Jahren erst wurde die wegen Baufälligkeit abgerissen. Ein typisches DDR-Symptom.

Der Ort wünschte sich seitdem immer wieder einen Versammlungsort. Dann wurde überlegt. Und in diese Überlegungen hinein kam der verrückte Vorschlag des Bürgermeisters Felix Menzel, die Kapelle von Kleinwudicke umzusetzen. Die Kapelle war baufällig. Die Gemeinde hatte kein Geld, sie zu erhalten. Sie wurde dort auch überhaupt nicht mehr gebraucht. Aber wir könnten sie nutzen.

Dieser Vorschlag wurde erst mal als unrealistisch abgetan. Aber dann wuchs doch die Begeisterung. Da wir auch EU-Mittel dafür bekommen, wurde das mehr und mehr realistisch, das wirklich in Angriff zu nehmen. Und jetzt ist es auf dem Weg. Wir freuen uns riesig, dass jetzt schon etwas zu sehen ist und dass der Rohbau zumindest in diesem Jahr fertig wird.

Pfarrerin Magdalene Wohlfarth

"Und alle ziehen da wirklich an einem Strang. Das ist sehr schön."

DOMRADIO.DE: Warum wird es denn eine Fahrrad- und Kulturkirche? Was wollen Sie da erreichen?

Wohlfahrt: Wir wollten eigentlich erst nur für die sehr kleine und immer kleiner werdende Kirchgemeinde einen Kirchraum. Aber diese europäischen Mittel bekamen wir nur, wenn wir Kooperationspartner ins Boot holen, uns vernetzen und Leute suchen, die die Kirche auch mit Leben füllen.

Da kam uns die Idee: Es gehen viele Fahrradwege an der Stelle vorbei. Es kommen zum Teil bis zu 100 Fahrradfahrer am Tag vorbei. Warum also nicht die Kirche als Fahrradkirche ausweisen und Kooperationspartner suchen, die auch darüber hinaus dort Veranstaltungen anbieten?

Wir haben jetzt den Kunstverein im Boot, Musikschulen, die Landfrauen, eine Yogalehrerin. Insgesamt haben wir zwölf Kooperationspartner gefunden.

Natürlich wollen wir auch als Kirchgemeinde neue Formate anbieten, die über den liturgischen Gottesdienst hinausgehen. Damit wollen wir auch versuchen, im weitesten Sinne missionarisch tätig zu sein. Das macht uns total Freude und Spaß, mit Leuten zusammen etwas aufzubauen.

Kirchraum der Waldkapelle am alten Standort in Kleinwudicke (privat)
Kirchraum der Waldkapelle am alten Standort in Kleinwudicke / ( privat )

DOMRADIO.DE: Diesen Umzug könnte man auch symbolisch deuten. Einzelne Steine der Kirche ziehen um und werden an einem anderen Ort zu einer neuen Kirche.

Wohlfahrt: Das ist eine gute Idee. Für mich ist das Ganze wirklich nicht nur das Bauwerk, sondern ein Aufbau-Projekt, ein Neustart. Wir nehmen natürlich Altes mit. Wir fangen nicht bei null an. Und wir haben eine tolle Erfahrung gemacht, dass in dem kleinen Ort jetzt auch Leute in einem Freundeskreis dabei sind, die gar nicht kirchlich sind. Oder auch kirchliche Gemeindemitglieder, die im Gemeindekirchenrat vor allem aktiv an diesem Projekt mitarbeiten und sehr begeistert sind.

Darüber hinaus interessieren sich auch die anderen Dörfer, die Kirchgemeinden, die im Kirchspiel zusammenarbeiten, sehr dafür. Alle ziehen da wirklich an einem Strang. Das ist sehr schön.

Rohbau der Waldkapelle am neuen Standort in Jerchel (privat)
Rohbau der Waldkapelle am neuen Standort in Jerchel / ( privat )

DOMRADIO.DE: Wie sind die Reaktionen der Gläubigen in Ihren Gemeinden?

Wohlfahrt: Zunächst war schon Skepsis da, auch Ängste, ob das zu schaffen ist. Aber durch Corona und durch Auflagen des Denkmalamtes hatte sich alles sehr verzögert. Diese Verzögerung hat Gutes bewirkt. Dadurch ist nämlich die Akzeptanz und auch die Neugier gewachsen.

Bei der Grundsteinlegung waren so viele Leute da, die sich sehr gefreut haben, die das nicht für möglich gehalten haben. Die Akzeptanz ist durch die Verzögerung gewachsen.

Pfarrerin Magdalene Wohlfarth

"Die Häuser sind wie Küken und jetzt haben sie wieder eine Henne, ihre Kirche."

Für mich ist es auch ein Zeichen für neue Pflänzchen innerhalb der Kirche. Vieles braucht Zeit, auch inhaltliche neue Pflänzchen, neue Formate, neue Menschen, die wir gewinnen, die wir auch für den christlichen Glauben interessieren. Das braucht scheinbar Zeit.

Es war ein Symbol dafür, dass uns dieses Kapellen-Projekt sehr lange in Anspruch genommen hat. Wir haben 2018 die ersten Überlegungen angestellt. Jetzt sind vier Jahre vergangen. Aber es ist ja auch ein sehr, sehr kleines Kapellchen, überschaubar. Es passen vielleicht 40 Menschen hinein. Dann gibt es einen Sanitär- und Küchenneubau hintendran.

Zeitkapsel für das Fundament am neuen Standort in Jerchel (privat)
Zeitkapsel für das Fundament am neuen Standort in Jerchel / ( privat )

Die Ortsmitte wird unglaublich aufgewertet, weil die ja leer war. Die alte Kirche war nicht mehr vorhanden. Die Häuser sind wie Küken und jetzt haben sie wieder eine Henne, ihre Kirche. Das ist sehr, sehr schön. Es wird wahrscheinlich ein großer Anziehungspunkt für Touristen, Fahrradfahrer und interessierte Menschen werden.

DOMRADIO.DE: Auch in Brandenburg bekommen Sie den Mitgliederschwund in den Kirchen zu spüren. Wie ist das?

Wohlfahrt: Das ist dramatisch, kann man nicht anders sagen. Aber so ist es. Ich bin da eigentlich trotz allem sehr hoffnungsvoll, weil ich denke, es entsteht etwas Neues. Es ist ein Kernstück des christlichen Glaubens, dass etwas sterben muss, um etwas Neues wachsen zu lassen. Karfreitag und Auferstehung ist dasselbe. Und da sehe ich jetzt gerade, dass da plötzlich Leute kommen und Lust haben, mitzumachen.

Natürlich ist es auch dramatisch für die Leute vor Ort, die merken, dass das Personal weniger wird. Wir haben riesige Gebiete zu versorgen. Aber alles in allem denke ich: Das ist der Weg jetzt.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Quelle:
DR