Botanikerin wirbt für Friedhöfe als Naturräume

"Kommen den Menschen unmittelbar zugute"

Im November besuchen besonders viele Menschen die Gräber von Verstorbenen. Aber Friedhöfe sind nicht nur Orte der Trauer, sondern oft auch grüne Oasen, die Raum zum Durchatmen bieten. Friedhöfe verbessern sogar das Klima der Stadt.

Grablicht auf einem Grab / © Julia Steinbrecht (KNA)
Grablicht auf einem Grab / © Julia Steinbrecht ( KNA )

KNA: Macht sich der Klimawandel auch auf Friedhöfen bemerkbar?

Biologin Corinne Buch, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet e.V., am 12. November 2022 in Duisburg. / © Sven Hellinger/Corinne Buch (KNA)
Biologin Corinne Buch, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet e.V., am 12. November 2022 in Duisburg. / © Sven Hellinger/Corinne Buch ( KNA )

Corinne Buch (Botanikerin): Der Klimawandel macht sich überall bemerkbar. Das gilt gerade innerstädtisch: Ballungszentren heizen sich großflächig auf, Starkregen staut sich. Ich würde die Perspektive allerdings umkehren: Friedhöfe helfen Städten dabei, diese Effekte abzupuffern. Sie kommen den Menschen damit unmittelbar zugute.

KNA: Wie funktioniert das?

Buch: Es gibt mehrere Aspekte. Der erste betrifft die Umwelt und das Klima: Gehölze auf Friedhöfen binden Schadstoffe und CO2. Sie kühlen die Städte ab, da auf Grünflächen das Klima viel ausgeglichener ist als in asphaltierten Gegenden. Auch Wasser kann auf diesen Flächen versickern.

Im Gegensatz zu Häuserreihen, zwischen den sich die Luft im Sommer oftmals staut, sorgen Grünflächen - und damit auch Friedhöfe - zudem für Frischluftzufuhr in die Städte.

KNA: Und zweitens?

Buch: Zweitens sind Friedhöfe sehr artenreich - sowohl in Bezug auf Pflanzen und als auch auf Tiere. Auf den Friedhöfen im westlichen Ruhrgebiet, die ich im Rahmen meines Forschungsprojekts bislang untersucht habe, lassen sich 900 Pflanzenarten nachweisen. Das ist mehr als ein Drittel aller Pflanzen, die in Nordrhein-Westfalen insgesamt vorkommen.

Lebensräume mit einer hohen Biodiversität sind grundsätzlich widerstands- und anpassungsfähiger. So wird Zierrasen schnell braun, wenn er nicht gewässert wird - das macht es fraglich, wie zukunftsfähig er noch ist. Dagegen bleiben Blumenwiesen mit Kräutern länger grün und sind weniger anfällig für Erosion.

KNA: Was gehört neben Blumenwiesen noch zum Biotop Friedhof?

Buch: Besonders zeichnet sie ihr sogenannter Strukturreichtum aus - der auch für Parks und andere Grünlagen wichtig ist. Das bedeutet: große Gehölzbestände, vielleicht ein Waldstück oder einzelne Bäume, Staudengewächse. Und natürlich gehören auch die gepflegten Gräber dazu.

Das Stichwort: Friedhofskultur

Die Friedhofskultur in Deutschland ist seit 2020 "immaterielles Kulturerbe". Auf Empfehlung der Deutschen Unesco-Kommission beschloss die Kultusministerkonferenz im März 2020 die Aufnahme in das bundesweite Kulturerbe-Verzeichnis.

Das immaterielle Erbe Friedhofskultur bezieht sich dabei "auf das, was Menschen auf dem Friedhof tun - trauern, erinnern und gedenken" sowie auf das Gestalten, Pflegen und Bewahren. Es sind also nicht die Friedhöfe selbst, die zum Unesco-Welterbe ernannt wurden, das wäre quasi materielles Erbe.

Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz (KNA)
Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz ( KNA )

Naturnahe Grabgestaltung bedeutet mitnichten, dass diese Stätten verwildern sollen. Grundsätzlich lässt sich sagen: Je mehr Biotoptypen zu finden sind, desto artenreicher ist eine Umgebung.

KNA: Wie lässt sich das erhalten?

Buch: Dazu kann jede und jeder Einzelne etwas beitragen. Wichtig ist eine Wertschätzung für Friedhöfe, wie sie sind. Sie sind mehr als Orte der Trauer - und dass sich dort ein solcher Reichtum entwickelt und erhalten ist, zeigt, dass die bisherige Pflege in vielem genau richtig war. Insofern ist es das wichtigste, dass diese Flächen erhalten bleiben - und nicht zu Parkplätzen oder Gewerbegebieten umgewidmet werden.

KNA: Friedhöfe unterscheiden sich mitunter stark. Welche Rolle spielt das?

Buch: Ein großer Waldfriedhof hat andere Möglichkeiten als kleiner Gemeindefriedhof. Es gibt jedoch ein paar Tipps, die sich überall beachten lassen: beispielsweise, nicht zu mulchen und keinen Schotter für die Grabgestaltung zu nutzen, damit der Boden durchlässig bleibt.

Wer ein Grab bepflanzt, kann beispielsweise heimische und blütenreiche Pflanzen wählen. Je nachdem, ob eine Grabstelle viel Sonne bekommt oder eher an einem schattigen Platz liegt, können auch Bodendecker sinnvoll sein. Da gibt es also viel Spielraum. Und übrigens leisten auch winzige Siedlungsfriedhöfe einen wichtigen Beitrag, allein dadurch, dass sie die Asphaltierung unterbrechen.

KNA: Gibt es in der Bevölkerung ein ausreichendes Bewusstsein für diese Thematik?

Buch: Bei vielen Menschen kommt das Thema Klimawandel inzwischen durchaus an, weil sie ihn am eigenen Leib erfahren: Viele merken beispielsweise, dass die Hitze im Sommer anstrengt oder sogar ernsthaft die Gesundheit beeinträchtigt; auch die Sterblichkeitsrate steigt ja in diesen Phasen. Insofern könnte auch die Nachfrage nach naturnaher Bestattung und Friedhofsgestaltung noch steigen.

KNA: Dennoch gibt es auch noch immer Menschen, die sagen: Och naja, was betrifft es mich, wenn eine bestimmte Insektenart ausstirbt. Was entgegnen Sie?

Buch: Die ökologischen Ketten der Welt sind noch lange nicht durchschaut. Und das betrifft nicht nur den Regenwald und das Wattenmeer, sondern auch die Stadtnatur. So können an einer Fliegenart viele andere Tiere hängen, die sich beispielsweise von Insekten ernähren. Diese Fliegenart braucht zu einer bestimmten Jahreszeit eine bestimmte Pflanzenart - und wenn diese Pflanze nun ausstirbt, sind die Folgen unabsehbar.

Jede Art übernimmt unterschiedliche Funktionen: Bei den Insekten ist das allen voran die Bestäubung, es gibt aber auch Aasfresser, die als "Müllabfuhr" der Natur tätig sind. Insofern wäre es schlichtweg unklug, den Verlust einer Art und dessen mögliche Folgen auch für den Menschen zu riskieren.

Das Interview führte Paula Konersmann.

Quelle:
KNA