DOMRADIO.DE: "Drinnen, draußen, (n)irgendwo" heißt die Veranstaltung, die Sie zusammen mit der Theologischen Fakultät Paderborn organisieren. Worauf genau spielen Sie mit diesem Titel an?
Monsignore Georg Austen (Generalsekretär des Bonifatiuswerks): Wir stellen fest, dass jährlich hunderttausende Menschen die beiden großen Kirchen offiziell verlassen. Nicht alle von ihnen sind von heute auf morgen ungläubig geworden. Was ist also mein Status, denn ich bleibe ja getauft? Bin ich noch drinnen, bin ich draußen, bin ich irgendwo oder nirgendwo? Wie lebe ich meinen Glauben weiter?
Genau das möchten wir in diesem bundesweiten Studientag, zu dem wir Ehrenamtliche und Hauptberufliche einladen, in den Blick nehmen. Bei allem Respekt und in aller Sensibilität vor der Entscheidung jedes Einzelnen, aber auch vor dem schmerzhaften Prozess für unsere Kirche, wollen wir nicht nur die Zahlen zur Kenntnis nehmen, sondern auch sehen, was bei den Menschen dahintersteht.
Wie können wir in einen Dialog treten und wie können wir miteinander lernen? Wie können wir auch lernen, mit der Situation umzugehen, im Dialog zu bleiben und Menschen nicht abzuschreiben? Wir wollen gerade mit Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen schauen, was das für unsere Gemeinden bedeutet.
Das ist auch die Frage für uns, wie wir mit Ausgetretenen oder mit Menschen, die überlegen, die Kirche zu verlassen oder vielleicht in die Kirchen zurückzukommen, umgehen? Wie können wir dort Impulse setzen oder wahrnehmen, was dort schon geschieht?
DOMRADIO.DE: Manche wollen wegen des Missbrauchsskandals nichts mehr mit der Kirche zu tun haben. Was sind Ihrer Erfahrung nach noch Gründe, warum Leute die Kirche verlassen?
Austen: Ich glaube, die Gründe sind mannigfaltig. Das eine mögen die Erfahrungen mit dem Missbrauchsskandal sein. Bei jüngeren Menschen ist es oft die Frage nach der Kirchensteuer oder es sind persönliche Erfahrungen, die sie in den Gemeinden gemacht haben.
Aber wir müssen auch einfach feststellen, - und das erleben wir als Bonifatiuswerk häufig - dass Menschen für sich entschieden haben, dass sie nicht glauben, auch wenn sie positive Erfahrungen in der Kirche gemacht haben. Sie haben für sich entschieden, dass ein Leben ohne Gott führen und nicht glauben können, also eine gewisse Art von Gottvergessenheit.
Ein Beispiel: Ich habe nächste Woche eine Taufe, wo die Frau sehr engagiert in der Kirche ist, der Mann aber aus der Kirche ausgetreten ist. Beide möchten jedoch, dass ihr Kind getauft wird. Es ist ihnen sehr wertvoll. Schon vor der Geburt des Kindes erzählten sie mir, dass sie jeden Abend zusammen beten und es auch wertvoll finden, ihr Kind taufen zu lassen.
Das sind unterschiedliche Situationen, die uns immer mehr in der pastoralen Arbeit begegnen. Wie gehen wir damit um? Wie können wir in einen Dialog treten? Wie können wir auch miteinander die Glaubensinhalte, die Glaubensauskunftsfähigkeit erleuchten und die unterschiedlichen Lebensbiografien aufnehmen?
Darauf müssen wir uns einstellen, dass wir zunehmend sehr unterschiedliche Lebensbiographien haben. Die einen, die bewusste Gründe haben und die anderen, die sich schlicht entschieden haben, nicht oder nicht mehr an Gott zu glauben. Auch das müssen wir respektieren.
DOMRADIO.DE: Sie beschäftigen sich auf diesem Studientag ganz intensiv mit Fragen um das Thema Kirchenaustritt. Wie genau sehen Sie sich das an?
Austen: Wir wollen das als Bonifatiuswerk zusammen mit der Theologischen Fakultät tun. Wir haben im letzten Jahr zu dem Thema eine Arbeitshilfe herausgegeben. Es gibt aber auch sehr unterschiedliche Zugangsweisen im soziologischen oder kirchenrechtlichen Bereich.
Wie können wir die Situationen aufgreifen, wenn uns Menschen im pastoralen Kontext, in Gottesdiensten, bei Beerdigungen, bei kulturellen Veranstaltungen begegnen. Wie können wir diese Situation aufgreifen und es zur Sprache bringen? Wie können wir in einen Dialog treten? Wie können wir auch sagen, dass es Berührungspunkte gibt? Auch wenn ich in meinem Lebensprozess Suchender nach Werten bin, was ist für mich dann der Unterschied zwischen einem Leben mit Gott oder ohne Gott?
Diese Fragen wollen wir ansprechen. Wir wollen aber auch wissen, wo es gute Erfahrungen in Deutschland gibt.
Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich jetzt bei der Vollversammlung sehr ausführlich mit dieser Thematik beschäftigt. Das wollen wir mit Fachreferentinnen und -referenten aufgreifen.
DOMRADIO.DE: Haben Sie schon Lösungsansätze im Angebot?
Austen: Es gibt keine Patentrezepte, die in der Schublade liegen. Aber ich glaube, dass wir aus unserer Arbeit im Bonifatiuswerk sehr viele Erfahrungen weitergeben können. Wir hatten im Bonifatiuswerk ein großes Programm, neue Räume des Glaubens zu eröffnen, also innovative Ansätze. Wir sollten die Menschen suchen und mit ihnen in Beziehung treten.
Wir sollten auch da, wo es um den Glauben und Beziehungen zur Kirche geht, wo sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht wurden, die Kirchenmauern verlassen. Wir haben innovative Personalstellen im Einsatz, die wir ausgewertet haben und woraus man sicherlich auch Informationen weitergeben kann.
Wir haben verschiedene Praxismodelle, bei denen Menschen versuchen, zu gewissen Thematiken oder zu Kirchenjahreszeiten Menschen zusammenzuführen, um in einen Dialog zu treten und auch Erfahrungen weiterzugeben. Da gibt es einiges.
Aber das Wichtige für uns ist, zu sensibilisieren, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern offensiv mit diesen Fragen umzugehen und nicht nur bei den bedauernswerten Erklärungen stehen zu bleiben, dass Menschen die Kirche verlassen. Vielmehr sollten wir uns fragen, wie wir dem selbstbewusst, aber auch sensibel begegnen können und das in unserer Praxis Wirklichkeit werden lassen können.
Das Interview führte Tobias Fricke.