Bischof Kräutler zeigt sich von Papst Franziskus frustriert

"Er provoziert eine wahnsinnige Hoffnung"

Bei der Amazonassynode 2019 hat sich der österreichisch-brasilianische Bischof Erwin Kräutler für Reformen eingesetzt. Auf den derzeitigen synodalen Prozess und Reformpapst Franziskus blickt der "Amazonas-Bischof" sehr kritisch.

Bischof Erwin Kräutler / © Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Bischof Erwin Kräutler / © Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )

KNA: Sie haben nun über zwei Jahre wieder in Koblach im Vorarlberg verbracht, wo Sie in Ihrer Jugend gelebt haben. Wie ist es für die Dorfbewohner, wenn der Herr Bischof durch die Straßen geht? 

Bischof Erwin Kräutler (Österreichisch-brasilianischer Bischof, bis 2015 Bischof der Amazonas-Diözese Xingu): Hier bin ich einfach nur der Erwin. Kürzlich war ich im Spital. Neben mir lag ein älterer Herr aus dem Nachbardorf. Als er mich fragte, wo ich denn lebe, sagte ich, in Brasilien. Da meinte er: In Brasilien lebt auch der Bischof Kräutler. Ich musste schmunzeln. Später habe ich ihm dann natürlich gesagt, dass ich das bin. 

KNA: Sie waren eine Art Wanderbischof. Wie muss man sich das vorstellen?

Kräutler: Ich war nur ein paar Wochen im Jahr in meinem Bischofshaus. Den Rest der Zeit habe ich mit den Menschen im Amazonasgebiet verbracht. Das bedeutete, dass ich mit einem kleinen Boot unterwegs war. Darauf konnte ich meine Hängematte spannen. Meist war ich zwei Tage in einer Gemeinde. Dann feierte ich mit ihnen die Eucharistie und firmte junge Menschen. Und dann zog ich weiter, um möglichst viele zu besuchen. Und dennoch: Die Menschen sehen teilweise nur einmal im Jahr einen Priester. 

KNA: Wie wurden Sie empfangen?

Kräutler: Es war immer ein Fest. Ich wurde vom ganzen Dorf verküsst. Und immer wurde mir die Frage gestellt: Wo ist deine Frau? 

KNA: Was haben Sie geantwortet? 

Kräutler: Als ich noch junger Bischof war, habe ich gesagt, dass ich nicht verheiratet bin. Der Dorfoberste schaute mich komisch an. Er konnte es einfach nicht verstehen. Denn das Konzept Zölibat passt nicht in ihre Lebensrealität. 

KNA: Und was haben Sie als älterer Bischof dann gesagt? 

Kräutler: Ich habe immer gesagt, dass meine Frau weit, weit weg ist. Die Dorfbewohner fanden es schade, dass ich allein gekommen bin. Aber immerhin gab es keine komischen Reaktionen mehr. 

KNA: Sie sagen, dass viele Gemeinden nur einmal im Jahr einen Priester sehen. 

Kräutler: Ja, in meiner Diözese feiern 80 bis 90 Prozent der Katholikinnen und Katholiken nur einmal im Jahr Eucharistie. Das ist ein Skandal.

Bischof Erwin Kräutler

"Ich bin frustriert und enttäuscht."

KNA: Was wünschen Sie sich? 

Kräutler: Bewährte Menschen aus den kirchlichen Gemeinden zu Priestern oder Priesterinnen zu weihen. So könnten sie jeden Sonntag Eucharistie feiern.

KNA: Bei der Amazonassynode 2019 haben Sie und viele andere Bischöfe genau das gefordert... 

Kräutler: ... und Papst Franziskus hat es nicht angenommen. Obwohl er uns Bischöfen zuvor gesagt hat: Macht mir mutige Vorschläge. 

KNA: Was macht das mit Ihnen? 

Kräutler: Ich bin frustriert und enttäuscht. Bei der Synode haben 80 Prozent der Bischöfe für Viri probati und das Frauendiakonat gestimmt. Unvorstellbar, dass Papst Franziskus das in seinem Apostolischen Schreiben mit keinem Wort erwähnt hat. Ein Mitbruder, der sehr, sehr traditionell ist, hat mir gesagt: Ich habe vier verheiratete Männer, die ich sofort weihen kann. Darum: Ich verstehe nicht, warum nichts von unseren Forderungen umgesetzt wurde. 

KNA: Bröckelt dadurch der Ruf von Franziskus, ein Reformpapst zu sein? 

Kräutler: Ja. Er provoziert eine wahnsinnige Hoffnung...

KNA: Wie blicken Sie auf den synodalen Prozess der Weltkirche? 

Kräutler: Da wird nichts dabei rauskommen. Außer Spesen nichts gewesen. Das Problem ist ja, dass die ganzen Reformthemen nicht besprochen werden.

Bischof Erwin Kräutler

"Verheiratete Priester kommen zuerst, dann das Frauendiakonat. Priesterinnen werden die nächste Stufe sein."

KNA: Seit vielen Jahren gibt es einen Reformstau in der katholischen Kirche. Wann wird es verheiratete Priester und Diakoninnen geben? 

Kräutler: Verheiratete Priester kommen zuerst, dann das Frauendiakonat. Priesterinnen werden die nächste Stufe sein. 

KNA: Papst Franziskus sagt, dass Frauen nicht zu Priesterinnen geweiht werden dürfen, um sie vor Klerikalismus zu schützen.

Kräutler: Das ist ein Witz. Die nicht geweihten Männer im Amazonasgebiet sind viel klerikaler als die Frauen, die Gemeinden leiten. Ich kenne keine Frau, die Klerikalismus lebt. Keine. 

KNA: Aber Johannes Paul II. hat gesagt, dass es keine Priesterinnen geben kann. 

Kräutler: Der polnische Papst hat leider nicht mitbekommen, dass die Frauen heute eine ganz andere Stellung haben. Früher gab es ja nicht mal Frauen im Theologiestudium. Heute sieht die Welt anders aus. Wir brauchen Frauen - auch in Ämtern. Es kann nicht sein, dass uralte Männer eine Theologie der Frau entwerfen. 

KNA: Sie sind ein politischer Bischof. Hierzulande gibt es immer wieder Stimmen, die keine politische Kirche wollen. Was sagen Sie dazu? 

Kräutler: Wenn ich still bin, bin ich auch politisch. Wenn es um Menschenrechte geht, muss man politisch sein. 

Bischof Erwin Kräutler

"Ich habe als junger Mann das Zweite Vatikanische Konzil erlebt. Das war ein Frühling für die Kirche."

KNA: Wie kann Veränderung in der Kirche stattfinden? 

Kräutler: Ich habe als junger Mann das Zweite Vatikanische Konzil erlebt. Das war ein Frühling für die Kirche. Diesen Frühling braucht es wieder. Der nächste Papst kann es vielleicht schaffen. 

KNA: Kann der nachfolgende Papst die Uhr nicht wieder zurückdrehen? 

Kräutler: Nein, das kann er nicht. Was Papst Franziskus eingeleitet hat, dahinter kann die Kirche nicht zurück. 

KNA: Benedikt XVI. betonte immer wieder, dass die Zukunft der Kirche nicht mehr in Europa liegt, sondern auf anderen Kontinenten. Was sagen Sie dazu? 

Kräutler: Wenn ich in Brasilien sonntags mit 400 Menschen in der Kathedrale einen Gottesdienst feiere, frage ich mich: Wo sind die vielen anderen Tausenden Gläubigen? So blühend ist es bei uns auch nicht - auch wenn das hierzulande Reaktionäre gerne behaupten.

Zudem: In Lateinamerika wandern viele Katholikinnen und Katholiken zu den Sekten ab, weil sie keinen Zugang zur Eucharistie haben - wegen des von Rom gemachten Priestermangels. Es ist Zeit, endlich was zu ändern.

Das Interview führte Jacqueline Straub, Redakteurin des Schweizer KNA-Partnerportals kath.ch in Zürich.

Viri probati

Das lateinische "viri probati" (Einzahl: "vir probatus") bedeutet wörtlich "bewährte Männer". In der Diskussion um die Voraussetzungen für das Priesteramt in der katholischen Kirche steht dieser Ausdruck für die Überlegung, bewährte verheiratete Männer zur Weihe zuzulassen. Gegenwärtig gibt es diese Möglichkeit nicht. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) wurde sie bei verschiedenen Synoden erörtert. Zuletzt ist im Vatikan die Amazonas-Synode mit einem Votum für die Zulassung verheirateter Priester in entlegenen Regionen zu Ende gegangen.

Priesterweihe / © Corinne Simon (KNA)
Priesterweihe / © Corinne Simon ( KNA )
Quelle:
KNA