Bischof sieht Armenien von Russland belogen und verraten

"Sicherheitsgarantien waren eine Lüge"

Der armenisch-apostolische Bischof Tiran Petrosyan gibt Russland neben dem Kriegsgegner Aserbaidschan die Hauptschuld für die Vertreibung der armenischen Bevölkerung aus Berg-Karabach. Auch der Westen habe Armenien im Stich gelassen.

Russland Staatspräsident Wladimir Putin bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit
Russland Staatspräsident Wladimir Putin bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit

Armenien sei von Russland betrogen und verraten worden, sagte Petrosyan im Interview der Wochenzeitung "Die Tagespost". Er ließ aber auch kein gutes Haar am Westen; dieser habe nicht eingegriffen, um die ethnischen Säuberungen zu verhindern.

Zu Jahresbeginn wurde die international nicht anerkannte Republik Artsach (Berg-Karabach) offiziell aufgelöst, nachdem sie zuvor im September 2023 von Aserbaidschan erobert wurde. Mehr als 100.000
Armenier mussten das Gebiet damals verlassen. 

Die Worte "Schutzmacht" und "Russland" passten für die Armenier nicht mehr zusammen, sagte der armenisch-apostolische Bischof von Österreich. Armenien sei gezwungen gewesen, auf militärischer und politischer Ebene mit Russland zusammenzuarbeiten. 

"Russische Truppen haben sogar die Straßen gesperrt"

"25 Jahre lang wurde uns gesagt, dass die Kooperation mit Russland auch Sicherheitsgarantien für Berg-Karabach bieten würde. Aber das war eine Lüge!" Nun seien die Menschen, die dort wohnten, mit Russlands
Hilfe deportiert worden, so der Bischof. 

Er habe mit Augenzeugen gesprochen, die das bestätigten, sagte Petrosyan: "Die russischen Truppen haben sogar die Straßen gesperrt, damit keine Hilfe nach Berg-Karabach kommen konnte."

Ethnische Armenier fliehen aus Berg-Karabach  / © Vasily Krestyaninov/AP (dpa)
Ethnische Armenier fliehen aus Berg-Karabach / © Vasily Krestyaninov/AP ( dpa )

Nach dem Krieg von 2020 habe Russland zwar Truppen in der Region stationiert, um den Schutz der Menschen zu gewährleisten, "aber sie haben niemanden geschützt, sondern die Aggression unterstützt", so
der Bischof. Moskau profitiere davon, "dass es Armenien im Stich lässt". 

"Das waren ethnische Säuberungen!"

Russland sei international isoliert, habe aber viele Rohstoffe, die es auf den Markt bringen will. Dazu brauche es Partner: Aserbaidschan und die Türkei. "Sie sind heute engste Partner und Verbündete."

Was mit dem armenischen Volk von Berg-Karabach passiere, sei ein Völkermord, so Bischof Petrosyan: "Wenn Menschen gezwungen werden, ihr eigenes Land zu verlassen; wenn sie in ihrer Heimat nicht in
Sicherheit leben können, dann ist das ein Genozid. Denn es geht nicht um ein paar Familien, sondern um die Gesamtbevölkerung." 

Armenier aus Berg-Karabach sitzen in einem Lastwagen auf dem Weg nach Goris in der Region Syunik / © Gayane Yenokyan (dpa)
Armenier aus Berg-Karabach sitzen in einem Lastwagen auf dem Weg nach Goris in der Region Syunik / © Gayane Yenokyan ( dpa )

Niemand habe Arzach freiwillig verlassen. "Das waren ethnische Säuberungen!" Laut dem Bischof hat der Konflikt aber keine religiöse Komponente; er sei rein ethnisch bedingt. 

"Warum ist die Welt stumm?"

Fassungslos zeigte sich der armenische Bischof einmal mehr über die Untätigkeit des Westens im Karabach-Konflikt: "Für mich und für Millionen Armenier ist das wirklich die Frage der Fragen: warum die Welt so stumm war und ist. Es gab fast keine Reaktion der Weltgemeinschaft. In den vergangenen zwei Jahren sahen wir im Ukrainekonflikt, wie die Weltgemeinschaft einig war gegen den Aggressor Russland. Es ist schön, dass die Welt sich vereint hat, um die Werte der Demokratie zu verteidigen. Aber warum gilt dies nur in der Ukraine, nicht für die Armenier?"

Armenien bereitet sich auf Evakuierung der Karabach-Armenier vor

Die Ex-Sowjetrepublik Armenien im Südkaukasus bereitet sich auf eine mögliche Evakuierung von Armeniern aus dem von Aserbaidschan eroberten Gebiet Berg-Karabach vor. Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan sagte in Eriwan, 40.000 Plätze seien vorbereitet. Es wäre besser, wenn die Karabach-Armenier in ihren Häusern bleiben könnten, sagte er bei einer Regierungssitzung am Freitag. Es könne aber sein, dass dies unmöglich werde. "Wenn sich die Lage verschlechtert, wird dieses Problem für jeden von uns auf der Tagesordnung stehen."

Konflikt in Berg-Karabach / © Dmitri Lovetsky (dpa)
Konflikt in Berg-Karabach / © Dmitri Lovetsky ( dpa )
Quelle:
KNA