Bittere Erkenntnisse für die katholische Kirche im Jahr 2023

"Die Bedeutung der Kirchen bricht in sich zusammen"

Vertrauensverlust und Erosion des Glaubens. Für die katholische Kirche in Deutschland hatte 2023 wenig gute Nachrichten im Gepäck. Das Reformprojekt Synodaler Weg allerdings kam voran. Auch gegen Widerstand aus Rom.

Autor/in:
Christoph Arens
Evangeliar / © Lars Berg (KNA)
Evangeliar / © Lars Berg ( KNA )

Wahlforscher würden von einem Erdrutsch sprechen. "Die Bedeutung der Kirchen bricht in sich zusammen", schrieb dieser Tage die "Neue Zürcher Zeitung". 2023 zeichnet sich erneut durch eine Lawine an schlechten Nachrichten für die katholische Kirche aus.

Kein Vertrauen 

56 Prozent der Deutschen sind mittlerweile religiös unmusikalisch, ermittelte die "Sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung", die die Evangelische Kirche im November erstmals zusammen mit der katholischen Bischofskonferenz herausgegeben hat. Selbst unter den Kirchenmitgliedern verstehen sich nur noch 4 (katholisch) beziehungsweise 6 Prozent (evangelisch) als gläubig und kirchennah. Besonders bitter: Nur 9 Prozent erklärten, sie hätten noch Vertrauen in die katholische Kirche, bei der evangelischen waren es immerhin 24 Prozent.

Mitgliederschwund

Alarmierend auch die Kirchenaustrittszahlen: Mit 522.821 Katholiken, die 2022 ihrer Kirche den Rücken kehrten, wurde der bisherige Rekordwert aus dem Vorjahr deutlich überschritten.

 Irme Stetter-Karp und Georg Bätzing / © Julia Steinbrecht (KNA)
Irme Stetter-Karp und Georg Bätzing / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Zu beobachten ist eine gewisse Ratlosigkeit. "Der Trend der Entkirchlichung, der sich seit vielen Jahrzehnten schleichend vollzieht, hat massiv an Fahrt aufgenommen", sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing. Nicht nur die Kirchenbindung schwinde, sondern auch der Glaube selbst drohe zu verdunsten.

Kein Mega-Player mehr 

Die Kirche müsse neue Wege gehen, wenn sie überhaupt noch eine Rolle spielen wolle. Die Generalsekretärin der Bischofskonferenz, Beate Gilles, sprach von einem Gefühl der Ohnmacht: "Wir sind nicht mehr der Mega-Player, sondern der kleinere Teil in der Gesellschaft", sagte sie. Viele kirchliche Strukturen müssten künftig zurückgefahren werden.

Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack sieht allerdings geringe Handlungsmöglichkeiten für die Kirchen. Jeder Versuch, das eigene Image aufzubessern, werde sofort als eine Form der Selbstrechtfertigung wahrgenommen, sagte er. Gute Seelsorge, karitatives Engagement, Jugendarbeit und Religionsunterricht mit Qualität erhöhten dennoch die Chancen, dass die Menschen neues Vertrauen entwickelten.

Schatten des Missbrauchs

Dem standen zuletzt massive Negativ-Meldungen entgegen: Im September wurde bekannt, dass dem früher als Lichtgestalt verehrten Essener Kardinal Franz Hengsbach (1910-1991) persönlich sexueller Missbrauch in mehreren Fällen vorgeworfen wird. Die Statue der Ruhrgebiets-Ikone am Essener Dom wurde umgehend abmontiert.

Für Empörung sorgte auch die im April vorgestellte Freiburger Missbrauchsstudie: Sie wirft dem langjährigen Erzbischof Robert Zollitsch vielfachen Rechtsbruch vor. So habe er es bewusst unterlassen, kirchliche Strafprozesse gegen Täter einzuleiten – und dabei als damaliger Vorsitzender der Bischofskonferenz von ihm selbst auf den Weg gebrachte Vorgaben missachtet. Am schwersten wiegt der Vorwurf, dass Zollitsch Beschuldigte oder Überführte stillschweigend in andere Kirchengemeinden versetzte, wo erneut Minderjährige zu Opfern wurden.

Rainer Maria Kardinal Woelki / © Marius Becker (dpa)
Rainer Maria Kardinal Woelki / © Marius Becker ( dpa )

Causa Woelki  

Als erster katholischer Bischof in Deutschland trat der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode am 25. März wegen Fehlern bei der Aufarbeitung von Missbrauch zurück. Weiter in der Schwebe ist die Causa Woelki: Während Papst Franziskus das Rücktrittsangebot des Kölner Erzbischofs weiter unbeantwortete lässt, sorgte der Kardinal mit mehreren Prozessen für Schlagzeilen. Ende Juni durchsuchten Staatsanwaltschaft und Polizei sogar mehrere Objekte des Erzbistums.

Hintergrund sind Ermittlungen gegen Woelki wegen Vorwürfen des Meineids und der falschen eidesstattlichen Versicherung. Der Kardinal fühlt sich durch die "Bild"-Zeitung wegen seines Umgangs mit Missbrauchsfällen falsch dargestellt. Gegen die aus seiner Sicht "ehrverletzende Falschberichterstattung" ging er mit Einstweiligen Verfügungen vor. Dabei setzte er sich mehrfach erfolgreich gegen"Bild" durch, musste aber auch einige Äußerungen des Blattes hinnehmen.

Schmerzensgeld

Ein anderes Gerichtsverfahren sorgte ebenfalls für viel Aufsehen. Das Landgericht Köln sprach im Juni einem früheren Messdiener, der in den 70er Jahren von einem Priester mehr als 300 Mal missbraucht wurde, 300.000 Euro Schmerzensgeld zu und argumentierte dabei, dass das Erzbistum eine besondere Amtshaftung trage. Mittlerweile sind weitere solcher Klagen auch in anderen Bistümern auf dem Weg.

Ungeachtet vieler Querschüsse aus Rom und aus konservativen Kreisen brachte die Kirche in Deutschland ihr Reformprojekt des Synodalen Wegs weiter voran. Im November konstituierte sich in Essen der Synodale Ausschuss, dem die 27 Ortsbischöfe, 27 Vertreter des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und weitere 20 gewählte Mitglieder angehören.

Synodaler Rat geplant 

Das erklärte Ziel: den Boden zu bereiten, damit Bischöfe, Priester und Laien ihre Beratungen über die Schlüsselthemen Macht, Rolle der Frau, Sexualmoral und priesterliche Lebensform fortsetzen können. Dabei soll der Ausschuss die Gründung eines dauerhaften "Synodalen Rates" bis 2026 vorbereiten.

Vier Bischöfe haben bislang ihre Teilnahme abgesagt: Neben Woelki auch Gregor Maria Hanke (Eichstätt), Stefan Oster (Passau) und Rudolf Voderholzer (Regensburg). Der Vatikan hatte – nach einer entsprechenden Anfrage jener vier Bischöfe – erklärt, die Kirche in Deutschland sei nicht befugt, ein gemeinsames Leitungsorgan von Laien und Klerikern einzurichten.

"Beginn eines Kulturwandels"

Die Befürworter des Synodalen Weges vermelden allerdings Rückenwind durch die vom Papst einberufene Weltsynode, deren erste Halbzeit im Oktober in Rom zu Ende ging. Sie habe eine neue Dynamik der Debatte über Kirchenreformen freigesetzt, hieß es. ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp sprach vom "Beginn eines Kulturwandels". Bätzing sieht einen enormen Schritt nach vorn.

Beratungen bei Weltsynode / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Beratungen bei Weltsynode / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Politisch stemmte sich die Kirche 2023 insbesondere gegen eine Streichung des Abtreibungsparagrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch, wie sie eine von der Bundesregierung einberufene Expertenkommission erwägt. Erschwerend kommt hinzu, dass der Rat der Evangelischen Kirche im Oktober erklärte, er könne sich eine Regelung außerhalb des Strafrechts vorstellen.

Politik und Kirche 

Beim Thema Migration präsentierte sich die Kirche als Mahnerin gegen Abschottung: "Wer die Aufnahme von Flüchtlingen in erster Linie als Bedrohung darstellt, spielt den Populisten in die Karten", erklärte Flüchtlingsbischof Stefan Heße nach einem Besuch von Flüchtlingseinrichtungen in Griechenland und der Türkei.

Mit Blick auf die Wahlerfolge der AfD warnten die Bischöfe vor einem zunehmendem Extremismus in der Partei und in der Gesellschaft. Ob AfD-Mitglieder ein kirchliches Amt übernehmen können, wird von den Bischöfen indes nicht einheitlich beurteilt.

Quelle:
KNA