Es waren dramatische Zahlen. Die sogenannte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung – kurz KMU – kam im November 2023 zu dem Befund, dass sich nur noch dreizehn Prozent der Bevölkerung kirchlich gebunden fühlt. Nur neun Prozent der Befragten erklärten, dass sie noch Vertrauen in die katholische Kirche hätten. Dabei sind derzeit knapp 24 Prozent der deutschen Bevölkerung katholisch – noch. Die vor anderthalb Jahren veröffentlichte KMU zeigt, dass die christlichen Kirchen in der Gesellschaft insgesamt an Mitgliedern und an Rückhalt verlieren.
Die katholische Kirche befindet sich also in einer immer säkularer werdenden Gesellschaft. Doch wie soll sie damit umgehen? Um konstruktiv auf den Rückgang der Kirchenbindung antworten zu können, haben sich die deutschen Bischöfe bei ihrer derzeit im Fulda tagenden Vollversammlung am Dienstag im Rahmen eines Studientags mit der KMU beschäftigt. Dabei hat ihnen der Pastoraltheologe Jan Loffeld geholfen.
Loffeld lehrt Praktische Theologie an der Universität Tilburg in den Niederlanden und war wissenschaftlicher Beirat der KMU. Er sieht den diesjährigen Studientag bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in einer Reihe mit vorangegangenen Studientagen. So beschäftigten sich die Bischöfe 2021 mit den hohen Kirchenaustrittszahlen und im vergangenen Jahr bereits mit den Ergebnissen der KMU.
Kirchenreformen "absolut notwendig", aber...
Die Veranstaltung bei dieser Vollversammlung trägt den Titel "Die Sendung der Kirche inmitten einer säkularen Gesellschaft" und geht weit über eine Beschäftigung mit den Zahlen der KMU hinaus. Loffeld hatte einige unangenehme Botschaften für die Oberhirten. Zum einen stellte der Pastoraltheologe heraus, dass Kirchenreformen zwar "absolut notwendig" seien, gerade auch im Hinblick auf die Betroffenen sexualisierter Gewalt.
Sie seien aber für die "wirksame Verkündigung des Glaubens allein nicht hinreichend". Die in der Kirche durchaus anzutreffende Annahme, dass mit der Umsetzung von Reformen eine große Zahl der Gläubigen in die Kirche zurückkehrt, die sich vorher von ihr abgewendet hatte, scheint also ein Trugschluss zu sein.
Zum anderen stellt Loffeld die These infrage, dass in jedem Menschen eine Sehnsucht nach Gott schlummert, die lediglich auf eine ansprechende Weise geweckt werden müsse. "Von dieser Annahme kann heute mit Blick auf die empirischen Daten nicht mehr ausgegangen werden", so der Theologieprofessor. Für das persönliche Lebensglück seien Gott, Glaube und Kirche für die große Mehrheit der Menschen hierzulande schlicht einfach nicht nötig. Aus kirchlicher Sicht, auf jeden Fall eine Ernüchterung.
"Opfer ihres eigenen Erfolgs"
Der Münchener Fundamentaltheologe Thomas Schärtl-Trendel fügt dieser Analyse beim Studientag der Bischofskonferenz einen weiteren Aspekt hinzu. Die Kirchen seien in gewisser Weise "Opfer ihres eigenen Erfolges" geworden, so Schärtl-Trendel. Das seit einigen Jahrzehnten verkündete "Evangelium der Toleranz und Rücksichtnahme" als vermeintlicher Kern des christlichen Glaubens, werde auch von anderen gesellschaftlichen Akteuren angeboten. Sogar einfacher und "kostengünstiger", weil dort auf den "metaphysischen und eschatologischen Ballast" verzichtet werde. Die Kirchen sind Verlierer auf dem freien Markt der Religion.
Doch Schärtl-Trendel wie auch Loffeld machen Hoffnung. Die Kirche wird nicht untergehen oder verschwinden, aber sie wird sehr wohl zu einer "Minderheit inmitten pluraler Lebensdeutungen" werden, so der Tilburger Theologe. Dazu müsse sie jedoch noch ihren Platz in der immer säkularer werdenden Gesellschaft finden. "Die Bischöfe sind sehr interessiert an den Ergebnissen der KMU und wollen lernen, wie sich Kirche verändern sollte", fasst Loffeld seine Eindrücke vom Studientag zusammen.
Einer der Oberhirten, der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf, sieht das ähnlich: "Wir müssen darüber diskutieren, was der Sendungsauftrag der Kirche in unserer Gesellschaft ist." Kohlgraf ist Vorsitzender der Pastoralkommission der Bischofskonferenz und daran interessiert, den Menschen die Spuren der christlichen Tradition zu erschließen, die in der Gesellschaft nach wie vor präsent sind. Ein Beispiel ist für Kohlgraf das Pilgern.
Durch "Erschließungskompetenz" mit Menschen ins Gespräch kommen
"Millionen Menschen gehen jedes Jahr auf dem Jakobsweg, sie gehen auf einem Weg, der eine lange christliche Tradition hat." Einige würden pilgern, andere wandern, aber genau das sei eine Gelegenheit für die Kirche, durch ihre "Erschließungskompetenz" mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Kohlgraf warnt davor, diese Veränderungen nicht anzugehen: "Wir dürfen uns nicht aus der Gesellschaft schmollend zurückziehen."
Der tschechische Priester, Soziologe und Buchautor Tomás Halík, der ebenfalls auf de Studientag der Bischöfe gesprochen hat, sieht wichtige gesellschaftliche Aufgaben für die Kirche. Anhand des von Papst Franziskus geprägten Bildes des "Feldlazaretts" für die Kirche wünscht sich Halík ein kirchliches "Immunisierungssystem" etwa gegen Populismus, Nationalismus und Rassismus. Der tschechische Theologe legt der Kirche aber auch eine Vertiefung der Spiritualität als wichtige Dimension des Glaubens ans Herz. Zudem müsse sie mit ihrer Seelsorge nicht nur die Christen, sondern alle interessierten Menschen erreichen. Das werde etwa schon so in der Kirche in Tschechien gelebt, die in einem der säkularisiertesten Ländern Europas zuhause ist.
Der Studientag der Bischöfe zeigt eindrücklich, dass sich die Kirche in Deutschland auf den Weg machen muss, ihre Identität neu zu finden. Die zunehmende Säkularisierung in den sogenannten westlichen Gesellschaften zwingt sie dazu. Doch darin liegt auch eine Chance, den Kern des christlichen Glaubens neu zu entdecken. Darin sind sich die Teilnehmer des Studientags bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda einig.